Forschung : Kann man Transportbedarfe exakter prognostizieren?
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Natürlich sind es noch Zukunftsvisionen – doch die werfen ihre Schatten deutlich voraus: Wird das Physical Internet Realität, werden Transportketten dynamisch gebündelt und entbündelt, und das Auftragsgefüge organisiert sich rollierend permanent neu. Setzt sich Sharing Economy durch, entstehen die Transportpreise infolge Auktions-artiger Abläufe, was das Ende langfristiger Rahmenverträge bedeutete. Wie weit und wie schnell es auch immer gehen wird: Der Druck auf die Transportlogistiker, flexibler zu werden, steigt.
Und die Suche nach exakteren Prognosemodellen hat sich intensiviert. „Wenn unser Projekt erfolgreich ist“, sagt Georg Brunnthaller, „dann wird das Physical Internet vielleicht einen kleinen Schritt wahrscheinlicher. Und die Transportdienstleister werden ein Stück besser auf Sharing Economy vorbereitet.“
Vier Ziele
Georg Brunnthaller, Logistikforscher bei Fraunhofer Austria, leitet das Projekt ProKapa. Das Ziel: Methoden zu finden, die den Transportdienstleistern dabei helfen, angesichts immer dynamischerer Märkte flexibler zu werden. Konkret geht es um vier Bereiche:
- Das Hauptziel von ProKapa ist die Schaffung eines verbesserten Prognosemodells für Transportbedarfe. Das Team um Brunnthaller kombiniert dafür verschiedene Planungsmethoden und -werkzeuge, um so mittels Predictive Analytics künftige Transportbedarfe prognostizieren zu können.
- Daraus abgeleitet, geht es um die Vermeidung von Leerfahrten und unausgelasteten Transporten. Ein Punkt, der dem Projekt auch einen starken ökologischen Stempel aufdrückt.
- Ziel Nummer drei ist ein Glätten des Transportbedarfs, also das Vermeiden von Auftragsspitzen zugunsten konstanter Auslastung.
- Und schließlich geht es bei ProKapa auch um die Mitarbeiter: Wenn verbesserte Prognostik zu einer besseren Bündelung von Transporten führt, wird auch die Personalplanung stabiler und einfacher – was etwa hohen Bereitschaftszeiten entgegenwirken könnte.
Georg Brunnthaller betont, dass es nicht um die Suche nach der ultimativen Dispositions-Formel geht. „Die wird es wohl nie geben. Aber wenn wir es schaffen, in der Prognostik voran zu kommen, dann haben wir schon viel erreicht.“
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Zwei Perspektiven
Eine Besonderheit des ProKapa-Projekts ist die Tatsache, dass zwei Unternehmen teilnehmen, die – zumindest theoretisch – Wettbewerber sind. Zwar sind Unitcargo und Müller Transporte sehr unterschiedlich aufgestellt: Unitcargo als Spedition ohne eigenen Fuhrpark, Müller Transporte als klassischer Transporteur mit Fuhrpark, zudem mit sehr unterschiedlichen Kunden und Relationen – doch selbstverständlich sind derartige Kooperationen beileibe nicht. Unitcargo-Chef Davor Sertic sagt dazu: „Natürlich funktioniert das nur, weil wir weder Partner noch direkte Konkurrenten sind. Aber auch, wenn es keinen direkten Datenaustausch gibt: Ich denke, wir beide lernen auch voneinander, es ist eine gegenseitige Befruchtung.“
Für das Forschungsprojekt ist die Kooperation jedenfalls wertvoll. Erlaubt sie doch, zwei einander ergänzende Perspektiven einzunehmen, wie Georg Brunnthaller erklärt: „Auf der einen Seite betrachten wir den Auftraggeber, der Ware von einer Quelle zu einer Senke verschicken will. Auf der anderen Seite den Auftragnehmer, der Kapazitäten zur Verfügung stellt. Im Grunde machen wir also zwei Case Studies, in denen wir den dynamischen Prozess umsetzen wollen.“
Auf Auftraggeber-Seite geht es darum, eine Art automatisierten „Buchungsportals“ zu konzipieren: Basierend auf dem bestehenden Auftragsgefüge und dem prognostizierten Preisgefüge, soll hier eine optimale Lösung gefunden werden, wenn ein neuer Auftrag hinzukommt. Und damit entschieden werden: Ist es sinnvoller, die bestehende halbe Lkw-Ladung über drei Hubs zu schicken, oder sie direkt zum Ziel zu fahren? Wenn der Ansatz funktioniert, werden am Ende Bündelungspotenziale stehen – räumlich wie zeitlich. Und es wäre ein Vorgeschmack darauf, was in Zukunft vielleicht möglich sein wird: dass sich der neue Auftrag selbst „überlegt“, wo er sich einbucht.
