Case Study : Österreicher mischen im Online-Lebensmittelhandel mit
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Für seine Mitarbeiter klingt es wie eine Schilderung aus längst vergangenen Zeiten. „Wenn ich meinen französischen Kollegen erzähle, dass ich daheim in Gehweite vier Lebensmittelhändler finde, staunen sie nicht schlecht“, sagt Rudolf Hansl. Der Geschäftsführer der Knapp Systemintegration in Leoben erlebt vor allem in Frankreich einen Lebensmittel-Markt, „der dem unseren im E-Commerce-Geschäft um zehn bis 15 Jahre voraus ist“: riesige Märkte außerhalb der Ballungszentren und eine hohe Bereitschaft der Konsumenten, die alltäglichen Lebensmittel-Einkäufe im Internet zu erledigen – wobei sich Home Delivery und Abholstationen als parallele Last-Mile-Varianten etabliert haben.
Die Kooperation mit der französischen Lebensmittelkette Auchan ist für Knapp daher gewissermaßen ein Blick in die eigene Zukunft: „Ich bin davon überzeugt, dass sich der Online-Lebensmittelhandel auch in der DACH-Region sehr stark entwickeln wird“, meint Rudolf Hansl, „wohl nicht als Big Bang, aber kontinuierlich.“
Kein Vergleich zu Non-Food
Wenige Kilometer südlich von Paris liegt Chilly Mazarin. Der kleine Ort beherbergt neben einer Schlossruine und einer hochmittelalterlichen Kirche vor allem das gewaltige Distributionszentrum von AuchanDirect.fr, einem Online-Bestellportal, über das Auchan-Kunden in den Städten Paris, Lyon, Marseille und Lille innerhalb von 24 Stunden nach Bestellung mit Lebensmitteln versorgt. Von Chilly Mazarin aus werden dabei primär Bestellungen aus Paris und seinen Vororten erfüllt. Das Sortiment umfasst Tausende von Artikeln, darunter Getränke, Frischwaren, Tiefkühlwaren und ein großes Trockensortiment.
Als sich AuchanDirect.fr dafür entschied, Knapp als Logistikpartner an Bord zu holen, war klar, dass besondere Herausforderungen auf das Team von Knapp warteten. Denn im immer noch recht jungen Bereich des Lebensmittel-Onlinehandels herrschen grundlegend andere logistische Bedingungen als im Non-Food. „Der Lebensmittelhandel lebt ja davon, dass die Konsumenten täglich oder wöchentlich Einkäufe tätigen“, sagt Hansl, „im Non-Food-Bereich wird hingegen viel weniger regelmäßig und viel zielgerichteter gekauft.“ Hinzu kommt, dass der einzelne Basket bei Non-Food viel kleiner ist, häufig nur ein Stück umfasst – während der Online-Lebensmittelhandel über seine Preismodelle dafür sorgt, dass der Basket möglichst groß wird. „Es ist auch technisch ein wesentlicher Unterschied, ob ich nur ein Stück nehme und gleich verpacke, oder ob ich aus Zehntausend Artikeln ein paar Dutzend wähle und diese bis zur Anlieferung auch noch getrennt halten muss, da sie etwa unterschiedlichen Temperaturbereichen unterliegen.“
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46.000 Stellplätze
Umstände, auf die die Systemlösung E-Grocer zugeschnitten ist, auf die letztlich die Wahl fiel. Das Herz des Distributionszentrums von AuchanDirect.fr bildet das Lager- und Kommissioniersystem OSR Shuttle von Knapp.
Nach Anlieferung durch Lkw auf Paletten oder in Kisten werden die Artikel in den jeweiligen Lagerbereich transportiert. Schnelldreher gelangen für die manuelle Kommissionierung in das Paletten- bzw. Durchlaufregallager. Obst und Gemüse werden für die weitere Bearbeitung in ein Fachbodenregal einsortiert. Die Mittel- und Langsamdreher werden im Decanting-Bereich vereinzelt und manuell für die Einlagerung ins OSR Shuttle vorbereitet. Sieben Arbeitsplätze stehen für das Trocken-, vier für das Frischesortiment zur Verfügung.
