Digitalisierung : Das nächste große KEP-Ding

Österreichische Post Paketzentrum Hub
© W. Streitfelder für Österreichische Post AG

Die Post sieht die Zukunft der Zulieferungs-Branche im massiven Einsatz von Predictive Analysis und Big Data. Das Zauberwort dabei heißt einmal mehr Echtzeit.

Was bedeutet Big Data konkret für die Zusteller? Wenn die Daten, die Zusteller bereits haben, mit Live-Daten aus dem Verkehrsnetz gekoppelt werden, könnte das eine enorme Planungserleichterung in Echtzeit, aber auch für die Zukunft bedeuten. Touren können durch die Vernetzung aller vorhandener Daten an die aktuelle Verkehrslage angepasst, künftige Touren leichter und besser geplant werden.

Big Data könnte auch ein anderes Problem lösen. Noch sind KEP-Logistiker auf das Wissen einzelner Personen angewiesen, wenn es darum geht, eine hohe Rate an Erstzustellungen zu erreichen. Ein Fahrer, der immer die gleiche Region beliefert, weiß ganz genau, wann er wo vorbeifahren muss, um den Empfänger zuverlässig anzutreffen. Eine strukturierte Erfassung, Speicherung und Vernetzung dieses Wissens würde, beispielsweise für Ersatzfahrer, eine noch flexiblere Tourenplanung erlauben.

Diese Optimierung könnte natürlich irgendwann auch Früchte für den Empfänger tragen. Lässt sich eine Route so gut planen wie beschrieben, könnten sich die Empfänger bald genaue Wunschtermine für die Zustellung ausmachen.

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Der Held ist zwar ein Roboter, doch die Szene hat etwas sehr Menschliches. Wie aufgeregte Jungeltern laufen Grazer Robotik-Forscher einem selbstfahrenden Elektro-Wägelchen hinterher und überwachen sein Tun. Die Mission des Geräts: Pakete autonom an die Adresse des Empfängers zuzustellen.

Bei Kleinkindern, die etwas frisch gelernt haben, kommt es hin und wieder aber auch zu Pannen. Bei Robotern ebenfalls. „Das Team hinter dem Zustellroboter ist daher notwendig, um ihn zu stoppen, falls es zu einem unvorhergesehenen Zwischenfall kommt“, erklärt Gerald Steinbauer. Er ist Professor an der TU Graz und Leiter jener Gruppe, die in Kooperation mit der Post AG, der Energie Graz und der i-Tec-GmbH das autonome Zustellmobil entwickelt hat.

Mit der Zustell-Demonstration inmitten der Grazer Innenstadt hat die Post letztes Jahr ein publikumswirksames Zukunfts-Signal gesetzt. Das größte aktuelle Digitalisierungs-Potenzial ortet der zuständige Post-Vorstand Peter Umundum derzeit allerdings noch nicht in der Automatisierung der letzten Meile, sondern vor allem in einem massiven Einsatz von Predictive Analysis und Big Data. Und das Zauberwort dabei heißt einmal mehr Echtzeit.

Big Data

Wie strukturierte Daten die KEP-Logistik verändern.

Christian Vogelauer vom Institut für Transportwirtschaft und Logistik bestätigt Umundums Einschätzung: „Allein wenn die Zusteller, nur um ein zum Beispiel zu nennen, Live-Daten aus dem Verkehrsnetz mit ihren Daten koppeln, eröffnet sich ein bislang kaum genutztes Optimierungspotenzial.“ Dann können Touren nicht nur besser geplant werden sondern auch permanent, je nach Verkehrslage, angepasst werden. Der Fahrer wird dabei, solange es ihn noch gibt, von einem entsprechenden Navigationssystem geleitet.

Big Data könnte aber auch ein anderes gravierendes Problem lösen: Noch sind KEP-Logistiker auf das Wissen einzelner Personen angewiesen, wenn es darum geht, eine hohe Rate an Erstzustellungen zu erreichen. Ein Fahrer, der immer die gleiche Region beliefert, weiß ganz genau, wann er wo vorbeifahren muss, um den Empfänger zuverlässig anzutreffen. Oder wenigstens den Nachbarn. Ließe sich dieses Wissen strukturiert erfassen und abspeichern, wäre es auch für Springer und Aushelfer zugänglich und würde eine noch flexiblere Tourenplanung erlauben.

Und damit die Erfüllung des zweiten großen Digitalisierungsversprechens: noch mehr Komfort auf der Empfängerseite. Statt Zeitfenster, die vom Zusteller vorgegeben werden, soll es dann, so das brancheninterne Mantra, exakte Wunschtermine geben, die der Empfänger per App wählen kann und die er bis zuletzt absagen oder umbuchen kann. Doch noch, so scheint es jedenfalls, ist Big Data dafür nicht big genug. Oder besser gesagt, nicht ausreichend durchlässig. Die Daten sind wohl da, doch fragmentiert, von Systembrüchen durchzogen und somit nicht nutzbar.

