Interview : „Ich muss zuerst wissen, was ich will“
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dispo: Das Motto des diesjährigen Österreichischen Logistik-Tags lautet „Die neue Leichtigkeit“. Ist das eine Diagnose ihrerseits oder ein Apell?
Franz Staberhofer: Es ist eine Diagnose mit der zugleich ein Aufruf verbunden ist. Eine Mischung also. Die Kommunikation einer Diagnose.
Was stört aus Ihrer Sicht die Leichtigkeit?
Ein paar Dinge erschweren das Nutzen von Leichtigkeit. Es gibt viele reale oder herbeigeredete Innovationen, mit denen man sich so viel beschäftigt, dass man dabei die Möglichkeit der Leichtigkeit nicht erkennt. Um es ein bisschen konkreter zu sagen: Wenn ich ständig nur an irgendwelche Industrie 4.0-Situationen denke und besorgt bin, dann verstellt das die Leichtigkeit. dabei gibt es eine ganze Reihe von Möglichkeiten, die sich mit vergleichsweise geringem finanziellen Aufwand umsetzen lassen. Vieles geht heute leichter als früher. Leichter bezüglich Aufwand, leichter bezüglich der Voraussetzungen, leichter bezüglich des Investments. Man muss sich nur darauf einlassen und sich drüber trauen.
Demnach bezieht sich Ihr Begriff von Leichtigkeit auf das Denken des Unternehmers?
Ja, es geht darum, dass er die Leichtigkeit zulässt. Dass er nicht jammert, was alles nicht geht. Ein Unternehmer muss sich fragen, was der Bedarf seiner Kunden ist. Und dann mit Mut an die Umsetzung gehen. Das macht übrigens den berühmten Entrepreneurgeist der Amerikaner aus: Dass sie einfach an die Sache herangehen und ausprobieren. Das ist Leichtigkeit. Zum Probieren gibt es viele Möglichkeiten und Anlässe.
Zu diesem Denken gehört dann wohl auch, Scheitern zuzulassen und zu akzeptieren?
Absolut. Natürlich geht niemand her und will großflächig scheitern, das wäre eine Geschäftsgefährdung. Also muss man sich etwas aussuchen, das man relativ einfach machen kann. Dazu ein Beispiel aus meinem Alltag: Ich bin davon überzeugt, dass auch die Bildungslandschaft sich in völlig neue Dimensionen entwickeln muss. Ich muss deshalb meine Lehrveranstaltungen auf eine neue Art und Weise anbieten. Jetzt werde ich klarerweise nicht gleich mein ganzes Programm umstellen, sondern einmal eine Vorlesung etwas anders gestalten. Früher hätte es diese Möglichkeit gar nicht gegeben. Das meine ich mit Leichtigkeit: Es einfach mal versuchen. Und wenn es gut läuft, muss man sich ohnehin weiterentwickeln und weitere Ziele verfolgen.
Aber gerade in der Bildung geht es doch nicht ganz so leicht, Neues umzusetzen, oder?
In der Bildung gibt es die gleichen Hürden wie überall.
Sie haben vorhin „herbeigeredete Innovationen“ angesprochen. Welche Themen genau meinen sie damit?
Es geht gar nicht ums Thema, sondern um den Zugang dazu. Egal ob das „4.0“ heißt, oder „Smart“ oder „Gründer“. Keines dieser Themen ist falsch. Im Gegenteil: Alle sind richtig. Aber wenn ich auf der Ebene 4.0 bleibe, werde ich nie weiter kommen, weil das zu allgemein ist. Wenn man sagt: Wir müssen uns an den Gründern ein Beispiel nehmen, muss ich zurückfragen: An welchen Gründern? Und in welcher Hinsicht ein Beispiel? Man darf nicht an der Oberfläche bleiben. Innovation ist wichtig, aber man muss sich anschauen, was der Kunde braucht. Wo kann man für den Kunden etwas ändern? Gründer probieren gerne, deshalb könnte es sein, dass ein Gründer die richtige Lösung für ein Problem hat. Deshalb muss man fragen: Wo sind für mein Problem die Gründer? In Österreich? In Deutschland? In den USA? Dann macht es Sinn, sich an Gründern zu orientieren. Neuen Lösungen gibt man oft sehr fantasievolle Namen. Aber ich traue mich zu sagen: Nur fünf Prozent der Unternehmen haben heute schon die Voraussetzungen, um gewisse Technologien nutzen zu können. Viele Firmen warten bloß auf die große Chance, aber die kommt nie daher.
Mir scheint, Sie betonen einen psychologischen Zugang. Ist die Technologie demgegenüber weniger wichtig?
Nun ja, viel von dem, was heute möglich ist, basiert auf Technologie. Es ist keine Frage von wichtig oder unwichtig, sondern eine Frage der Reihenfolge. Ich muss immer zuerst wissen, was ich will. Viele der neuen Technologien ermöglichen viel beim Erkennen von Kundenwünschen. Erst wenn man das verstanden hat, kann man es nutzen. Aber zuerst muss man, auch wenn das langweilig klingt, einheitliche Stammdaten haben. Denn ohne die, wird kein System funktionieren. Es gibt wenige Lösungen, die man schnell mal installiert und alles läuft perfekt. Ich muss überlegen, was ich will, dann die Voraussetzungen schaffen und dann mit der passenden Technologie umsetzen.
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Am Tag vor dem Logistik-Tag findet das „Logistik Future Lab“ statt. Dem Inhalt entnehme ich, dass es da um Augmented Reality, Blockchain, autonome Fahrzeuge und mehr geht. Also praktisch jedes Hype-Thema, das es derzeit gibt. Haben die alle ihre Berechtigung oder springen Sie damit auf einen Zug auf?
