Brenner-Gipfel : Warum der Brenner ein Problem bleibt
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Nach dem Gipfel ist vor dem Gipfel. Am 5. Februar suchten die Verkehrsminister von Österreich, Deutschland, Italien und Bayern, die Landeshauptleute von Tirol, Südtirol und Trentino sowie die Tiroler Verkehrsreferentin einmal mehr nach mehrheitsfähigen Lösungen für den Verkehr über den Brenner. Mit eher bescheidenem Erfolg.
Dass nun sowohl Verkehrsminister Hofer („einen großen Schritt weiter gekommen“) als auch Tirols Landeshauptmann Platter („Bewegung in die Transitdebatte gebracht“) den Gipfel als Erfolg verkaufen, liegt in der Natur des politischen Geschäfts – und an den Tiroler Landtagswahlen Ende Februar. Im Kern konnten sich die Gipfelteilnehmer aber letztlich nur darauf einigen, wozu sie sie sich auf dem Papier ohnehin schon seit Jahren bekennen: dass der Brennerverkehr von der Straße auf die Schiene verlegt werden soll. Darüber, wie, sind die Vorstellungen hingegen höchst unterschiedlich.
Wenig überraschend fordern Logistiker daher einmal mehr, dass die Politik sich aus der Brennersache möglichst raushalten sollte: „Wichtig wäre, dass das Brenner-Thema nicht nur von der Politik abgehandelt wird, sondern auch direkt Betroffene, also die Wirtschaft und die Einwohner, mit einbezogen werden“, sagt etwa Alexander Klacska, Geschäftsführer der Klacska Group und Bundesspartenobmann in der WKO. Und sein Kollege Wolfram Senger-Weiss, Präsident des Zentralverbandes Spedition & Logistik, ergänzt: „Ja, die Alpen sind eine ökologisch sensible Region. Die Politik sollte die Brenner-Frage aber dennoch tunlichst aus dem Tagesgeschäft raushalten und langfristige Lösungen anstreben.“
Soweit herrscht sogar Einigkeit mit dem Verkehrsclub Österreich, kraft seines grünen Verständnisses nicht unbedingt als ein Exponent der Frächter-Lobby bekannt. Auch der VCÖ-Experte Markus Gansterer spricht den dringenden Wunsch nach der Entkoppelung der Brennerfrage von der Tagespolitik aus. Während Gansterer die angestrebte Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene aber auch mit politischen Lenkungsmaßnahmen erreichen will, sieht die Logistik-Branche den Hebel vor allem in Infrastrukturverbesserungen, die den ihrer Ansicht nach oft unattraktiven Alpentransit per Bahn beflügeln sollen.
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Bahn contra Lkw
Akteure: Frächter gegen Schienenlobby und Umweltschützer.
Alexander Klacska bekennt sich jedenfalls im Moment ganz offen dazu, das Angebot der rollenden Landstraße ROLA derzeit gar nicht zu nützen: „Die Anmeldefristen sind so unflexibel, dass unser Unternehmen die ROLA überhaupt nicht nützen kann. Dazu sind unsere Aufträge zu kurzfristig.“ Das Angebot der rollenden Landstraße passe nicht zur Nachfrage. Um attraktiv zu werden, sollten sowohl die Anzahl der Abfahrten erhöht werden als auch ein Ad-hoc-Anmeldesystem etabliert werden, finden auch andere Frächter.
Die Rail Cargo als Betreiber der rollenden Landstraße auf den Strecken Wörgl-Brennersee und Wörgl-Trento reagiert auf diese Kritik mit Erstaunen. Bis zu achtzehn Mal am Tag bediene man den Abschnitt Wörgl-Brennersee, zwei Mal am Tag jenen zwischen Wörgl und Trento. Auch den Vorwurf mangelnder Flexibilität weist das Unternehmen in der Person ihres Sprechers Bernhard Rieder zurück: „Die durchschnittliche Buchungszeit beträgt ein bis zwei Tage im Voraus. Nur an stark nachgefragten Tagen wie Wochenenden oder staatlichen österreichischen Feiertagen sichern sich Frachtunternehmen ihre Plätze früher.“ Und zum Wunsch nach Ad-hoc-Abfertigung erklärt Rieder: „Es werden natürlich auch Lkw ohne Buchung angenommen und entsprechend freier Kapazitäten verladen.“
Die Frächter befriedigt die Situation dennoch nicht. Denn die rollende Landstraße sei ohnehin nicht immer die sinnvollste Lösung. Vielfach wäre der unbegleitete Transport per Container, Trailer oder Wechselbrücke die bessere Variante. Dazu sei er im Moment aber zu umständlich: „Wenn es in Verona Verladezeiten von sechs Stunden gibt, dann ist das für Frächter uninteressant. In dieser Zeit ist ein Lkw bereits in München“, moniert Alexander Klascka.
