Hinsichtlich Digitalisierung scheint es auf der Schiene Aufholbedarf zu geben. Zumindest medial ist hier fast ausschließlich die Straße präsent.
Bohlmann: Ja, eigentlich müsste die Schiene schon viel weiter sein, weiter als die Straße. Etwa beim Thema Autonomes Fahren: Hier muss man bei der Bahn ja im Grunde weniger Parameter in den Griff bekommen, weil die Fahrtrichtung, anders als auf der Straße, durch die Schienen bereits festgelegt ist. Das ist aber nur die technologische Seite – viel schwieriger sind Fragen der Regulierung, der Schaffung länderübergreifender technologischer Standards. Da tut sich die Eisenbahn immer noch schwer. Aus meiner Sicht sind hier die Staaten gefordert, auch gemeinsam Innovationen voranzutreiben und Standards zu schaffen. Dies könnte letztlich ein Katalysator sein, die Schiene attraktiver zu machen.
Die Verlagerung von Cargo von der Straße auf die Schiene ist ja nicht gerade eine rasante?
Bohlmann: Verkehre suchen sich nun einmal den kotengünstigsten Weg von A nach B. Zu versuchen, Strukturen gegen die Marktkräfte zu verändern, ist sehr mühselig und nicht nachhaltig. Man muss aber konstatieren, dass bisweilen auch Strukturen in die Landschaft gesetzt wurden, die den Bedürfnissen der Verlader einfach nicht entsprechen. Und vielleicht sollte man auch stärker an Industrien denken, die nicht ohnehin auf die Bahn angewiesen sind.
Steigender Onlinehandel und kleinere Losgrößen spielen der Bahn auch nicht in die Karten. Wie sollen Unternehmen des SGV damit umgehen?
Bohlmann: Wir sehen tatsächlich immer mehr Einkaufsvorgänge mit deutlich gestiegenem logistischem Aufwand. Aber während es den KEP-Diensten hervorragend geht, profitiert die Schiene davon nicht, sieht man von Hinterlandverkehren der Seehäfen ab. Dass sich Einzelwagenverkehre schwertun, hier ihre wirtschaftliche Berechtigung zu behalten oder wiederzuerlangen, ist klar. Die Lösung kann nur in Innovation und Flexibilität liegen. Wenn es zum Beispiel gelingt, Waggons so zu bauen, dass sie ihren Weg durch das Schienennetz selbst finden, autonom gesteuert, automatisch gekuppelt – dann ist die Eintrittshürde für geringere Losgrößen niedriger.
Sehen Sie da genügend Innovationsdruck?
Bohlmann: Bei vielen Unternehmen stehen häufig eher klassische Kostensenkungsthemen im Vordergrund.
Ein Schluss, den Sie aus der Studie ziehen, ist die Bedeutung der Fokussierung.
Bohlmann: Ja, wir haben – vereinfacht gesagt – festgestellt: Unternehmen im SGV sind desto erfolgreicher, je fokussierter ihr strategischer Kern in Hinblick auf die angebotenen Produkte, die Kunden und die Märkte ist. Bei den Incumbents steht dem häufig der von der öffentlichen Hand als Alleineigentümerin formulierte Anspruch entgegen, dass sie auch eine grundlegende Versorgungsfunktion zu erfüllen haben. Dennoch: Wenn man sich ‚Vollsortimenter‘ wie die Deutsche Bahn oder die ÖBB ansieht, hat man den Eindruck, dass die Fokussierung noch intensiviert werden kann.