Ich glaube, was Mehrwert schaffen kann, wird sich durchsetzen. Blockchain hat das Zeug dazu, generell einiges in der Welt zu revolutionieren. Ganz besonders in der Supply Chain. Blockchain kann ein wesentliches Thema im Supply Chain Management werden. Der Nachweis von Dokumenten ist die einfachste aller Varianten. Welche Änderungen Blockchain noch nach sich ziehen wird, wird man sehen, aber Blockchain ist im Grunde genommen nichts anderes als die eindeutige Verifizierung von zwei Partnern. Alle vorgenommenen Veränderungen in der Datenbank werden in Echtzeit und revisionssicher aufzeichnet. Die Wege von Gütern und Dokumenten sind jederzeit nachvollziehbar. Grundlage ist aber eine vollständig digitalisierte Logistikkette. Dafür gibt es sehr gute Gründe. Echtzeitinformation ist der absolute Bringer für die Effizienz der Supply Chain. Es gibt zwar noch viele technische Voraussetzungen zu schaffen, die mehr die Anbieter als den Anwender interessieren. Aber Blockchain ist nichts Mystisches. Was Augmented Reality betrifft: Es wird Anwendungen dafür geben. Bei einer Standard-Fabriksplanung bin ich eher ein Freund davon, Legosteine zu verwenden und die Anlage aufzubauen. Dafür braucht man keine Technologie, sondern muss sich mit seinem eigenen Tun beschäftigen. Geht es aber um eine hochkomplexe Anlage, dann bin ich überzeugt davon, dass sich die Möglichkeit, mit einer AR-Brille durch die Anlage zu gehen und den Sollzustand in den Istzustand einzublenden, durchsetzen wird. Zu Ihrer Frage, ob wir auf einen Zug aufspringen: Wir sind ein Verein und haben die Aufgabe, unseren Mitgliedern zu zeigen, was als Zukunftstechnologie gilt. Wir wollen ihnen dabei helfen, sich zu orientieren, damit sich die Unternehmen entsprechend aufstellen können. Wenn man nicht genau weiß, was da auf einen zukommt, bekommt man Angst. Wir wollen Ängste nehmen und einen Beitrag zur Klärung leisten.
Es gibt in Unternehmen außerdem sehr unterschiedliche Selbstwahrnehmungen der eigenen Innovationskraft…
Das erlebe ich genauso. Und deshalb bin ich gegen diese Oberflächendiskussion. Sie erinnert mich an eine furchtbare Zeit im Supply Chain Management, vor rund zwölf oder dreizehn Jahren. Damals wurde trefflich darüber diskutiert, wie Supply Chain Management in die Logistik einzuordnen ist. Statt etwas vernünftiges Konzeptionelles zu tun, hat man über Definitionen diskutiert. Und bei Industrie 4.0 ist das heute genauso. Ich persönlich spreche sowieso lieber von Digitalisierung. Es gibt heute Systeme, die können über Sprach- oder Schrifterkennung Dialoge automatisch ins Auftragserfassungssystem übernehmen. So spart man sich natürlich viel Dispositionsarbeit. In einigen Jahren wird das gelebte Realität sein, aber dafür braucht es viel Vorbereitung. Es gibt genügend Aufgaben, für die man Technologien nutzen kann. Und jedes Unternehmen ist aufgerufen, sich solche Systeme zuzulegen. Aber wenn man nicht mal eine einheitliche Stammdatenbasis hat, ist es egal, wie leistungsstark das System darüber ist.
Es scheint, als gäbe es in der Logistik besonders viele Startups. Beobachten Sie das auch so? Und falls ja, woran liegt das?
Logistik heißt immer: maximal 50% lassen sich regeln, der Rest ist Mensch und Improvisation. Wer darauf geeicht ist, so zu denken, ist williger, etwas Neues auszuprobieren. Ich hatte in meinem Studiengang „Supply Chain Management“ vor zehn Jahren eine unglaubliche Menge an Entrepreneurs. Wir waren damals die ersten die Design Thinking eingesetzt haben. Aber nicht, weil ich Gründer generieren wollte, sondern weil ich der Meinung bin, dass Supply Chain Management so etwas wie Gründen ist. Das hatte eine spannende Wirkung: Jedes Jahr hatten wir hatten im Durchschnitt zwei Gründer. Wer den Mut hat, Supply Chain Manager zu sein, muss auch den Mut zu Neuem haben, sonst macht er den Job nicht gut. Deshalb wundert es mich nicht, dass in der Logistik besonders viele Startups gibt. Wenn ich eine Logik erkennen möchte, könnte sie das sein.
Andererseits muss die Branche ja auch bereit sein für diese neuen Gründer und deren Ideen. Ist sie das?
Manche können es sich nicht aussuchen. Wenn sich ein Spediteur oder Logistikdienstleister nicht ändert, wird er ersetzt, ganz einfach. In anderen Bereichen, etwa Industrie und Handel gibt es tatsächlich eine große Bereitschaft, neue Ideen anzunehmen. Ob die es immer wollen oder ob es eine Notwendigkeit ist, sei dahingestellt. Wenn im Handel keine koordinierten Online-Offline-Lösungen angeboten werden, wird es ein anderer machen, zum Beispiel Amazon. Manchmal ist es ein Müssen, manchmal ein Wollen. Aber es gibt jedenfalls Menschen, die willens und fähig sind, sich den Veränderungen zu stellen. Und das ist wichtig.