Für Verladeprobleme auf der Strecke zwischen Norditalien und Deutschland kann die österreichische Rail Cargo allerdings nichts. Denn diese Aufgabe wird von der Lokomotion GmbH besorgt, deren Gesellschafter die DB Cargo AG, die STR AG, die Kombiverkehr GmbH & Co. KG sowie die Rail Traction Company SpA sind. Und die auf der Brennerachse immerhin eine Frequenz von bis zu fünfzehn Rundläufen pro Tag schafft.
Bessere Rahmenbedingungen für den Bahnverkehr wünscht sich im Übrigen auch der Verkehrsclub Österreich: „Viele Vorschriften behindern den innereuropäischen Bahnverkehr, etwa hohe Anforderungen an die Sprachkenntnisse. Das erzwingt oft einen Lokführer-Wechsel an der Grenze“, sagt Markus Gansterer. Einen weiteren Punkt, der den Lkw-Verkehr unnötigerweise forciert, ortet die Tiroler Landehauptmann-Stellvertreterin Ingrid Felipe – die steuerliche Begünstigung von Diesel: „Das Dieselprivileg wurde in München als klarer Magnet für den Transit ausgemacht.“
Transitnutzer contra Alpenanrainer
Akteure: Österreich gegen Deutschland und Italien.
Der Streit um gesetzliche Regelungen beherrscht nicht nur die Auseinandersetzung zwischen den Frächtern und ihren Kritikern. Auch die am Brennerkorridor liegenden Länder fechten seit Jahren rechtspolitische Sträuße aus. Die von Österreich derzeit tageweise praktizierte Blockabfertigung sieht Deutschland zum Beispiel als einen Verstoß gegen die Freizügigkeit des Warenverkehrs an. Österreich betrachtet sie als eine legitime Maßnahme, weil man, wie es der Tiroler Landeshauptmann formuliert, keine andere Wahl mehr habe, um sich gegen den ständig steigenden Lkw-Transit zu wehren. Den bayrischen Verkehrsminister Joachim Herrmann veranlasste diese Position beim Münchner Gipfel zu einer überaus rüden Replik: „Ich halte die Blockabfertigung für inakzeptabel, sie verlagert das Problem anstatt es zu lösen. Sie verschlimmert die Belastungen für die Menschen und die Umwelt auf der bayerischen Seite.“
Wenn jemand Staus verschlimmert, dann sei das Deutschland, kontern darauf die Vertreter Österreichs und verweisen auf die seit 2015 von Deutschland durchgeführten Grenzkontrollen. Doch während diese immerhin als temporäre Maßnahmen entschuldigt werden können, die nach den Vorgaben aus Brüssel heuer eigentlich auslaufen sollten, wiegt der zweite österreichische Vorwurf an Deutschland schwerer. Deutschland würde, so heißt es, die Reduzierung des Lkw-Verkehrs auf der Inntal- und Brennerautobahn durch Untätigkeit hintertreiben.
Eine Kritik, die auch Alexander Klacska formuliert: „Bei der Verlagerung des Brenner-Verkehrs auf die Schiene sehe ich vor allem Deutschland und Italien gefordert. Wenn der Brennerbasistunnel 2027 eröffnet werden soll und Deutschland erst 2030 beginnen will, die Zulaufstrecken zu modernisieren, wird sich das nicht ausgehen.“ Zumindest die Bayern wollen diesen Vorwurf nicht auf sich sitzen lassen. Die bayrische Brenner-Zulaufstrecke könnte schon heute doppelt so viele Güterzüge pro Tag vertragen wie tatsächlich fahren, doch der Bedarf danach nicht gegeben, sagt Verkehrsminister Joachim Herrmann. Die Ursache für das mangelnde Interesse sieht er darin, dass die Bahn „zu teuer“ sei.
