Brandschutz : „Fast die Hälfte der Betroffenen verschwindet vom Markt“
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Mehr als 30.000 Stellplätze auf zwei Ebenen: Die beiden Hochregallager sind der Kern des neuen Logistikzentrums von Ikea in Wien-Strebersdorf. Von hier aus beliefert der schwedische Möbel-Riese seit Herbst 2019 seine Online-Kunden in ganz Österreich. Entsprechend den Dimensionen des Lagers – rund 150 x 120 Meter – ist auch der Aufwand für den Brandschutz: Im anlagentechnischen Bereich sieht das Konzept unter anderem eine Sprinkleranlage, eine automatische Brandmeldeanlage sowie Entrauchungsanlagen vor. Eine Gaslöschanlage schützt sensible Bereiche wie die Serverräume. Auch die auf dem Dach befindliche Photovoltaikanlage wurde in die Überlegungen einbezogen, da sich diese auf die erforderlichen Abstände zu Gebäudeöffnungen auswirkt. Die Brandschutz-Planung besorgte das Wiener Ingenieurbüro Hoyer Brandschutz.
dispo: Herr Hoyer, ist Brandschutzplanung ein kreativer Beruf, oder ist ohnehin vorgegeben, was Sie tun müssen?
Werner Hoyer-Weber: Brandschutz ist ein umfangreicher und stark reglementierter Bereich der Bauordnung. Hier sind gewisse Schutzziele definiert, die natürlich auch nicht verhandelbar sind. Dafür, wie Sie diese Ziele erreichen, gibt es ebenfalls Vorgaben – aber man kann vom Regelwerk abweichen, wenn man nachweist, dass man mit anderen Maßnahmen die gleichen Ziele erreicht. Wir verfügen also über ein Portfolio aus baulichen, anlagentechnischen und organisatorischen Maßnahmen, aber wir lassen uns für jedes Projekt einen spezifischen Mix einfallen.
dispo: Wie kreativ mussten Sie denn beim Ikea-Logistikzentrum sein?
Hoyer-Weber: Eine Herausforderung war, dass hier zwei Hochregallager übereinander platziert sind. Normalerweise nützt man ja Öffnungen im Dach, um Rauchabzug zu gewährleisten. Wenn das – wie hier in der unteren Ebene – nicht möglich ist, muss man mit Hilfe von Ventilatoren für Brandrauchverdünnung sorgen. Vorgesehen ist, dass man damit zwölf Mal pro Stunde den kompletten Rauminhalt an Luft austauschen kann. Bei einer Brandabschnittsfläche von 10.000 m2 hätten wir eine riesige Anzahl an Ventilatoren gebraucht. Mit Hilfe weiterer Maßnahmen konnten wir aber die Rauchmenge reduzieren, womit auch eine geringere Absaugleistung ausreicht. Und davon konnten wir auch die Behörde überzeugen.
dispo: Sie sind also auch davon abhängig, an welchen Beamten Sie geraten?
Hoyer-Weber: Wir treffen auf Menschen, nicht auf Apparate. Und Menschen sind unterschiedlich.
dispo: Wird mit einer solchen Entscheidung eine Präzedenz geschaffen?
Hoyer-Weber: Nein, es ist immer eine Einzelfallbetrachtung. Präzedenzen sind bei Behörden prinzipiell unbeliebt, was unsere Arbeit nicht immer einfach macht. Ich habe auch schon gehört: ‚Ihr Vorschlag ist gut, aber wenn ich Ihnen das jetzt genehmige, dann wollen das morgen alle anderen auch.
Ikea hat rund 70 Millionen Euro in das Logistikzentrum gesteckt. Von hier aus werden ausschließlich die Endkunden beliefert, nicht die Möbelhäuser. In der 25 Meter hohen Halle lagert das komplette online verfügbare Sortiment von Ikea, also um die 12.000 unterschiedlichste Artikel – von Möbeln bis hin zu den berühmten Ikea-Teelichtern.
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dispo: Ikea wird vor allem mit seinen Holzmöbeln assoziiert …
Hoyer-Weber: Ich weiß, was Sie jetzt sagen wollen, aber der Brandschutz hat Holz und Karton sehr gut im Griff. Viel unangenehmer sind Kunststoffe und Schaumstoffe in Möbeln, die stellen im Brandfall eine deutlich höhere Energiedichte dar. Auch eine Palette mit Teelichtern macht mir mehr Sorgen als ein Holzregal – geschmolzenes Paraffin ist eine brennbare Flüssigkeit.
dispo: Moderne Logistikzentren wie das in Strebersdorf erreichen immer stärkere Verdichtung. Ist das für den Brandschutz ein Problem?
Hoyer-Weber: Nein, aber die Verdichtung führt natürlich zu neuen Schutzkonzepten. Um Hochregallager oder sehr dichte Lager in den Griff zu bekommen, setzen wir sehr oft Sprinkleranlagen ein. Die Sprinklerköpfe müssen aber die Chance haben, das Wasser zum Brandherd zu bringen. Daher wurden Lager immer so angeordnet, dass sich zwischen den Paletten Schächte ausbilden, damit sich das Löschwasser nach unten verteilen kann. Logistiker empfinden diesen Platz aber immer mehr als verloren. Heute sind wir so weit, dass wir auf diese Schächte verzichten können.
