E-Mobility : Was kann Elektromobilität im Transport?
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Am 15. November hat Margit Balkenhol Recht gesprochen. Die Vorsitzende der achten Kammer des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen erklärte das Diesel-Fahrverbot auf der Essener Stadtautobahn A40 für gesetzeskonform. Die österreichische Öffentlichkeit nahm das, wenn überhaupt, nur am Rande wahr. Anders die heimische Logistik-Branche. Denn das Urteil, das in Deutschland erstmals Dieselfahrzeuge von einer Autobahnverbindung verbannt, ist möglicherweise ein historischer Wendepunkt, ein Moment, den man später einmal als den Beginn einer neuen Ära bezeichnen wird. Vor allem für die KEP-Dienstleister, die die A40 für unzählige Zustellungen im gesamten Ruhrgebiet brauchen, stellt sich erstmals ganz real die Frage: Womit sollen wir fahren, wenn unsere Flotte auf die schwarze Liste kommt?
Ortsansässige Autohändler erlebten in den Folgetagen daher gleich auch eine ganze Welle von Anfragen, nicht nur nach Benziner-Alternativen, sondern auch nach elektrischen Varianten. Die stehen auch zur Verfügung. „Leichte Nutzfahrzeuge mit elektrischem Antrieb sind jetzt so weit ausgereift, dass sie allmählich wirklich im Markt ankommen“, bestätigt Sebastian Stütz, Spezialist für Verkehrslogistik am Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML und Inhaber einer Vertretungsprofessur an der FH Dortmund.
Vor allem bei großen Flotten, wie sie zum Beispiel viele KEP-Logistiker haben, sei es daher schon heute sinnvoll, auch das eine oder andere E-Modell einzuplanen. Vor allem, wenn man regelmäßig Shuttle-Dienste zu bedienen hat, bei denen die Ladezeiten im Voraus geplant werden können und die Touren die magische Grenze von rund 150 Kilometer nicht überschreiten. Ein Urteil, dem sich auch Wolfram Senger-Weiss, CEO bei Gebrüder Weiss, anschließt: „Je regelmäßiger die Einsatzstrecke, desto einfacher der Einsatz“, sagt er. „Die Speichertechnologien und Ladeinfrastruktur lassen hingegen noch keinen Transport auf der Langstrecke zu.“
Die magische Grenze
Elektromobilität kann heute nur auf der Kurzstrecke funktionieren.
Was ohnehin schon sehr freundlich formuliert ist. Denn selbst, wenn E-Fahrzeuge innerhalb des 150-Kilometer-Radius bleiben, kann die Stromversorgung zu einem Knock-out-Faktor werden. Denn es ist kein Problem, zwei oder auch fünf E-Vans in einem Logistik-Verteilerzentrum über Nacht aufzuladen. Sobald die Zahl der E-Fahrzeuge zweistellig wird, kann die vorhandene Anschlussleistung aber sehr schnell an ihre Grenzen kommen. „Es kann zu wirklich schlimmen Stehzeiten kommen, wenn Autos gar nicht geladen werden können, weil die vorhandene Leistung nicht langt“, betont der Verkehrslogistiker Stütz. Und auch Alexander Klacska, Spartenobmann Transport und Verkehr in der WKO, findet: „Ganze Flotten gleichzeitig ans Netz zu hängen, überlastet dieses aus heutiger Sicht noch massiv.“
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Unbegründet ist die Befürchtung, die Stromversorgung vieler Logistikzentren könnte unter der geballten Last der E-Mobilität zusammenbrechen, tatsächlich nicht: Allein die ständig laufenden Förderbänder der Verteilerzentren brauchen beträchtliche Mengen an Energie, erfolgt dazu noch zeitgleich die Ladung aller Fahrzeuge, wird es knapp. Und die Ladezeiten zu spreizen, funktioniert auch nur bedingt, denn die meisten Touren sind so eingeteilt, dass sie zur gleichen Zeit starten, meist morgens.
Auch Franz Weinberger, Marketingchef bei MAN Austria, einem Unternehmen, das zu den Pionieren in der Entwicklung elektrobetriebener Nutzfahrzeuge zählt, sieht das Ladekonzept als einen Schlüsselfaktor bei der Einführung von E-Mobilität in der Transport-Logistik: „Entscheide ich mich für eine Schnellladestation, ist das Fahrzeug in einer bis eineinhalb Stunden wieder fahrbereit. Allerdings bedeuten solche Stationen, je nach bereits vorhandener Infrastruktur, Investitionen von 150.000 bis 200.000 Euro pro Stück. Das Aufladen an einer normalen Station, die günstiger ist, braucht hingegen acht Stunden. Da muss man die Touren dann natürlich ganz anders planen.“
Es braucht Skaleneffekte
Wie zukünftige Ladeinfrastruktur aussehen könnte.
