dispo: Herr Stiftner, die BVL stellt ihren Logistik Dialog heuer unter das Motto ‚Werte Welt Wandel’. Der Begriff ‚Werte’ ist bewusst doppeldeutig?
Roman Stiftner: Natürlich erlaubt das Wort mehrere Assoziationsketten und wirft verschiedene Fragen auf. Ganz profan kann man ‚Werte’ als ‚Wertschöpfung’ verstehen. Und in der Frage, wie sich dieser Wert verändert und wie Unternehmen ihn sichern können, spielen Supply Chain und Logistik bekanntlich eine zentrale Rolle. Gleichzeitig geht es uns um die Frage, wie sich die Gesellschaft und die Arbeitswelt verändern. Die Digitalisierung ermöglicht neue Formen der Arbeit, wobei ich ganz offen sage: Ich glaube nicht, dass diese Entwicklung eine große Reduktion an Arbeitsplätzen mit sich bringen wird. Wir erleben einen Transformationsprozess, und der wird einzelne zweifellos schmerzhaft treffen und für andere heute noch unbekannte Möglichkeiten schaffen. Wie die Gesellschaft ersteren unter die Arme greifen kann, muss natürlich auch Teil der Debatte sein. Ähnliche Transformationsprozesse haben sich allerdings in der Geschichte schon mehrfach wiederholt, das ist nichts genuin Neues.
Die Digitalisierung schreckt Sie also nicht?
Stiftner: Man muss doch konstatieren, dass sich die Arbeitsbedingungen der Menschen im Schnitt deutlich verbessert haben. Gewisse unangenehme oder gefährliche Arbeiten muten wir heute niemandem mehr zu, auch, weil wir sie an Maschinen delegieren können. Gleichzeitig kommt es zu einer Effizienz- und Produktivitäts-Steigerung. Und die ist in unserem Wirtschaftssystem nun einmal Voraussetzung, will man Sozialsysteme, Arbeitsplätze und Steuersysteme erhalten. Natürlich erleben wir derzeit eine ziemlich beschleunigte Form der Transformation, manchmal disruptiv. Aber gerade ein Land wie Österreich mit seiner exzellenten Mitarbeiter- und Unternehmensstruktur in der Supply Chain hat die beste Basis, diesem Prozess zu begegnen. Auch das sind Themen, die wir mit dem Logistik Dialog in den Fokus stellen und diskutieren wollen.
Industrielle Digitalisierung wird meist mit industrieller Globalisierung assoziiert. Ist die nicht gerade unter Druck?
Stiftner: Ich sehe das Pendel derzeit tatsächlich von der Globalisierung wegschwingen. Das Muster, Waren irgendwo zu produzieren und dann weltweit zu verteilen, bekommt Risse. Dahinter stehen auch veränderte Bedürfnisse: Wir alle sind ein Stückchen anspruchsvoller geworden, was Customizing betrifft. Klassische industrielle Massenproduktion erfüllt dieses Bedürfnis aber nicht. Hier entsteht durch Individualität eine neue Komplexität, die entsprechend in den Produktions- und Verteilungsprozess eingearbeitet werden muss. Das verändert die komplette Supply Chain. Und wenn wir das richtig gestalten, dann folgen wir nicht nur einem ökonomischen Zwang, sondern können auch viel im ökologischen Sinne bewirken.
Inwiefern?
Stiftner: Wenn man gewisse Produkte nicht mehr um die ganze Welt schickt, sondern vielleicht nur noch Vorstufen, und wenn man die weiteren Schritte etwa mit Hilfe des 3D-Drucks geht, dann schafft man Kosten- und Umwelteffizienz gleichermaßen. Nachhaltigkeit ist für die BVL Österreich generell und für den Logistik Dialog speziell ein zentrales Thema, daher verleihen wir ja auch jedes Jahr den Nachhaltigkeitspreis Logistik. Wir wollen Nachhaltigkeit als einen Dreiklang von gesellschaftlichen, umwelttechnischen und wirtschaftlichen Aspekten darstellen – denn nur so wird es funktionieren. Wer glaubt, das Thema alleine mit Marketing zu befördern, wird sich täuschen.