Die leeren Auftragsbehälter werden automatisch entstapelt und nach dem Auftrags-Start beim Bagging mit Vinylsäcken versehen. Auftrag und Behälter werden dabei automatisch verknüpft, und die Behälter werden für die Auftrags-Zusammenstellung per Streamline-Fördertechnik durch die einzelnen Lagerbereiche befördert.
Für das Trockensortiment und für die Frischeartikel stehen jeweils ein Palettenlager sowie ein Durchlaufregallager für das Kommissionieren der Schnelldreher zur Verfügung. Die Schnelldreher werden zu Batchaufträgen zusammengefasst, wodurch eine weg- und zeitoptimierte Kommissionierung von mehreren Aufträgen möglich ist. Die Kommissionierung der Artikel erfolgt direkt von der Palette oder aus dem Durchlaufregal in den Auftragsbehälter, der automatisiert im jeweiligen Kommissionierbereich zur Verfügung gestellt wird. Danach übergibt der Mitarbeiter den Behälter wieder an die Fördertechnik, damit dieser in den nächsten Kommissionierbereich gelangt.
Das OSR Shuttle ermöglicht eine platzsparende und effiziente Lagerung der Artikel des Trocken- und Frischesortiments. Mit je einem System stehen für das Trockensortiment in acht Gassen auf 16 Ebenen rund 35.000 und für das Frischesortiment in fünf Gassen auf 16 Ebenen rund 11.000 Stellplätze zur Verfügung.
Shuttle-Systeme als Versandpuffer
Das Lager- und Ware-zur-Person-Kommissioniersystem stellt die Quellbehälter in der richtigen Sequenz für die Kommissionierung an den angebundenen Pick-it-Easy Health-Arbeitsplätzen bereit (acht für das Trocken-, vier für das Frischesortiment). Hier werden die Artikel direkt in die Tasche kommissioniert. Die Benutzeroberfläche ist nach dem easyUse-Bedienkonzept gestaltet und leitet den Mitarbeiter einfach durch den Kommissionierprozess. Ein Lichtleitsystem erkennt Fehlpicks und trägt somit zur Qualitätssicherung bei. Ist der Auftrag fertiggestellt, werden die Behälter aus dem Frischebereich wieder zurück in das OSR Shuttle transportiert, in dem eigene Stellplätze für die Versandpufferung vorgesehen sind. Für das Trockensortiment steht ein baulich getrenntes Shuttle-System zur Verfügung, das als Versandpuffer für die fertiggestellten Aufträge dient.
Die Kommissionierung des Obst- und Gemüsesortiments erfolgt direkt aus einem Fachbodenregal in die Auftragsbehälter. Die Behälter werden dafür aus dem OSR Shuttle ausgelagert und im Kommissionierbereich zur Verfügung gestellt. Nachdem die Artikel in die jeweiligen Auftragsbehälter kommissioniert wurden, werden diese über die Fördertechnik zur Zwischenlagerung bis zur Auslieferung an das OSR Shuttle übergeben. Für das Trockensortiment steht ein eigenes Shuttle-System zur Verfügung, das mit zwei Gassen auf 16 Ebenen und 4.100 Stellplätzen als Versandpuffer genutzt wird.
Die fertiggestellten Aufträge werden zunächst eingelagert – sobald die Aufträge für eine Tour fertiggestellt sind, gelangen die Auftragsbehälter automatisch in optimaler Sequenz aus dem OSR Shuttle im Frischebereich oder aus dem OSR Shuttle-Versandpuffer für das Trockensortiment und werden der automatischen Stapelung zugeführt. Die erfolgt in umgekehrter Liefersequenz, sodass die Auslieferung effizient und fehlerfrei abgewickelt werden kann. Die Konsumenten erhalten ihre Lieferung letztendlich in den – kompostierbaren – Vinylsäcken.
