Planung : Der größte Umzug des Jahres – Was der neue Flughafen Istanbul für die Logistik bedeutet
Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Planer diesen Umzug den „Big Bang“ nennen. Und sie haben ja auch recht damit. Vergangenes Wochenende fand endlich die große Übersiedlung vom alten Flughafen Atatürk zum neuen Flughafen Istanbul statt. Ende Oktober war der schon offiziell eröffnet worden, seither galt der Probebetrieb. Doch der große Umzug wurde – ohne Angabe von Gründen – dreimal verschoben.
Das Unterfangen stellte so riesige Ansprüche an die Logistik, wie der Flughafen in ein paar Jahren selbst riesengroß sein soll. Nach der ersten Bauphase stehen derzeit der Haupt-Terminal und zwei Start- und Landebahnen – für eine Kapazität von 90 Millionen Passagieren jährlich. Geplant sind aber drei weitere Bauphasen bis 2027, zwei zusätzliche Terminals und vier weitere Pisten. Dann sollen 200 Millionen Passagiere pro Jahr abgefertigt und 300 verschiedene Destinationen angeflogen werden. Es wird der größte Flughafen der Welt, noch vor dem Hartsfield-Jackson International Airport in Atlanta, der auf jährlich 107 Millionen Passagiere kommt. Auch das wird eine logistische Herausforderung.
Atlanta in den Schatten stellen
Doch zuvor musste eben erst der Umzug stattfinden. Dafür gab sich die IGA, die eine Lizenz von 25 Jahren für Bau und Betrieb des neuen Flughafens hat, 45 Stunden Zeit. Freitag um drei Uhr früh wurde begonnen. 10.000 Einzelstücke an Equipment mit einem Gesamtgewicht von über 47.000 Tonnen wurden in 5.000 Containern umgesiedelt. Das Equipment würde eine Fläche von 33 Fußballfeldern bedecken – alles findet sich darunter, von großen Flugzeugen und 44 Tonnen schweren Schleppfahrzeugen, bis hin zu kleinen, hochsensiblen Sensoren. Die Lkw fuhren die Strecke zwischen den beiden Flughäfen so oft hin und her, dass sie insgesamt zehn Mal die Erde umfahren hätten können – 400.000 Kilometer.
Der Aufwand benötigt natürlich auch viele Mitarbeiter – insgesamt waren 1.800 Menschen an diesem Wochenende mit dem Umzug in der einen oder anderen Form beschäftigt. Am Sonntagabend berichtete dann die halbstaatliche Fluggesellschaft Turkish Airlines, bei der „größten Transportoperation der Luftfahrtgeschichte“ zwölf Stunden schneller gewesen zu sein als ursprünglich gedacht.
Zu 100 Prozent ist der Flughafen Atatürk, der bereits seit über einem Jahrhundert in Betrieb ist, noch nicht abgelöst. Das wird nun schrittweise erfolgen, bis er schließlich abgerissen und möglicherweise einem Luxus-Wohngebiet Platz machen wird. Passagierflüge werden hier allerdings gar keine mehr stattfinden. Am Samstag hob die letzte Passagiermaschine ab, nach Singapur. Vor dem Flughafen krachten acht Autos ineinander, da Lenker vom letzten Flug noch Fotos machen wollten.
„Monument des Sieges“
Als Vorbild für solchen Übersiedlungen gilt vielen Logistikern und Planern München, als 1992 der Flughafen Riem aufgelöst und vom „Franz Josef Strauß“ ersetzt wurde. Damals wurde monatelang mit Koffern simuliert. Natürlich war das Unterfangen in Istanbul noch ein etwas größeres. Hier will man bald London, Paris, Frankfurt, Amsterdam und Dublin in den Schatten stellen, was Größe anbelangt – und in nicht viel weiterer Zukunft auch Atlanta. Ob es wirklich zu den 150 bis 200 Millionen Passagieren kommen wird, ist eine andere Frage.
Der Flughafen ist mit 60 bis 90 Autominuten recht weit vom Stadtzentrum entfernt, allerdings wird an U-Bahn- und Schnellbahn-Verbindungen gearbeitet. Dann wäre da noch die Rezession – als die Lira kürzlich so stark abfiel, gingen auch die Flugpassagiere sogleich um zehn Prozent zurück. Die betreibende IGA zahlt dem Staat Miete für den Flughafen, hat dafür aber auch die hohen Passagierzahlen garantiert bekommen. Bewahrheiten sich die nicht, hat sie Anspruch auf Entschädigung. Für Bewilligungen und Sicherheit vor Ort ist hingegen die DHMİ, der Staatliche Betrieb für den Luftraum, zuständig.