Ist das ein Zugang, der auch das Image der Logistik verbessern kann?
Stiftner: Ich glaube, dass wir in Österreich hinsichtlich des Verständnisses für Logistik besser aufgestellt sind als manche andere Länder. Gewisse Einzelinteressen von Kommunen oder Bürgern sind verständlich und auch legitim, aber ich sehe unsere Aufgabe als Verband auch darin, gegenüber der Öffentlichkeit die Vorteile von Logistik-Standorten zu kommunizieren – letztlich auch ihre ökologische Sinnhaftigkeit. Ich verstehe in diesem Zusammenhang übrigens nicht, warum die Stadt Wien nicht insgesamt deutlich mehr Logistikflächen vorhält, ich denke, das könnte wesentlich zur Entspannung beitragen. Aber ich will auch das Positive betonen: Österreich hat sich etwa im Logistik-Indikator zuletzt verbessert. Auch im Innovations-Indikator liegen wir mit dem neunten Platz sehr gut. Im Digitalisierungs-Bereich ist Luft nach oben, aber das Thema Logistik scheint ja im Fokus der neuen Bundesregierung zu sein.
Worauf beziehen Sie sich da?
Stiftner: Ich freue mich über zwei Initiativen im Regierungsprogramm. Einerseits ist der generelle Digitalisierungs-Ansatz aus der Sicht der Supply-Chain-Entwicklung sehr positiv zu sehen. Hier könnten wir es wirklich schaffen, im urbanen, vor allem aber auch im ländlichen Bereich dem Mittelmaß zu entkommen. Wir wollen ja nicht, dass die Speckgürtel der Städte weiter wachsen, sondern, dass die Wertschöpfungsketten in den ländlichen Raum verlängert werden, damit auch dort Betriebsansiedlungen attraktiver werden. Und zweitens hat sich die Regierung vorgenommen, die Genehmigungsverfahren bei Großprojekten zu straffen. Es ist wichtig, hier gegenüber Investoren Klarheit zu schaffen: Wenn Entscheidungen einmal getroffen sind, herrscht auch Rechtssicherheit, ein Ja muss ein Ja bleiben. Insgesamt scheint die Regierung die Relevanz der Logistik für den Standort zu würdigen, und das halte ich für sehr erfreulich.
Darüber hinaus hat sich der Arbeitsausschuss Logistik im bmvit wirklich gut etabliert, und ich erlebe die Arbeit dort als völlig unabhängig und nur an der Sache orientiert. Und dass im bmvit vor drei Jahren ein eigener Logistikbeauftragter eingesetzt wurde, war natürlich ein ganz wesentlicher Fortschritt. Nichts ist schlimmer, als nicht zu wissen, wer eigentlich zuständig ist.
Zur Person
Roman Stiftner ist Präsident der Bundesvereinigung Logistik Österreich und Geschäftsführer der Fachverbände Bergbau-Stahl und NE-Metall in der WKO. Der studierte Wirtschaftstechniker (TU Wien) gehörte zehn Jahre lang dem Management der Siemens AG Österreich an, ehe er die Geschäftsführung der Dematic GmbH In Österreich übernahm. Von 2005 bis 2015 war Roman Stiftner außerdem Landtagsabgeordneter und Gemeinderat in Wien.
Der 34. BVL Logistik Dialog
Termin: 12.–13. April 2018
Ort: Eventhotel Pyramide Wien-Vösendorf
Speakers (Auswahl): Altabt Gregor Henckel-Donnersmarck, Robert Blackburn (BVL Deutschland), Moritz Rudolf (Eurasia Bridges), Martina Tragenreif (Hoerbiger), Peter Umundum und Walter Hitziger (Öst. Post), Andreas Breinbauer (FH des bfi), Gerald Hofer (Knapp), Klaus Schierhackl (Asfinag), Christoph Matschke (Rewe)
Informationen: www.bvl.at