Auftraggeber
AuchanDirect.fr (Paris) ist ein Online-Bestellportal der französischen Lebensmittelkette Auchan (Croix). Vom Distributionszentrum in Chilly Mazarin nahe Paris aus werden primär Konsumenten aus dem Raum Paris und seinen Vororten beliefert. Die Lieferung erfolgt dabei für Kunden aus Paris, Lyon, Marseille und Lille innerhalb von höchstens 24 Stunden nach Bestellung.
Auftragnehmer
Firmenname: Knapp AG
Gründungsjahr: 1952
Vorstand: Gerald Hofer (CEO), Franz Mathi (COO), Christian Grabner (CFO)
Mitarbeiterzahl: 3.400
Jahresumsatz: 632 Mio. Euro (2016/17)
Projekte im Lebensmittelhandel: 140 Food-Retail-Projekte in mehr als 30 Ländern
Referenzen im Lebensmittelhandel: Edeka, Spar, Rewe, Migros, Trinkgut, Bahlsen, Kaiser’s Tengelmann, Shoprite, Wal-Mart, tmall.com, Lotte Mart, tudespensa.com
dispo: Herr Hansl, wie sehr sind Systeme wie jenes für AuchanDirect.fr tailormade?
Rudolf Hansl: Die Grundfunktion solcher Lösungen bleibt immer ähnlich, wenngleich sich vieles weiterentwickelt. Die Möglichkeiten etwa der Sequenzierung oder der Pufferung werden mit jeder technischen Generation erweitert. Wir lernen also dazu – aber auch unsere Kunden lernen permanent in Bezug auf die Erwartungen der Konsumenten. Unser Markt ist äußerst dynamisch. Natürlich gibt es auch gewisse Philosophien der Auftraggeber, die zu berücksichtigen sind. Viele Lebensmittelhändler haben ja eigene Logistikabteilungen, und damit existieren auch immer wieder Leidenschaften und Vorlieben. Auch Logistiker haben so etwas (lacht).
Sind diese Befindlichkeiten ein Problem?
Hansl: Nein. In der Logistik geht’s nicht um Befindlichkeiten. Die Ansätze sind nicht immer deckungsgleich, aber im Grundsatz ist man sich meist rasch einig. Der Prozess bis zum Business Case ist aber natürlich intensiv, das dauert meiner Erfahrung nach bei großen Projekten zwischen sechs Monaten und drei Jahren. Manche Auftraggeber unternehmen mit uns mehrere Referenz-Reisen und sehen sich verschiedene Lösungen an. Parallel dazu analysieren wir ihre Daten und erarbeiten die Zielzahlen. Das ist ja die größte Herausforderung für alle E-Commercer: Was wagt man zu prognostizieren?
A propos Befindlichkeiten: Hören Sie als Automatisierer eigentlich oft den Vorwurf, dass Sie Jobs vernichten?
Hansl: Es ist auszuhalten. Tatsächlich ermöglicht oder unterstützt ja erst die Automatisierung das Wachstum unserer Kunden. Somit werden bei den Kunden Jobs sowohl direkt in Service und Automatisierung als auch indirekt geschaffen. In Summe wachsen die meisten unserer Kunden sehr stark.
Außerdem fällt bei dieser Debatte meiner Meinung nach ein wesentliches Argument meist unter den Tisch: Unsere Kunden finden die Mitarbeiter gar nicht mehr, die sie für die manuelle Bearbeitung der Aufträge bräuchten. Und zwar auch in Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit, wie etwa im Raum Madrid. Dort habe ich von Kunden gehört, dass sie einfacher Servicetechniker und IT-Ingenieure finden als die vielen Kommissionierer, die sie benötigten. In unserer Branche geht es derzeit fast jedem so. Die forcierte Automatisierung ist nicht zuletzt eine Reaktion unserer Kunden auf diesen Umstand.
Diese Story finden Sie auch in dispo Ausgabe 1-2/2018.