Schienenverkehr : So intelligent ist ein Güterzug

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Ein innovativer Güterzug muss effizient und schnell sein. Aber wie schnell? Mit bis zu 120 km/h fährt ein Güterzug je nach Länge und Gewicht. Rasant verläuft aber auch die Entwicklung: An sich ist ein Güterwagen nicht besonders schlau, aber mithilfe modernster Entwicklungen steigt der Intelligenzquotient des Güterzuges immer weiter an. Die österreichische Rail Cargo Group (RCG) bringt durch Lösungen wie Telematik, Sensorik, Leichtbau und modulare Aufbauten frischen Wind in das verstaubte System des Güterverkehrs.

Drei Probleme der Funklösung

Intelligenz auf den Güterwagen zu bringen, schafft aber gleichzeitig sicherheitsrelevante Schwierigkeiten, zum Beispiel bei der Automatisierung einer Bremsprobe. Vom Lösungsansatz der Funklösungen, bei denen Systeme auf die Güterwagen gebaut werden, die im Zugverband über die Funklösung kommunizieren, ist die RCG aufgrund von drei Problemen abgekommen: „Zum einen ist die Zulassung europaweit nicht eindeutig geklärt. Das größere Problem ist aber, dass wir eine europaweit einheitliche interoperable Lösung brauchen. Das heißt, sobald die RCG einen Fremdwagen im Zugverband hat, funktioniert die Lösung nicht mehr. Und das dritte Problem ist, dass wir keinen Strom am Güterwagen haben“, erklärt Martin Zsifkovits. Er leitet das Innovationsmanagement der Rail Cargo Group und verantwortet die Transformation zur Automatisierung im österreichischen Schienengüterverkehr. Statt auf Funk setzt die RCG deshalb stark auf die Digitale Automatische Kupplung (DAK).

DAK als Chance für Europa und die Welt

In vielen Ländern haben sich automatische Kupplungen im Schienengüterverkehr längst etabliert. Während in den USA, Russland und China selbstverständlich automatisch gekuppelt wird, ist in Europa Handarbeit angesagt. Die Einführung der Digitalen Automatischen Kupplung, die langfristig die Schraubenkupplung ablösen soll, bedeutet für den Güterverkehr auf der Schiene eine Revolution – Europa könnte mit der Einführung plötzlich ganz vorne mitspielen.

Die Zeit dafür wäre reif. Immerhin hat sich die Kupplung von Güterwaggons seit der Kaiserzeit kaum verändert. Seit über 100 Jahren werden die einzelnen Wagen in schwerer Handarbeit an- und abgehängt. Dazu zählen das Klettern zwischen die Waggons, das Einhängen eines über 20 kg schweren Kupplungsbügel in den Kupplungshaken sowie das Spannen der Verbindung und das Verbinden der Bremsleitungen von Hand. All diese Vorgänge sind aufwendig und zeitintensiv.

Im Zuge des European DAC Delivery Programme wird derzeit die Ausrollung der DAK für ganz Europa vorbereitet. „Um die Vor- und Nachteile der DAK in praktischer Erprobung herauszufinden wurde zudem das DAC4EU Konsortium gegründet. Da testen wir gerade die am Markt verfügbaren Prototypen“, berichtet Zsifkovits.

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Die Kupplung des intelligenten Güterzugs

„Das Spannende an der DAK ist die Tatsache, dass wir erstens eine Kupplung haben, durch die das Betreten des Berner Raums nicht mehr nötig ist, indem das Kuppeln automatisiert wird, aber viel wichtiger ist, dass die DAK den intelligenten Güterzug ermöglichen wird“, sagt Zsifkovits von der RCG und beschreibt: „Probleme im Bereich Funk und Strom können mit der DAK gelöst werden, indem eine automatische Kupplung mit Strom und Datenleitung auf den Güterwagen gebracht wird und man so alle Automatisierungskomponenten von Zugintegritätsprüfung über die automatische Zugtaufe, Bremsberechnung, Bremsprobe usw. teilautomatisiert über die Strom-Datenleitung abfragen kann“. Außerdem stellt er klar: „Wir wollen nicht die DAK, sie ist nur Mittel zum Zweck. Wir wollen den intelligenten, teilautomatisierten Güterzug und wir sind überzeugt, dass der schnellste und effizienteste Weg dorthin über die DAK geht“.