Ein „Monument des Sieges“ nennt der türkische Präsident den Megabau auf ebenso riesigen Plakaten. Die Bezeichnung kann sich gut und gern auch auf den gemeisterten Umzug beziehen – wird sie auch auf den Betrieb zutreffen? Atatürk war für seine oft elend langen Warteschlangen geradezu berüchtigt; am neuen Istanbuler Flughafen sind es nun vom Check-in bis zum hintersten Gate zwei Kilometer. Daher wurden schnellere Kontrollen versprochen, damit es nicht zum Chaos kommt. Gerade der Zeitdruck und die daraus resultierende Geschwindigkeit wurden im Bau allerdings bereits für viele Fehler und sogar Todesfälle verantwortlich gemacht. Ob es eine gute Idee ist, diesen Weg auch puncto Kontrollen einzuschlagen?
https://youtu.be/4vxNwgxp67o
Vielleicht, so wie München Vorbild für Umzüge sein kann, sollten die derzeit größten Flughäfen der Welt im Betrieb als Vorbild genommen werden. In Atlanta sorgen 63.000 Menschen für einen möglichst reibungslosen Ablauf, wenn täglich 275.000 Menschen hier abfliegen oder ankommen. Und der Ablauf muss reibungslos sein, denn 80 Prozent der US-Bevölkerung sind im Umkreis von zwei Flugstunden erreichbar – und viele von ihnen fliegen für die Arbeit.
Betreiber des fast 2.000 Hektar großen Areals mit zwei Terminals und fünf Pisten ist das Atlanta Department of Aviation. Um sicherzustellen, dass jeder rechtzeitig ans Ziel kommt, sind alle Hallen miteinander und mit den Terminals verbunden, teilweise auch durch unterirdische Züge erreichbar gemacht. Trotzdem müssen die Passagiere teilweise weite Strecken gehen – ein klarer Nachteil immer größer werdender Flughäfen und eine Herausforderung an Planer wie Logistiker.
Dass es im Großen und Ganzen in Atlanta funktioniert, wird aber nicht zuletzt an den hunderten Unternehmen bemerkbar, die der Flughafen seit den 1970ern angezogen hat. Darunter finden sich viele Transportunternehmen, wie Delta Air Lines und UPS. 1990 verlegte UPS seine Zentrale von Connecticut nach Atlanta. Einer der Hauptgründe laut Dan McMackin, PR-Manager des Transport-Riesen? Ganz klar der Flughafen.
Zahlen und Fakten zum neuen Istanbuler Flughafen, bald wohl größter der Welt:
Fläche: 76,5 Quadratkilometer, sechs Mal so groß wie Heathrow, derzeit der Flughafen mit den meisten internationalen Verbindungen der Welt
Geplant sind bis 2027: sechs Start- und Landebahnen, sowie drei Terminals. Zwei Pisten und der Haupt-Terminal sind bereits fertig. Dieser ist mit 1,44 Millionen Quadratmetern der zweitgrößte Terminal der Welt, der sich ganz unter einem Dach befindet – nur der Terminal 3 in Dubai ist mit 1,71 Millionen Quadratmetern größer.
Kosten: 2013, kurz vor Beginn der Bauarbeiten, wurde noch von sieben Milliarden Euro gesprochen – 2015 lagen die geschätzten Gesamtkosten bereits bei 32 Milliarden. Als 2014 der Grundstein gelegt wurde, erhielt die IGA einen Kredit von drei staatlichen türkischen Banken und drei Privatunternehmen in Höhe von 5,5 Milliarden, insgesamt wird aber von über 15 Milliarden Euro an staatlichen Krediten an das Konsortium berichtet. Das erweckt auch Unmut in der Bevölkerung, steckt die Türkei doch in einer Rezession. Ob sich die hohen Summen auszahlen werden, wird mancherorts bezweifelt.
Betrieb: Für Bau und Betrieb zeichnet die IGA verantwortlich, die 2013 für dieses Projekt gegründet wurde. Sie geht aus einem Konsortium hervor, das 2013 den Zuschlag von der Generaldirektion für Staatliche Flughäfen in der Türkei erhielt. Das ursprüngliche Konsortium hat bisher acht Projekte verwirklicht, in Ägypten, Aserbaidschan, der Türkei, sowie im Irak und Kosovo. Teilweise hat sie hier auch den Betrieb übernommen. Die IGA übernimmt laut Vertrag für 25 Jahre den Bau und Betrieb – das sogenannte Build-Oparate-Transfer-Prinzip. Der Staat erhält dafür Miete, garantiert aber der IGA eine Passagieranzahl und muss Entschädigung zahlen, wenn diese nicht erreicht wird. Eine Verlängerung der Lizenz ist möglich.
Teil eines großen Infrastruktur-Projektes?Der Mega-Flughafen ist bei weitem nicht das einzige Projekt des türkischen Präsidenten Erdogans für die Gegend. Zusammen mit der 2016 – weit über ihrem Budget – fertiggestellten dritten Bosporus-Brücke und den Plänen für einen 45 bis 50 Kilometer langen Istanbuler Kanal nach Vorbild des Suez- oder Panama-Kanals, soll der Norden der Stadt in seiner Entwicklung vorangetrieben werden. Bislang leben hier bereits 15 Millionen Menschen. Erdogan selbst sogar nennt seine vielen großen Bauvorhaben „verrückt“, wie den Kanal, der die Wasserstraße zwischen Europa und Asien entlasten soll.