Blockchain und neutrale Plattformen

Warum mit der neuen Technologie ein Quantensprung möglich wird.

„Von der technischen Machbarkeit können wir schon heute sehr viele Ansätze zur optimierten Zustellung anbieten. Oft fehlen aber die dazu nötigen Digitalisierungsschritte auf der Seite unserer Auftraggeber“, sagt Rainer Schwarz, Geschäftsführer von DPD Österreich. Schwarz meint damit vor allem E-Commerce-Anbieter, deren Check-Outs noch nicht so gestaltet sind, dass sie dem Kunden ein durchgehendes Tracking seines Produkts von der Bestellung bis zur Warenannahme erlauben und vor allem auch die Möglichkeit geben, in den Zustellprozess einzugreifen.

Als Ursache dahinter ist nicht selten die heikle Frage des Umgangs mit Kundendaten auszumachen: Der Händler will sie nur beschränkt oder auch gar nicht weitergeben. Die neue EU-Datenschutzverordnung, die im Mai in Kraft tritt, befeuert solche Zurückhaltung zusätzlich.

Die Blockchain-Technologie kommt da als Lösungsansatz gerade richtig. „Sie kann in der Tat ein Weg sein, auf dem sowohl der Händler als auch der Logistiker auf die Daten des Endkunden zugreifen können, und durch den gewährleistet ist, dass sie das nur selektiv und nur in einem bestimmten, fix definierten Zeitrahmen tun“, sagt der Logistik-Forscher Vogelauer.

Nach einer kurzen Nachdenkpause fügt er allerdings hinzu: „Ein Problem sehe ich aber darin, dass viele ERP-Systeme der Händler und Lieferanten nicht darauf vorbereitet sind, Daten auf diese Weise zu verarbeiten.“ Mittelfristig wird daran jedoch kaum ein Weg vorbeiführen. „Die Kommunikation mit dem Endkunden wird zunehmend auf neutralen Plattformen stattfinden, auf denen er alle seine Pakete verwalten kann“, ist daher auch Rainer Schwarz von DPD überzeugt.

Die Grenzen des Sinnvollen

Nicht alles, was technisch möglich ist, bewährt sich auch in der Praxis.

Freilich: Neben dem heiligen Gral der minutengenauen Zustellung treibt die KEP-Dienstleister auch die Vorstellung von völlig neuen Zustellkanälen um – und der Möglichkeit, sich sein Paket stets dort zustellen zu lassen, wo man sich gerade befindet. Solange das der nächstgelegen Paketshop oder ein City-Hub ist, an dem Pakete zwischengelagert werden, besitzt die Idee durchaus Charme. Andere Zugänge erweisen sich bei näherer Betrachtung hingegen als schwierig. Auch die so gern zitierte Kofferraumzustelllung gehört dazu.

In Deutschland experimentiert DHL derzeit damit. Der Versuch liefert zwar Erfahrungen, zeigt aber auch recht klare Grenzen. Um an der Kofferraumzustellung teilnehmen zu können, muss sich der Nutzer von seinem Autohändler eine sogenannte Car-ID ausstellen lassen, mit deren Hilfe ein einmaliger Zugangscode generiert wird, der es dem Boten ermöglicht, den Kofferraum zu öffnen. Derzeit bieten gerade einmal zwei Automarken diese Möglichkeit an: Smart und Volkswagen.

Wie weit andere Auto-Hersteller sich für die Idee begeistern können und nachziehen, wird von der allgemeinen Akzeptanz des Projekts abhängen. Post-Vorstand Peter Umundum holt nicht zufällig das Nachdenken über die Digitalisierung in der Logistik auf den Boden der Tatsachen, wenn er anmerkt: „Bei aller Begeisterung für 24/7-Lösungen und die Idee des Pakets, das den Kunden findet, dürfen wir nicht aus den Augen verlieren: Neunzig Prozent der Leute wollen ihr Paket zuhause empfangen.“

Zertifizierte Annahme und Sensorik

Wohin die Innovationsreise in Zukunft gehen könnte.

Nicht aus den Augen verlieren, was der Kunde will, ist im B2C-Segment ohnehin eine besondere Herausforderung. Denn während digitalisierungsgetriebene Innovation im B2B-Sektor häufig vom Kunden selbst kommt und die Aufgabe der Logistiker darin besteht, die entsprechende Struktur dafür zu schaffen, ist es im B2C-Business anders: „Wir müssen hier vorausahnen, was der Kunde wollen könnte, und dann abtesten, ob er es auch wirklich wird“, fasst Rainer Schwarz von DPD die Situation zusammen.

Der Kerngedanke, mit dem KEP-Logistiker in ihren Digitalisierungsoffensiven punkten wollen, steht dennoch bereits fest: das an den Empfänger gerichtete Angebot, den Zustellzeitraum und auch den Zustellort so frei wie nur irgendwie möglich wählen zu können. Was darüber hinaus noch kommen könnte, bleibt offen.