Kapazität und Kosten des Güterzuges

Die DAK beschleunigt das Zusammenstellen und erhöht dadurch auch die Güterzug-Kapazität. Dies ermöglicht wiederum, dass mehr Güter auf die Schiene können. „Die Effizienzsteigerungen sind mit 20 bis 40 Prozent absolut signifikant“, meint Zsifkovits. Durch den weniger zeitaufwändigen Kupplungsvorgang könnten die Güterbahnen im Vergleich zum Lkw-Verkehr ihren Wettbewerbsnachteil verlieren.

Zsifkovits verweist bei den Kosten der Umrüstung der Güterzüge auf eine Migrationsstudie der hwh-Unternehmensberatung: „Man geht von etwa zehn Milliarden Euro Umrüstungskosten für ganz Europa aus, DAK und entsprechende Automatisierungskomponenten mitgerechnet“. Europaweit müssen etwa 450.000 Güterwagen mit der neuen Technologie ausgestattet werden.

Siemens und der Vectron

Die Güterzuglokomotiven sowie Digitalisierungslösungen, mit deren Hilfe man Güterwaggons intelligent machen kann, kommen oftmals von Siemens. Auch die RCG fährt mit Lokomotiven von Siemens, wobei eine besonders erfolgreich ist: „Seit 2010 haben Vectron-Lokomotiven europaweit mehr als 300 Millionen Kilometer in 19 Ländern zurückgelegt. Konkret wurden mehr als 1.000 Vectron-Loks veräußert“, berichtet Michael Braun, Konzernsprecher von Siemens Österreich und fügt hinzu: „Mit der ELL (European Locomotive Leasing), den ÖBB, der RTS (Rail Transport Service), Stern & Hafferl, CargoServe und der Wiener Lokalbahnen Cargo setzen gleich sechs österreichische Bahnunternehmen auf den Vectron.“

Siemens fokussiert sich auf Sensorik, um große Datenmengen zu erfassen und mit dem Analysetool Railigent zu interpretieren. „Wir können Instandhaltungskosten und den Energieverbrauch um zehn bis 15 Prozent senken, die Lebenszykluskosten durch längere Service- und Wartungsintervalle optimieren und insgesamt für wettbewerbsfähigeren Schienentransport sorgen, indem wir zum Beispiel für einen Rückgang der ungeplanten Stillstandszeiten um 30 bis 50 Prozent sorgen. Einige Unternehmen wie der Sapsan in Russland oder der Rhein-Ruhr-Express (RRX) haben durch unsere Digitalisierungstechnologien bereits eine Verfügbarkeit ihrer Fahrzeuge von 99 Prozent“, erklärt Braun.

Der (Alb)-Traum vom selbstfahrenden Zug

Selbstfahrende Autos sind nichts Neues, doch was ist mit selbstfahrenden, ferngesteuerten Zügen? „Wir haben derzeit den innovativen Güterwagen. Vom innovativen Güterwagen geht die Entwicklung weiter zum intelligenten Güterzug. Und die Konsequenz wäre dann der selbstfahrende Zug“, erklärt Martin Zsifkovits. Laut ihm machen „Automatic train operations“ absolut Sinn. „Wichtig ist aus meiner Sicht aber, dass wir die entsprechenden Entwicklungsschritte einhalten. Das heißt heute von einem selbstfahrenden Güterzug zu sprechen, halte ich für völlig sinnlos. Solange der Güterzug hinten noch null Intelligenz aufweist und solange ich meine Betriebsprozesse manuell durchführen muss, ist es witzlos die Güterzug-Lokomotive autonom zu steuern“, hebt er hervor. Da man dadurch derzeit von keiner nennenswerten Prozessbeschleunigung profitieren könnte, wird man über diesen Schritt wohl erst sprechen, wenn der Güterzug intelligent und teilautomatisiert geworden ist.