Dienstleister : Ruhe vor dem Sturm?
Konjunkturabschwächung? Gott sei Dank! Als Österreichs Wirtschaftsforscher ein verlangsamtes Wirtschaftswachstum für den Rest des Jahres prophezeiten, ging ein Hauch der Erleichterung durch die Transportbranche. Endlich durchatmen, soll sich so mancher Vorstand im Stillen gedacht haben. Kein Wunder: Die letzten zwei Jahre waren von einem Wachstum geprägt, das viele Unternehmen an den Rand Ihrer Möglichkeiten gebracht hat – auch wenn man das nicht unbedingt zugab.
„Die Konjunktur in der Branche war auf eine ungesunde Art überhitzt. Wenn alle zu wenige Mittel, aber zu viele Aufträge haben, führt das zwangsläufig dazu, dass die Qualität leidet“, fasst Franz Staberhofer, Professor für Logistik-Management an der FH Oberösterreich, die Situation zusammen. Und auch der Vorstand eines großen österreichischen Logistik-Anbieters bestätigt, über die anbrechende etwas langsamere Gangart alles andere als unglücklich zu sein: „Die Transportbranche hatte in den letzten Jahren ja massive Kapazitätsprobleme. Wenn jetzt eine Konjunkturdelle kommt, dann wird sie möglicherweise den Effekt haben, dass eine Entspannung eintritt.“
Konjunkturdelle: Chance für Besinnung oder doch ein Grund zum Fürchten?
Auch Alexander Klacska, WKO-Bundesspartenobmann Transport und Verkehr, sieht die Konjunkturprognosen für die nähere Zukunft sehr gelassen. „Ich sehe die angekündigte Verlangsamung der Konjunktur nicht als beunruhigend für die Transportbranche an. Die Auftragsbücher österreichischer Industrieunternehmen sind nach wie vor gut gefüllt.“ Nachsatz: Abgesehen davon deuteten weder der Treibstoffabsatz noch die aktuelle Fahrleistungsstatistik der Asfinag auf einen wirklichen Abschwung hin.
An einigen wenigen Stellen merken Transporteure allerdings doch, dass sich das wirtschaftliche Umfeld verändert. Bei den Transporten für die Automobilindustrie habe man schon im letzten Quartal des Vorjahres eine leichte Reduktion der Mengen beobachten können, erzählt etwa Gebrüder-Weiss-Vorstand Wolfram Senger-Weiss. Andere wiederum berichten von etwas weniger Aufträgen aus der Papierindustrie. Doch Konsumgütertransporte, Lieferungen für andere Industriezweige und für die Baubranche sowie der durch E-Commerce befeuerte KEP-Sektor brummen wie eh und je. Weshalb sich die meisten Akteure auch in den kommenden Monaten auf Business as Usual einstellen.
Auch Davor Sertic, Chef von UnitCargo, geht davon aus, dass es im Transportwesen noch eine Weile weitergehen wird wie bisher. „Doch in zwei Jahren“, sagt der auf den Straßenkorridor Skandinavien-Südosteuropa spezialisierte Unternehmer, „haben wir die nächste Krise, keine Delle mehr, sondern eine richtige Krise.“ Behält Sertic recht, könnten in der Branche so manche Karten neu gemischt werden. Denn an strukturellen Problemen mangelt es nicht. Bislang sind sie allerdings durch die gute Auftragslage gnädig überdeckt worden.
Seit Jahren schon jammern Spediteure, dass sie zu wenig verdienen, die Margen zu niedrig sind und sich das Geschäft nur dann rentiert, wenn aus Fuhrpark und Personal das maximal Mögliche herausholt wird. Alternativen zu dieser Selbstausbeutung sind rar. Denn viele Möglichkeiten, die Produktivität zu steigern, bietet das Geschäft nicht mehr. Die Routenplanung ist, jedenfalls bei den Marktführern, bereits so durchoptimiert, dass weitere Verbesserungen nur noch mit Hilfe von regelrechten Systembrüchen denkbar sind. Auch an den Schrauben Be- und Entladung lässt sich nicht mehr allzu stark drehen. „Für weitere Produktivitätssteigerungen wäre eine Lockerung der derzeit gültigen Fahrverbote nötig“, sagt daher Alexander Klacska. Politisch durchsetzbar ist das derzeit allerdings kaum.