An Ideen, wie eine zukünftige Ladeinfrastruktur aussehen könnte, die auch zig Fahrzeuge auf einmal aushält, mangelt es nicht. Vermutlich, sagt Sebastian Stütz, werde man dafür in völlig neuen Geschäftsideen denken müssen: „Größere Flotten von E-Fahrzeugen könnten zum Beispiel zu virtuellen Kraftwerken zusammengeschlossen werden, die für die E-Wirtschaft als Flexibilitätsdienstleister fungieren, indem sie einerseits überschüssigen Strom speichern, ihn bei Bedarf aber auch ins Netz rückspeisen. Auf diese Art lassen sich möglicherweise Gewinne generieren, die die Rückfinanzierung der teuren E-Infrastruktur erlauben.“
Das Problem ist allerdings: Wie diese Infrastruktur aussehen soll, vermag heute niemand zu sagen. Denn auch wenn der Ausstieg aus fossilen Antrieben langfristig unvermeidbar sein wird: Ob am Ende wirklich die E-Mobilität in der heutigen Form als Alternative das Rennen machen wird oder doch eine andere Lösung, ist alles andere als gewiss.
Und so wartet die Mehrheit der Flottenbetreiber trotz zunehmenden Drucks und drohender Fahrverbote zu. „Kein Flottenbetreiber will in eine Technologie investieren, von der er nicht weiß, dass sie auch noch in einigen Jahren politisch gewollt sein wird und es daher auch die entsprechende Infrastruktur geben wird. Ein Elektro-Lkw, das ist schließlich keine Anschaffung, die man einfach so, auf Verdacht macht“, sagt Stütz. Und er nennt noch einen weiteren Grund, warum E-Mobilität nach wie vor nur langsam in die Gänge kommt: „Es gibt eine sehr starke Erwartungshaltung, dass die nächste Batteriegeneration die bisherigen Probleme lösen oder zumindest stark lindern wird. Auch das fördert eher das Abwarten als das Umsteigen."
Andererseits gilt aber auch: Wenn eines Tages das Momentum groß genug ist und die Stimmung ins Positive kippt, kann es gerade im gewerblichen Bereich auch sehr schnell gehen. KEP-Dienstleister tauschen ihre Flotte im Schnitt alle vier Jahre durch. Eine flächendeckende Technologiewende wäre hier, anders als beim Individualverkehr, daher innerhalb einer sehr überschaubaren Zeit möglich.
Bloß keine Fehler machen
Warum die große E-Mobility-Offensive auf sich warten lässt.
Doch noch scheint es nicht so weit zu sein. Selbst die Hersteller von E-Fahrzeugen üben sich eher in Zurückhaltung denn in einer wirklichen Marktoffensive. Wohl investiert man in prestigeträchtige Pilotprojekte, in der Breite versucht die Branche aber vor allem, keine Fehler zu machen und mit einer ersten Welle von E-Nutzfahrzeugen Erfahrungen dort zu sammeln, wo der Werbeeffekt groß ist und die Gefahr des Scheiterns relativ klein: bei ausgewählten, besonders für Elektromobilität geeigneten Verkehren, zum Beispiel innerhalb der KEP-Logistik.
Um Vans und Kleintransporter mit E-Antrieb wirklich massiv auf den Markt zu bringen, müssten die Fahrzeughersteller ihre Produkte hingegen viel stärker als Teil einer Beratungsleistung verkaufen, bei der sie für jeden Kunden eine ehrliche Erhebung seines Elektrifizierungspotentials anbieten.
Denn in Wirklichkeit ist gerade bei der E-Mobilität kein Anwendungsfall wie der andere. Ein Beispiel unter vielen: Während Touren mit E-Antrieb innerhalb von großen KEP-Flotten sehr gut funktionieren können, stellt sich die Situation bereits völlig anders dar, wenn dieselbe Tour von einem Subunternehmer durchgeführt wird. Der hat oft nur ein Fahrzeug, mit dem er auch andere Aufträge erledigt: „Er lässt das Auto dann auch nicht in der Zustellbasis stehen, sondern will es auch vorher und nachher nützen. Da wird es mit der Reichweite, die für die durchschnittliche Tour von vielleicht hundertfünfzig Kilometer reicht, schnell eng“, erklärt Verkehrslogistiker Stütz. Abgesehen davon ist für solche Unternehmer der Stillstand seines Autos ein absoluter wirtschaftlicher Härtefall. Weshalb sie lieber auf den bewährten Verbrennungsmotor setzen.