Auf Aufragnehmer-Seite steht das Kapazitätsmanagement im Fokus. „Hier wird derjenige einen Vorteil haben, der mit seinem Lkw möglichst schon dort steht, wo demnächst mit gewisser Wahrscheinlichkeit ein Auftrag hereinkommt“, nennt Georg Brunnthaller das Ziel des Forschungsprojekts. Am Ende stünde im Erfolgsfall in erster Linie die Reduktion von Über- wie Unterkapazitäten. Und damit auch ein optimierter Einsatz der Lkw-Fahrer – angesichts des aktuellen Fahrermangels ein nicht minder spannendes Ziel.
Daten im Mittelpunkt
Grundlage solcher Überlegungen sind selbstredend gute Daten, und deren Qualität wird künftig noch wichtiger werden, sagt Brunnthaller: „Es wird entscheidend sein, sehr kurzfristig auskunftsfähig zu sein, was Transportmöglichkeiten und Preise betrifft.“
Für die beteiligte Unternehmen durchaus eine Herausforderung, wie Davor Sertic einräumt. Angesichts Relationen – und entsprechender Niederlassungen – von Skandinavien über Mittel- und Osteuropa bis jenseits des Kaspischen Meeres musste Unitcargo feststellen, dass der Umgang mit Daten nicht in allen Niederlassungen gleich gehandhabt wurde. Die Bereinigung der Daten war dementsprechend aufwendig – erlaubt nun aber eine neue Sicht auf das eigene Unternehmen. „Wir bestehen ja aus Abteilungen, die auf verschiedene Linien konzentriert und spezialisiert sind“, erzählt Davor Sertic. „Daher sieht jeder in erster Linie seinen Bereich, nicht aber das Gesamtbild. In dieser Form haben wir unsere Daten noch nie verarbeitet. Dieser wissenschaftliche Ansatz ist neu und äußerst spannend für uns.“
Angesichts überwiegend redundanter Ladungen und redundanter Fracht-Partner ist Davor Sertics Erwartung an das Forschungsprojekt klar: „Das Ziel des Projektes sind Forecasts, um besser planen zu können, sprich: die Reduktion von Leerkilometern, von Wartezeiten, von Entladestellen.“ Auch Sertic glaubt nicht, dass am Ende die logistische Weltformel stehen wird, „aber in der Logistik führen ja bekanntlich schon kleine Erkenntnisse zu großem Impact“.
Das Forschungsprojekt
Name: Dynamisches prognosegestütztes Kapazitätsmanagement zur Umsetzung von Rahmenbedingungen des Physical Internet („ProKapa“)
Förderprogramm: „Mobiltät der Zukunft“, FFG und bmvit
Antragsteller: Fraunhofer Austria Research
Partner: Risc Software, Müller Transporte, UnitCargo
Laufzeit: Oktober 2017 bis September 2019
ProKapa ist in gewissem Sinne ein Nachfolgeprojekt des bereits abgeschlossenen Projekts IPPO, das Fraunhofer gemeinsam mit Hödlmayr International und Risc Software durchgeführt hat. Im Unterschied zu ProKapa ging es dabei allerdings um die prognosegestützte Transportplanung mit längerem zeitlichem Horizont.