Platooning und Co: Warum die Branche ihre Produktivität kaum noch steigern kann
Anders als die produzierende Industrie tut sich die Transportbranche auch schwer, das gängigste aller Rezepte zur Produktivitätssteigerung flächendeckend umzusetzen: die Automatisierung. Autonomes Fahren und Platooning geistern als Zukunftshoffnung zwar schon seit Jahren durch die Entwicklungsabteilungen der Lkw-Hersteller und tauchen auch regelmäßig in Logistiker-Planspielen auf, doch noch sind sie eine Utopie – und werden es möglicherweise auch bleiben.
Technisch schon heute machbar, stößt Platooning vor allem auf organisatorische Hürden. „Ich bin nicht sicher, ob Platooning wirklich eine praktikable Lösung ist“, sagt zum Beispiel der Chef von Lagermax und Präsident im Zentralverband Spedition und Logistik, Alexander Friesz. Die Einwände, die Friesz vorbringt, werden bereits seit Längerem diskutiert: Wenn Platoons immer wieder durch einscherende Pkw unterbrochen werden, kann das System nicht funktionieren. Denn dann geht immer wieder die Verbindung zwischen dem Führungsfahrzeug und dem Platoon verloren und muss erst recht durch manuelle Manöver wiederhergestellt werden. Verhindern ließe sich das nur, würde man die äußerste linke Spur für Platoons reservieren. Das wäre allerdings nur auf Autobahnen machbar, die zumindest dreispurig ausgebaut sind.
„Für Platooning wird es eine Infrastruktur brauchen, die Güter- und Individualverkehr viel strenger trennt als heute“, sagt auch Alexander Klacska, der allerdings die organisatorischen Hürden nicht für unüberwindbar hält. Auch wenn er einräumt: „Natürlich wäre dazu ein ziemlicher Kulturwandel nötig.“
Dass Platooning grundsätzlich machbar ist, glaubt auch Logistik-Professor Staberhofer. Wenn Schätzungen zufolge in Deutschland rund 50.000 Lkw-Fahrer fehlen, sagt er, und wenn in den nächsten Jahren weitere 90.000 Fahrer in Pension gehen werden, dann werde man sich etwas überlegen müssen: „Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird es auf Lösungen wie Platooning oder andere Formen des autonomen oder teilautonomen Fahrens auslaufen. Wenn die Not erst einmal groß genug ist, wird man auch bald Wege finden, wie man Platooning organisatorisch und legistisch möglich machen kann.“
Dass sich Daimler Anfang des Jahres aus der Platooning-Entwicklung zurückgezogen hat, wird von vielen Branchenbeobachtern allerdings als ein Indiz dafür gewertet, dass neben rechtlichen und praktischen Einwänden offenbar auch eine große Unsicherheit darüber besteht, ob das System je wirtschaftlich erfolgreich sein wird. Anstatt über Dinge zu diskutieren, die möglicherweise nie flächendeckend kommen werden, weil sie sich nicht rechnen, sollte man daher eher über unmittelbar mögliche Maßnahmen zur Produktivitätssteigerung nachdenken, findet daher der Spediteur Wolfram Senger-Weiss: „Anstatt von Platooning zu träumen, ließen sich schon beträchtliche Effizienzsteigerungen erreichen, dürften in Österreich Lang-Lkw eingesetzt werden. Und da meine ich wirklich nur mehr Länge, nicht mehr Gewicht.“
Auch Davor Sertic von UnitCargo hat so seine Zweifel an Platooning, vor allem aber daran, ob der für technische Änderungen dieses Ausmaßes nötige Umbau der öffentlichen Infrastruktur funktionieren kann. „Meine Erfahrungen mit dem Ausbau der Internet-Infrastruktur in Hietzing, wo wir in unserer Zentrale ursprünglich kein Breitband hatten und die entsprechenden Leitungen auf eigene Kosten graben mussten, lassen mich ein wenig daran zweifeln.“ Aber, ergänzt Sertic, vielleicht täusche er sich ja: „Vielleicht wird es wie beim Handy sein. Da hat man zunächst auch nicht so recht daran geglaubt, und auf einmal war es allgegenwärtig.“
Der Versuch vorherzusagen, ob und welche Neuerung sich tatsächlich durchsetzen wird, ist jedenfalls ein schwieriges Unterfangen. Das gesteht auch Andreas Breinbauer ein, Leiter des Studiengangs Logistik und Transportmanagement an der FH des bfi Wien. „Die Intensität, mit der eine Innovation in der Logistik-Community thematisiert wird, kann allerdings als ein möglicher Indikator für eine Prognose dienen“, sagt er.
