Organisation : Ist die humanitäre Logistik ein unterschätzter Markt?

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Acht Jahre ist das schwere Erdbeben in Japan mittlerweile her, das damals, im März 2011, einen Tsunami und eine nukleare Katastrophe nach sich zog. Die Folgen sind bis heute spürbar. Doch die größte logistische Herausforderung bestand natürlich direkt nach dem Unglück, direkt während des größten Chaos der ersten Stunden, Tage und Wochen. Die Logistik in der Katastrophenhilfe wird leicht unterschätzt – im Aufwand, in der Wichtigkeit, in der Komplexität, in den Kosten. Dabei ist sie der wahrscheinlich grundliegende Faktor der Hilfsleistungen. Denn ohne Organisation, ohne kluges Management der Lieferkette gibt es auch keine Hilfe. Und explodieren die Kosten eines Einsatzes, könnte es leicht der letzte einer Hilfsorganisation sein.

Zwischen 1970 und 1990 verdreifachte sich die Anzahl der Naturkatastrophen und durch Menschen verursachten Krisen weltweit, so die Zahlen der Datensammlung Emergency Events Database. Sowohl die Ursachen als auch Auswirkungen der Unglücke werden immer komplexer. Und laut Experten wird sich die Anzahl der Katastrophen in den kommenden 50 Jahren verfünffachen. Ein Bericht des UNO-Büros für Katastrophenvorsorge vom vergangenen Oktober zeigt, dass sich die Kosten durch klimabedingte Katastrophen in nur 20 Jahren verdoppelt haben.

Mehr Katastrophen, mehr Kosten, mehr Logistikaufwand

Es sind nicht nur die Schäden, die gewaltige Kosten nach sich ziehen. Es ist auch die Hilfe. Selbst wenn die meisten Ersthelfer Freiwillige sind – Medikamente, Nahrung und andere Hilfsgüter tonnenweise schnell zu organisieren, transportieren und verlässlich verteilen, fordert viel Geld. Die Logistik ist mit einem Anteil von rund 80 Prozent der größte Kostenfaktor in der Katastrophenhilfe, so auch ein Report der FH Münster durch Bernd Hellingrath, Experte für humanitäre Logistik. Die Hochschule bietet für ihre Logistik-Studenten eigene Lehrveranstaltungen zu dem Thema an und nimmt damit eine Pionierrolle in Deutschland ein.

Der größte Anteil der Kosten fällt auf den Transport. Hilfsorganisationen hätten also ein großes Interesse an einer Kooperation mit Logistikunternehmen und deren Experten. Trotzdem wurde das Thema lange vernachlässigt, von beiden Seiten. Laut einem Forschungsprojekt des österreichischen Wissenschaftsfonds FWF herrscht oft beiderseits viel Skepsis. Ein eigentlich gewinnorientiertes Unternehmen und ein größtenteils ehrenamtlich organisiertes Team sollen in einer fordernden Lage einander vertrauen, Informationen austauschen und zusammenarbeiten. Speziell kleinere Non-Profit-Organisationen hätten da Angst, von einem größeren Logistikunternehmen abhängig zu sein. „Logistik hat traditionell in vielen Non-Profit-Organisationen eine untergeordnete Rolle gespielt, obwohl dieser Bereich einen Großteil der Kosten verursacht“, so Tina Wakolbinger, Leiterin des Institutes für Transportwissenschaft und Logistik an der WU Wien und Leiterin des Forschungsprojektes. Das Projekt kam schnell zum Schluss, dass durch optimierte Preis- und Vertragsformen private Logistiker und humanitäre Organisationen besser zusammenarbeiten und alle Beteiligten davon profitieren können.

„Traditionell eine untergeordnete Rolle“

Nicht nur die helfenden Verbände haben durch die Kooperation einen klaren Vorteil – für die Logistikunternehmen erschließt sich mit dem humanitären Feld ein ganz neuer Markt. Das ist wohl auch der Grund, warum ein Bewusstsein für die Sinnhaftigkeit der Zusammenarbeit in der Logistik schon etwas weiter voran gereift ist. Ein Unternehmen kann auch durchaus dazu gewinnen, indem die Hilfe bei einem Einsatz sich positiv auf die Reputation auswirkt. Außerdem ist der humanitäre Zweck eine besondere Form der Mitarbeitermotivation und auch der Mitarbeiterschulung. Schließlich ist die Organisation begrenzter Ressourcen unter schwierigen Bedingungen und hohem Zeitdruck eine Art von Erfahrung, der maximal der Prime Day bei Amazon nahekommen kann. „Bis jetzt ist sehr viel ad hoc passiert und ohne Evaluation“, so Wakolbinger. „Jetzt beginnen Unternehmen gezielter zu überlegen, was sinnvoll ist, und was der langfristige Nutzen der Zusammenarbeit sein kann.“

https://youtu.be/hzy4EY5rglE

Beispiel DHL. Das Transportunternehmen sendet schon seit Jahren eigene Katastrophen-Teams aus, seit 2005 besteht hier eine strategische Partnerschaft mit den Vereinten Nationen. So helfen die Disaster Response Teams von DHL vor Ort bei der Logistik, und das eigene Get-Airports-Ready-for-Disasters-Programm bereitet Flughäfen extra auf die logistischen Herausforderungen im Katastrophenfall vor.

Kompetenz in Dubai

Der Luft- und Seefrachtspezialist DHL Global Forwarding eröffnet nun außerdem sein erstes Global Competence Center for Humanitarian Logistics. Das Kompetenzzentrum ist in Dubai stationiert und soll durch eine starke Zusammenarbeit aller Kompetenzbereiche des Unternehmens ein großes Portfolio an humanitärer Logistik bieten. „Bei DHL Global Forwarding verfügen wir über die Kapazitäten, die Kompetenzen und das globale Netzwerk, um Hilfsorganisationen flexible logistische Unterstützung zu bieten“, so Amadou Diallo, CEO des DHL-Zweiges für den Nahen Osten und Afrika.

https://youtu.be/BO-Z1NsHmtE

Die Anforderungen an den Zweig sind hoch. Logistische Herausforderungen erstrecken sich über ein weites Feld – in kürzester Zeit müssen große Mengen an Hilfsgütern bereitgestellt, Transport und dann vor Ort geeignete Lagerung organisiert werden. Die Güter müssen gesichert verteilt bzw. in Betrieb genommen und in Stand gehalten werden. Die Versorgungskette darf nicht abreißen und nicht nur Güter wollen gemanagt sein, sondern auch menschliche Ressourcen – das beginnt bei der Mobilisierung und Schulung der Hilfskräfte und geht bis zu ihrer sicheren Unterbringung im Krisengebiet. Als zusätzliche Herausforderung hat das alles auch noch in einem von Unsicherheit und Chaos geprägten Umfeld zu geschehen, dessen Infrastruktur wahrscheinlich zerstört und Bürokratie womöglich zusammengebrochen ist. Das Netz von DHL zusammen mit den UN umfasst derzeit rund 500 Freiwillige, die binnen 72 Stunden einsatzbereit sind, so das Unternehmen. Über 40 Flughäfen weltweit wurden auf diese Weise bereits betreut und in den vergangenen vierzehn Jahren über 40 Einsätze in 20 Ländern absolviert.

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