Regulierung contra freier Warenverkehr
Akteure: Tirol, Südtirol und Trentino gegen Deutschland und die Frächter.
Auch diese Sichtweise bleibt nicht unwidersprochen. Nicht die Bahn sei zu teuer, sondern der Lkw-Transit über den Brenner zu billig, argumentiert das Land Tirol, das in diesem Punkt inzwischen auch Südtirol und das Trentino auf seine Seite ziehen konnte. Nun will man gemeinsam eine einheitliche Korridormaut zwischen München und Verona durchsetzen. Im Moment sind die Mauten in Italien und Deutschland für Lkw um 16 Cent pro Kilometer billiger als in Österreich. Dadurch würden zusätzliche 800.000 Transporte als Umwegtransit durch Österreich fahren, rechnet der Tiroler Landeshauptmann Günther Platter vor. Bis 2021 will er diese Zahl durch Einführung der Korridormaut halbieren.
Ein Holzweg, wie Vertreter der Transportwirtschaft meinen. „Verbote und Mauterhöhungen sind ziellos“, kommentiert das Vorhaben Wolfram Senger-Weiss und fügt nüchtern hinzu: „Die Wirtschaft hat immer noch Wege gefunden, um ihnen auszuweichen.“ Auch Alexander Klascka kann sich keinen positiven Effekt von Preiserhöhungen vorstellen: „Eine einheitliche Maut über die Alpen wird nicht durchsetzbar sein. Die Schweizer werden immer darauf achten, dass sie mit dem Preis höher liegen. Und am Ende haben wir dann ein Hinauflizitieren, das niemandem nutzt.“
Überlegungen dieser Art stimmen nur dann, wenn man davon ausgeht, dass die Anzahl der Fahrten konstant bleibt und es nur um ihre Verteilung auf die verschiedenen Alpentransitrouten geht, findet hingegen der Verkehrsclub Österreich. „Eine höhere Korridormaut oder eine Lkw-Obergrenze würden auch dazu führen, dass sich manche Transporte von vorneherein nicht rechnen“, argumentiert VCÖ-Mann Gansterer und verweist auf jene Fahrten, bei denen Güter zur Verarbeitung in den Süden gebracht werden, um dann wieder den Weg retour anzutreten.
Dass das bisweilen unsinnig sein mag, gesteht auch Wolfram Senger-Weiss ein und betont: „Ich bin an jedem intelligenten Warenstrommodell interessiert.“ Die Branche will solche Ströme aber durch Lockerungen statt durch Einschränkungen forcieren. Alexander Klacska möchte dabei sogar am Prinzip der Fahrverbote rütteln: „Fahrverbote schaffen Rückstaus, die nicht nötig sind. Statt noch mehr Fahrverbote zu fordern, sollte die Politik eher über Lockerungen nachdenken.“ Eine Forderung, die auf der Gegenseite erwartungsgemäß mit wenig Gegenliebe aufgenommen wird: „Die Nachtfahrverbote dürfen nicht unter dem Vorwand der Entflechtung aufgeweicht werden“, warnt Gansterer.
Einmal mehr sind damit alle möglichen Standpunkte in nicht gerade überraschenden Konstellationen abgesteckt. Die nächste Verhandlungs-Runde geht aller Voraussicht nach im Mai als Arbeitssitzung tituliert über die Bühne. Bis dorthin üben sich zumindest die Politik-Verantwortlichen in gemäßigtem Zweckoptimismus: Man will konkrete Vorschläge erarbeiten.
Brenner in Zahlen
14,1 Millionen Fahrzeuge pro Jahr
2,25 Millionen Transit-Lkw pro Jahr
800.000 Lkw im Umwegtransit pro Jahr
8% Anstieg des Lkw-Aufkommens von 2016 auf 2017
8.300 Lkw pro Tag
Bis zu 40% Umwegtransitfahrten pro Tag
1:2 Preisverhältnis zwischen Brenner und Schweizer Alpenübergängen
160.000 Lkw fuhren 2017 per rollende Landstraße über die Brennerachse
253.000 Lkw beträgt die Jahreskapazität der rollenden Landstraße am Brenner
300.000 Lkw-Fahrten pro Jahr führt Tirol auf Tanktourismus zurück
Bis zu 300 Euro pro Tank sparen Lkw wenn sie in Österreich tanken