Im Ikea-Logistikzentrum sind neben den Decken- vor allem auch Regal-Sprinkler verbaut. Die vier größten Brandabschnitte sind jeweils rund 10.000 m² groß. Mit direkt an den Regalen platzierten Sprinklern reduzieren sich Brandschäden auf etwa 50 m² und damit auf ein Minimum. Hinzu kommen Sonderlösungen für Sprinkler in verschiebbaren Regalen oder für die Lagerung von Kleinteilen. Insgesamt wurden über 19.000 Sprinkler installiert. Der Brandschutz ist so konzipiert, dass es im Ernstfall wahrscheinlich nicht einmal zu einer Betriebsunterbrechung käme.
dispo: Brände in Logistikzentren sind relativ selten. Senkt das die Awareness gegenüber der Gefahr?
Hoyer-Weber: Brandschutz ist eine Maßnahme gegen ein Ereignis, das mit hoher Wahrscheinlichkeit nie eintreten wird. Das ist ja auch der Grund, warum es zahlreiche Kontrollmechanismen gibt, die immer wieder greifen. Den professionellen Konzernen ist die Bedeutung des Brandschutzes natürlich bewusst. Manchen Bauherren muss man aber tatsächlich klarmachen: Fast die Hälfte der Unternehmen, die im Industriebereich von einem großen Brandereignis betroffen sind, verschwindet vom Markt. Brände sind existenzbedrohend, weil bis zum Anlaufen des normalen Betriebs oft so viel Zeit vergeht, dass Kunden sich schon zu einem anderen Anbieter verabschiedet haben. Da durch die Zunahme von Zentrallagern die Redundanz durch verteilte Lager sinkt, wird Brandschutz also noch wichtiger.
dispo: Wie geht es Ihnen mit automatisierten Lagern? Erleichtert die Abwesenheit von Mitarbeitern den Brandschutz?
Hoyer-Weber: Nein, denn selbst in einem komplett automatisch beschickten Lager muss man damit rechnen, dass Wartungsarbeiten durchgeführt werden. Die Fluchtweg-Längen müssen also zum Beispiel die gleichen sein.
dispo: Aber zumindest entfällt ein Risikofaktor. Die Evolution hat uns ja nicht gerade zu Brandschutzexperten werden lassen.
Hoyer-Weber: Menschliches Versagen ist tatsächlich einer der größten Risikofaktoren im Brandschutz. Ein Klassiker ist die Brandschutztüre, die der Staplerfahrer so oft passieren muss, bis sie ihn nervt und er den berühmten Holzkeil einsetzt. Hier ist die Automatisierung auf unserer Seite: Man installiert zum Beispiel Türen, die durch Magneten offengehalten werden – wird ein Brand detektiert, schließen sie sich automatisch.
dispo: Im Vorjahr hat Cargo-Partner mit dem iLogistics Center ein vielbeachtetes Logistikzentrum in Holzbauweise eröffnet. Haben Sie Bedenken gegenüber Holz als Baustoff?
Hoyer-Weber: Ganz im Gegenteil. Dass Holz brennt, ist ja unbestritten. Aber es brennt berechenbar, je nach der Stärke des Abbrandes, den man augenscheinlich beurteilen kann. Eine Stahlkonstruktion verliert bei 500° Celsius drei Viertel ihrer Festigkeit und kollabiert dann unvorhersehbar. Kein Einsatzleiter der Feuerwehr schickt seine Leute in ein brennendes Industriegebäude aus Stahl. Es ist ja kein Zufall, dass Holz seit vielen Jahren Teil der österreichischen Bauordnung ist, vor allem im Wohnbau. Ich habe den Eindruck, dass die Beton-Lobby in den vergangenen Jahrzehnten ganz gute Arbeit geleistet hat. Das gilt es derzeit aufzubrechen, und als Brandschutz-Experte kann ich dazu einige Argumente beitragen.
dispo: Ist Ihr Job eigentlich auch ein diplomatischer? Ich nehme an, Sie sind durchaus mit unterschiedlichen Interessen konfrontiert.
Hoyer-Weber: Das liegt in der Natur der Sache. Bauherren wollen in erster Linie ein wirtschaftlich vertretbares Objekt errichten. Und einzelne betrachten Brandschutz tatsächlich als reinen Kostenfaktor. Behörden wollen, dass Regelwerke umgesetzt werden. Die haben a priori kein Interesse daran, Brandschutzkonzepte zu genehmigen, die davon abweichen – und vielleicht irgendwann dafür Rede und Antwort stehen zu müssen. Hinzu kommen die Versicherer, die natürlich am liebsten jede Maßnahme drei Mal eingebaut sehen wollen.
Das ist ein gewisses Spannungsfeld. Daher müssen wir nicht nur Ingenieure und Anlagentechniker sein, sondern auch ein wenig Juristen und Diplomaten. Manchmal auch Psychologen.