Eine Untersuchung, die Reinhold Schodl und Sandra Eitler, zwei Fachkollegen von Breinbauer, durchgeführt haben, zeigt, dass Platooning nicht zu den am häufigsten branchenintern diskutierten Themen gehört. Da führen unangefochten reine Digitalisierungsfragen: Big Data vor Internet of Things. Erst dann folgt der große Bereich der autonomen Fahrzeuge, wobei in diese Kategorie neben Platooning auch viele andere Neuerungen hineinfallen, etwa autonomes Fahren in der Intralogistik.
Marktbereinigung: Kommt sie nun wirklich?
Wenige Möglichkeiten, um die Produktivität zu steigern, ein bevorstehender riesiger technischer Umbruch, von dem niemand weiß, wie er aussehen soll, neue Player, die in den Markt drängen wie zum Beispiel Amazon: Kommt statt einer Delle doch ein richtiger Abschwung, sei angesichts dieser Rahmenbedingungen eine Marktbereinigung unumgänglich, finden viele Analytiker. Treffen werde sie vor allem jene unterkapitalisierten kleinen und mittelgroßen Anbieter, die es nicht schaffen, sich als Spezialisten zu positionieren. Doch auch für die ganz Großen der Branche könnte das Geschäft härter werden. Haben Sie bislang einfach möglichst viele Felder bespielt und daraus Umsatz generiert, werden sie in Zukunft viel mehr darüber nachdenken müssen, wie sie diese Felder zu funktionierenden Ökosystemen verknüpfen.
Die meisten österreichischen Akteure wollen an eine bevorstehende Marktbereinigung allerdings trotzdem nicht so recht glauben. „Davon reden wir schon seit dreißig Jahren, bei jeder Krise. Gegeben hat es diese Marktbereinigung dann allerdings noch nie. Manche Anbieter sind zwar verschwunden, dafür sind bald zwei andere neue aufgetaucht“, kommentiert ein alter Branchen-Haudegen. Mehr noch: Statt monopolistischer Tendenzen, die sie auf Europaebene vor allem im KEP-Bereich ausmachen, sehen viele Transporteure nun erste Anzeichen für eine Trendwende in Richtung Entflechtung. „In der Vergangenheit haben wir in Europa die Entwicklung erlebt, dass Post- und Bahnbetriebe eine Konsolidierung der Industrie vorangetrieben haben, mit Zukäufen, Übernahmen. Jetzt gibt es Anzeichen einer Gegenbewegung dazu“, sagt etwa Wolfram Senger-Weiss.
Eine unbekannte Variable bleibt bei allen Marktbereinigungsspekulationen auch der Eintritt von Amazon und möglicherweise anderen E-Commerce-Anbietern in das Transportgeschäft. Denn anders als die Logistiker selbst, müssen Amazon und Co mit dem Zustellen von Paketen keine Gewinne machen. Es reicht schon, wenn sich die Verluste in Grenzen halten. Geld verdienen sie ohnehin anderswo. Und das wird ihnen nicht so schnell ausgehen – denn das Online-Geschäft wächst ununterbrochen, in Österreich achtmal so schnell wie der stationäre Handel.
Für Transporteure bedeutet das einen nahezu endlosen Auftragsstrom – nicht nur in der KEP-Logistik. Auch Hub-to-Hub-Transporteure können auf E-Commerce gestützt neue Abläufe etablieren, wie Davor Sertic erklärt. „E-Commerce ermöglicht uns, Linien aufzubauen, die wir regelmäßig bedienen. Das wiederum erleichtert eine nachhaltige Planung, nicht nur ökonomisch und ökologisch, indem man möglichst wenig leere Kilometer fährt, sondern auch sozial, weil Linienverkehre dem Fahrer erlauben, zu fixen Zeiten daheim zu sein.“ Das sei in Zeiten von akutem Personalmangel ein kaum zu überschätzender Vorteil.