Experimentierzone lange Strecke
Der E-Lkw für den Fernverkehr wird vielleicht nie kommen.
Jenseits der KEP-Logistik und des 3,5-Tonners beginnt ohnehin die Experimentierzone. Denn auch wenn Elon Musk behauptet, bereits einen 40-Tonner entwickelt zu haben, der 800 Kilometer am Stück schafft und sich dann innerhalb von einer halben Stunde soweit aufladen lässt, dass er weitere 600 Kilometer fahren kann – in Wirklichkeit steckt der Lkw-Transport mit Elektroantrieb in seinen absoluten Anfängen. In Österreich testet MAN in Kooperation mit dem Council für nachhaltige Logistik CNL allerdings bereits neun 26-Tonner in einem umfangreichen Feldversuch.
Mit dabei sind die Council-Mitglieder Gebrüder Weiss, Hofer, Magna Steyr, Metro, Quehenberger Logistics, Rewe, Schachinger Logistik, Spar und die Stieglbrauerei: „Wir testen aktuell einen E-Lkw im Großraum Wien und Graz, um Erfahrungen zu sammeln, wie sich ein CO2-neutraler Transport gestalten könnte. Kommerziell ist der Einsatz heute nicht darstellbar und fällt in die Rubrik Forschung und Entwicklung beziehungsweise Marketing. Zumindest eine Mautbefreiung – wie zum Beispiel in Deutschland vorgesehen – wäre ein wichtiger Schritt für die Akzeptanz in Österreich“, berichtet Wolfram Senger-Weiss über die ersten Erfahrungen.
Wie bei anderen E-Fahrzeugen bleibt auch beim 26-Tonner die Reichweite einer der begrenzenden Faktoren: „Einige der CNL-Partner kommen allerdings mit einer Tour pro Fahrzeug aus, weil sie in einem Umfeld agieren, wo viele Zusatztätigkeiten beim Anliefern der Ware anfallen. In anderen Situationen ist die Möglichkeit, nur eine Tour von 150 bis 200 Kilometer zu fahren, natürlich keine Lösung“, sagt Franz Weinberger von MAN.
Mit etwas kleiner dimensionierten Fahrzeugen als beim CNL-Projekt hat sich eine Forschergruppe an der TU Graz beschäftigt. Das Ergebnis: Für einige klassische Touren sei es durchaus möglich, 18-Tonner mit Elektro-Antrieb zu verwenden, sagt Norbert Hafner vom Institut für Technische Logistik: „Für Verkehre, die zum Beispiel vom Verteilerzentrum Werndorf in den Großraum Graz führen, ist es nach unseren Berechnungen möglich, die eingesetzten Lkw und die Routen geeignet zu optimieren.“
Auch hier zeigen sich aber Reichweiten von rund 150 Kilometer als das Maximum des ökonomisch Sinnvollen. Batterien, die weitere Fahrten erlauben, hätten beim aktuellen Stand der Technik ein Gewicht, das ein solches Fahrzeug völlig unwirtschaftlich werden lässt.
Aus der Forschungsabteilung
Eine Carrera-Bahn in Lebensgröße.
Weshalb man anderswo auch längst mit der Idee experimentiert, E-Lkw nicht mit einer Batterie, sondern dynamisch mit Strom zu versorgen: per Oberleitung oder mit einer am Boden verlegten Flachschiene, in die sich das Fahrzeug einklinkt – die gute alte Carrera-Bahn im 1:1-Format sozusagen. Pilotprojekte zeigen, dass das Prinzip funktionieren kann. Zwischen dem Stockholmer Flughafen Arlanda und einem nahen Logistikzentrum existiert bereits eine Teststrecke, auf der der Antrieb über Flachschiene unter Realbedingungen getestet wird. Die Länge der Teststrecke wirkt allerdings ernüchternd: exakt 1.000 Meter.
Die Oberleitungstechnologie scheint im Moment eine Spur weiter zu sein. Zwischen dem Containerhafen von Los Angeles und dem dazugehörigen Güterbahnhof verläuft entlang der Interstate 710 ein Straßenstück, auf dem regelmäßig auch drei Oberleitungs-Lkw verkehren. Streckenlänge: Immerhin eine ganze Meile, also rund 1.600 Meter. Weitere zwei Kilometer öffentlicher Straße, die mit Oberleitungs-Lkw befahrbar sind, finden sich in Schweden. Und auch in Deutschland wird im Rahmen von Werksverkehren damit experimentiert.