Christian Vogelauer von der WU Wien hält es für wahrscheinlich, dass ein Teil der zukünftigen Anstrengungen in Richtung zertifizierter Annahme gehen wird, auch hier mit Hilfe von Blockchain. „Dadurch können Systeme zur zertifizierten Annahme deutlich verbessert und nutzerfreundlicher gemacht werden.“

Dieser nächste Schritt sei wohl auch deshalb zu erwarten, sagt Vogelauer, weil er für die Logistiker einen Gewinn an Sicherheit bedeutet. Die manchmal fälligen Diskussionen darüber, ob ein Paket tatsächlich so wie vereinbart und an die richtige Person übergeben wurde, dürften damit der Vergangenheit angehören. Ebenfalls als Nachweis dafür, dass sie ihre Arbeit auftragsgemäß erledigt haben, könnten KEP-Dienstleister außerdem Sensorik-Anwendungen übernehmen, die bei Großfrachten schon heute eingesetzt werden: etwa die durchgehende Überwachung der Umgebungstemperatur oder der Nachweis, dass die gelieferte Ware keinen Schaden durch Erschütterungen erlitten hat. Für bestimmte Pakete wie medizinische Proben oder Elektronikbauteile scheinen solche Zusatz-Features durchaus Sinn zu machen.

Ungelöst bleibt dabei die Kostenfrage: Die Sensoren so klein zu bekommen und zugleich so günstig zu produzieren, dass sie einfach Teil der Verpackung werden können, scheint im Moment unrealistisch. Als Zwischenschritt könnten sich aber eventuell mit Sensoren versehene wiederverwertbare Zusatzeinheiten etablieren.

Das nächste große Ding

Wie die Branche die (vor)letzte Meile digitalisieren will.

Und die so publikumswirksam diskutierte Automatisierung der letzten Meile: die Auslieferroboter, die futuristischen Zustelldrohnen, die oft versprochenen völlig neuen Zustellwege, alles nur Marketinggags? Nein, aber eben noch im Teststadium. Noch findet die Autonomisierung des Fahrens dort statt, wo sie der Endkunde nicht sieht: in Lagerhallen, in Sortieranlagen, auf der Langstrecke. Vor allem Platooning, das halbautonome Fahren von hintereinander geschalteten Lkw, hat auf der Langstrecke durchaus das Zeug, um zum nächsten großen Ding zu werden. Schon heuer wollen DB Schenker und MAN das System unter Realbedingungen auf der deutschen A9 zwischen München und Nürnberg testen. Und: Bereits im Herbst 2016 hat Uber mit einer aufsehenerregenden Aktion für Schlagzeilen gesorgt. Man schaffte es tatsächlich, einen Lkw über eine Strecke von fast 200 Kilometer vollautonom fahren zu lassen: von Fort Collins nach Colorado Springs. Vorsichtshalber mit eher unempfindlicher Ware. 50.000 Dosen Budweiser Bier waren mit an Bord.

Die Kostenfrage

Was nicht alle sehen: Digitalisierung könnte zu Preisaufschlägen führen.

Auch in absehbarer Zukunft wird E-Commerce wohl der „absolute Booster für die KEP-Logistik“ bleiben, wie es Peter Umundum formuliert. Das dadurch generierte Wachstum bringt allerdings auch etliche Problemzonen mit sich. Dass große E-Commerce-Anbieter wie Amazon nun selbst verstärkt in das Zustellgeschäft drängen, ist eine davon. Dass der Auftragsboom für viele Logistiker die Kapazitätenfrage akut werden lässt, eine andere.

„Der Markt wird sich auch preislich verändern“, erwartet daher DPD-Chef Schwarz. „Auf Dauer wird es sonst nicht machbar sein, dass zu Stoßzeiten wie Weihnachten das Zehnfache an Volumen anfällt und die Logistik dann trotzdem die nötigen Ressourcen bereitstellen kann.“

Wobei Schwarz seinen Kunden in diesem Punkt Lernfähigkeit zuspricht: „Ich gehe davon aus, dass sich der Servicegedanke durchsetzen wird und sowohl der Auftraggeber als auch der Empfänger bereit sind, für gute Zustellangebote mehr zu bezahlen. Zum Teil ist das ja schon heute der Fall, etwa bei verschiedenen Prime-Angeboten.“

Aus diesem Statement lässt sich im Umkehrschluss freilich auch folgern: Die Digitalisierung der KEP-Logistik wird in Zukunft wohl genau bis zu dem Punkt gehen, der ökonomisch darstellbar und auch rechtlich vertretbar ist, aber nicht bis zu dem, der rein technisch möglich wäre. Denn ginge es nur danach, dann würden heute schon ganze Armadas von Zustelldrohnen über unseren Köpfen kreisen.

Diese Story finden Sie auch in dispo Ausgabe 1-2/2018.