E-Commerce: Immer noch ein Segen, aber auch ein wenig Fluch
Für jene, die auf den letzten Meilen unterwegs sind, wird E-Commerce in der Zukunft aber auch noch mehr Druck in Richtung Flexibilität bedeuten. Längst hat der allgegenwärtige Online-Handel zu einer Verkleinerung der Sendungsvolumina geführt, die auch auf das B2B-Segment durchschlägt, wie Hermann Költringer, Managing Director bei Quehenberger erklärt: „Auch der stationäre Handel lässt sich heute deutlich kleinere Mengen liefern, weil Filialen, die früher vielleicht zwei oder drei Mal in der Woche angefahren wurden, heute täglich angefahren werden.“ Es seien vor allem Click-and-Collect-Angebote, die die veränderte Frequenz nötig machen: „ Der Kunde will die bestellte Ware ja spätestens am nächsten Tag abholen können.“
Begegnen können Logistiker diesen geänderten Rahmenbedingungen vor allem mit zwei Maßnahmen, sagt Költringer: mit veränderter Tourenplanung, um Bündelungseffekte zu erreichen, und mit verändertem Equipment. „Dort, wo wir früher mit einem 18-Tonner mit Hebebühne gefahren sind, setzen wir heute oft 3,5-Tonner ein, wie sie auch die klassischen Paketzusteller verwenden.“
Bei aller Freude über den Boost-Effekt, den E-Commerce für Transporteure bedeutet, kann die Branche aber letztlich auch nicht an der Tatsache vorbei, dass das damit verbundene Wachstum früher oder später nicht mehr bewältigbar sein wird. Eher früher. „Fachleute erwarten bis zum Jahr 2030 eine Verdoppelung des Güterverkehrs auf der Straße“, sagt Alexander Friesz und merkt an, dass die Situation eine Neuorientierung erfordere. „Um die Herausforderungen, die sich aus E-Commerce ergeben, zu bewältigen, werden wir zu Modellen zurückkehren müssen, die wir als überholt geglaubt haben. Vor dreißig Jahren hat man Lager zentralisiert, heute müssen wir wieder über Dezentralisierung nachdenken.“
Dezentralisierung hätte aber nicht nur Sinn, um Wege zu verkürzen und die Zustellung flexibler zu machen. Sie wäre auch eine Möglichkeit, mehr der mit E-Commerce verbundenen Wertschöpfung nach Österreich zu holen. Immerhin sind siebzig bis achtzig Prozent der in Österreich online georderten Waren nichtösterreichischen Ursprungs. Werden Sie von heimischen Lagern ausgeliefert, ändert das zwar nicht ihre Herkunft, verbessert aber die Wertschöpfungsbilanz.
Neben Dezentralisierung und neuem Equipment sind unter Logistikern inzwischen aber auch gesetzliche Einschränkungen kein völliges Tabu mehr, wenn über die Zukunft diskutiert des E-Commerce wird. Er sei wirklich keiner, der schnell nach dem Staat ruft, sagt etwa Logistik-Professor Staberhofer, doch E-Commerce erfordere ein regulatorisches Korrektiv: „In diesem Fall ist die Politik tatsächlich gefragt, Rahmenbedingungen zu schaffen, die die CO2-Bilanz von E-Commerce verbessern.“
Eine Lösung, für die Staberhofer sich begeistern könnte, wären verpflichtende Gebühren für Rücklieferungen. Schafft man es nicht, die unzähligen durch Retouren verursachten Fahrten einzudämmen, sagt der Professor, wird es teuer: Versäumt Österreich, seine CO2-Emmissionen den europäischen Klimareduktionszielen entsprechend zu senken, drohen empfindliche Strafzahlungen. Von bis zu 6,6 Milliarden Euro war zuletzt die Rede.
Auch Gebrüder-Weiss-Chef Wolfram-Senger Weiss sieht so manches, das im Umfeld von E-Commerce passiert, für wert, neu überdacht zu werden: „E-Commerce treibt das Geschäft an. Ich denke aber schon, dass wir diskutieren sollten, ob die sofortige Verfügbarkeit von allem, samt der Option, es sofort kostenfrei zurückschicken zu können, ein nachhaltiges Ziel ist.“