Der große Vorteil von dynamischen Lösungen liegt auf der Hand: Sind sie erst einmal eingeführt, verliert das Reichweiten- bzw. Batterieproblem seine Relevanz. Die Batterie wird nur noch für kurze Zufahrtswege entlang von nichtelektrifizierten Nebenstrecken gebraucht. Ist der Lkw wieder auf einer Hauptroute hängt er sich in die Oberleitung ein und kann dabei die Batterie wiederaufladen. Allerdings: Wer die notwendige Oberleitungsinfrastruktur entlang aller Hauptverkehrswege erreichten soll, darüber hat man noch nicht einmal zu diskutieren begonnen.
Und auch über ein anderes Problem, das spätestens dann auftauchen wird, wenn nicht nur drei Lkw am Netz hängen, sondern ganze Flotten: Dann braucht es nämlich ein Stromnetz, das es, ohne zusammenzubrechen, aushält, wenn dreißig oder vierzig dynamisch mit Strom versorgte Lkw auf einmal bremsen oder beschleunigen.
Dass Fragen wie diese noch weitgehend ungelöst sind, wird bei der Berichterstattung rund um Neuigkeiten aus der E-Mobility-Welt dennoch selten erwähnt. „Bei der E-Mobilität ist es im Moment ähnlich wie beim autonomen Fahren: Vieles, was in den Medien als serienreife Lösung dargestellt wird, befindet sich erst in Projektphase“, erklärt Franz Weinberger von MAN das Phänomen. Er selbst sieht Elektromobilität als eine Ergänzung zu herkömmlichen Antrieben, als die letztgültige Lösung möchte er sie aber nicht sehen.
Wohl zu Recht: „Bei der letzten Meile bedeutet Elektrisierung tatsächlich auch Ökologisierung. Im Individualverkehr sieht es nicht so eindeutig aus. Würden wir die gesamte Pkw-Flotte auf Elektroantrieb umrüsten, könnte der dafür benötigte Strom wohl nur unter Rückgriff auf kalorische Kraftwerke oder Kernenergie erzeugt werden“, bestätigt der Grazer TU-Professor Hafner.
Wasserstoff
Die große Alternative oder more of the same?
Bei Wasserstoffzellen, die als mögliche Alternative zu herkömmlichen Batterien gehandelt werden, stellt sich das Problem im Moment ähnlich dar. Auch hier wären die bei einer halbwegs flächendeckenden Umstellung die zur Erzeugung des Wasserstoffs benötigten Strommengen gigantisch. Was allerdings für den Wasserstoff spricht: Das Betanken damit funktioniert ähnlich schnell wie bei Diesel oder Benzin. Und auch die Reichweite ist besser.
Japanische Hersteller setzen daher schon heute auf Wasserstoff. Toyota zum Beispiel will bereits 2025 einen Wasserstoff-Lkw auf den Markt bringen, indem man weitgehend auf die Brennstoffzellen-Technologie des schon jetzt vom Konzern produzierten Wasserstoff-Pkw Mirai zurückgreifen will. Bis dorthin will man die Reichweite auch auf 1.000 Kilometer hinaufgeschraubt haben.
In Europa steht man Wasserstoff-Projekten noch eher zurückhaltend gegenüber. Was auch damit zu tun hat, dass ein Netz an entsprechenden Tankstellen so gut wie nicht existent ist. Wohl hat die EU ihre Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, bis zum Jahr 2025 eine ausreichende Wasserstoff-Infrastruktur zu schaffen, doch zwischen gerade ausreichend und wirklich praktikabel liegen, wie die Erfahrungen mit LNG-Autos zeigen, Welten. „Der LNG-Lkw hat es aktuell auch deshalb schwer, weil das Netz an entsprechenden Tankstellen für professionellen Fernverkehr nach wie vor viel zu dünn ist. Zusätzlich ist so ein Fahrzeug in der Anschaffung um rund 30.000 Euro teurer als die konventionelle Variante“, erklärt Stütz.
Um alternative Antriebe zu fördern, sagt er, müsste man daher, gerade wenn die Infrastruktur noch schwächelt, andere Anreize schaffen. Wie etwa in den Niederlanden, wo bestimmte als stadttauglich eingestufte Lkw als Bonus extra Stellflächen zugewiesen bekommen. Zugleich will Stütz aber auch einen ganz grundsätzlichen Aspekt nicht aus den Augen lassen: Alternative Antriebe senken zwar die Schadstoffemissionen, sie ändern aber nichts an der Tatsache, dass die Zahl der Fahrzeuge, die sich in einem bestimmten Zeitraum auf einer bestimmten Strecke bewegen können, immer beschränkt bleiben wird. Und das führe, sagt er, zu der ziemlich ernüchternden Einsicht, dass ein Stau von Elektroautos immer noch ein Stau bleibt.