Gastkommentar : Wer den Berg beansprucht, kann auch die Valleys nutzen

Es scheint eine kurze und logische Kette zu sein: Die Umbrüche und Veränderungen sind zur Konstante geworden, und auf diese Tatsache muss man mit Innovation reagieren. Also schaut man nach, wo viel Innovation stattfindet, und das ist im Silicon Valley. Eine organisierte Reise gibt dann Impulse für die Innovation, und die Kette scheint geschlossen. So weit, so zu kurz.

Was am Silicon Valley mehr reizt, als an anderen Hot Spots der Innovation, von denen es durchaus viele gibt, sind der Erfolg und die Bekanntheit der dortigen Unternehmen. Aber kann der meist ohnehin oberflächliche Silicon-Valley-Einblick die logische Kette weiterführen?

Dazu habe ich aus vielen Insights – vertraulichen Gesprächen mit Personen aus verschiedenen Funktionen und Ebenen – die Dogmen dieser erfolgreichen Firmen zusammengefasst. Exemplarisch für diese Verdichtung seien Bristlecone, Cisco, Amazon, HP, Orange, DocuSign und Stanford genannt.

Dogma 1: Absolute Kundenorientierung – und Konsequenz und Risiko bei der Erfüllung dieses Kundennutzens

Kundenorientierung wird ja auch in Österreich gerne genannt, und als Methode erfreut sich Design Thinking schon fast erschreckender Beliebtheit. Für mich ein Zeichen dafür, dass nicht echte Kundenorientierung gesucht wird, sondern ein durchaus gutes Werkzeug als Ersatzmittel dient. Es sollte in ein Bündel zur Förderung der Innovationshaltung eingebunden sein und sollte um das Element des Integrative Thinkings (ein in Steyr weiter entwickeltes Werkzeug, das die notwendige Integration der Design-Thinking-Ergebnisse in das Unternehmen zum Ziel hat). Damit enden die meisten Design-Thinking-Modelle auf dem Friedhof der Innovationsideen oder sozusagen als Ehrengruft im Büro des Chefs. Richtig eingebunden, ist es eine gute Methode, die im Studiengang SCM am Logistikum in Steyr seit elf Jahren einen Beitrag zu durchschnittlich zwei Gründern pro Absolventenjahrgang liefert.

Als Einzelmaßnahme ist es für mich trotzdem ein Synonym für nicht verstandene Kundenorientierung. Folgende Attribute weisen auf echte Kundenorientierung hin:

Das Wissen um den echten Bedarf der Kunden des Kunden.

Die Einsicht, dass die derzeitigen Kundenbefragungen nicht zum echten Kundenbedarf und noch weniger zu Innovation führen

Der Aufbau alternativer Methoden wie Design und Integrative Thinking, um innovative Angebote für den Kunden zu designen.

Leistungs- Kultur statt Umsatz Kultur: Nicht (nur) der Deckungsbeitrag lässt jubeln, sondern der Nachweis des Nutzens, den der Kunde für sein Geld bekommt (Kontrollfrage „welchen Vorteil wird der Kunde dadurch haben, dass er das Geld bei uns ausgegeben hat“)

Dogma 2: Technologie wird zur Herstellung von Kundenservice und Kundengenuss genutzt

Angetrieben durch 4.0-Aufrufe, gibt es Interesse an neuen Technologien. Als Beispiel sei hier Blockchain genannt. So karrt IBM hunderte Interessierte nach München, um etwas zu zeigen, von dem bei einer realen Bestandsaufnahme in Relation wenig konkrete Umsetzungsangebote übrigbleiben. Es wird der Nutzen der Technologie postuliert, und es werden Centers gegründet, ohne konkrete Antworten und Wege zu geben. Klarer die Antwort im Valley: Ja wir haben Blockchain eingesetzt, aber es gibt keinen Mehrwert für unsere Kunden, also setzen wir es nicht ein! Aber natürlich auch umgekehrt: Wir werten die Kundendaten in allen Dimensionen aus, damit wir dem Kunden schon Angebote bieten können, bevor er selbst frägt. Technologie zum Nutzen des Kunden und natürlich in Folge auch des Anbieters. Daraus lassen sich 3 Empfehlungen ableiten. Nur die Kenntnis des eindeutigen Nutzens ermöglicht einen sinnvollen Technologie Einsatz. Der Schwerpunkt im Bereich Technologie sollte sich bei den meisten Bedarfsträgern auf die Nutzung der bestehenden Angebote statt auf die „Nachentwicklung“ bestehender Technologien fokussieren. So wird Innovation konkret und rasch auf den Markt gebracht. Die dritte Empfehlung ist den Aufbau der Kenntnis, wo die relevanten Technologie Hubs sind und wie man mit diesen konkret zusammenarbeiten kann.

Dogma 3: Die Lösungen sind skalierbar, und Kundengenuss entsteht in kleinen Portionen

Hier wird im Valley immer an den Skaleneffekt gedacht. Die Welt ist der angepeilte Markt. Aber! Es wird nicht in Megaprojekten gedacht und agiert. Konkrete Schritte beweisen den Nutzen, und der wird dann skaliert. In den USA wird sehr konsequent nach dem Nutzen gefragt. Wenn der plausibel ist, wird rasch ein überschaubares Projekt gemacht. In Europa werden mächtige Bilder entworfen, und der Kontakt endet meist mit den Worten „Wir werden das im Management besprechen ...“ und das dauert halt ... ewig.

Dogma 4: Die Mitarbeiter erhalten eine Kennzahlen-überwachte Freiheit

Die Hochbeete vor den Büros, die freien Innovationstage, die Sportplätze gibt es real. Was weniger verkündet wird: Es gibt auch real die äußerst konsequente Ergebnisorientierung durch Kennzahlen. Und die Ziele und Kennzahlen sind im Gegensatz zu Österreich sehr konkret und mit Konsequenzen verbunden, sodass es den meisten Mitarbeitern der Valley-Firmen eher schwerfällt, das Hochbeet zu genießen. Auch hier wäre es sehr angebracht, nicht Symbole der amerikanischen Innovationskultur zu kopieren, sondern selbst einen konkreten Weg zu entwerfen. Und dabei wird man feststellen, dass die Umsetzung dieses Weges viel Mut und Änderungsbedarf braucht- Kennzeichen aller Änderungsvorhaben.

Dogma 5: SCM ist für die Wertschöpfungskette verantwortlich

Und da sind die USA Österreich um zehn Jahre voraus. Ein Unternehmen ohne SCM erweckt fast Mitleid beziehungsweise wird entsprechend schlechter bewertet. Es wird als Unternehmen gesehen, das entweder nicht kundenorientiert ist oder Kundenorientierung nicht umsetzen kann. Erst mit SCM hat man eine Einheit, die die Umsetzung der Kundenorientierung als Profession und Ziel hat. Sonst haben Sie derzeit eben keine definierte Verantwortung dafür und entsprechend werden obige Maßnahmen nicht oder nur schleppend umgesetzt. Durchaus ein wesentlicher Grund, warum sich das Management oft zeitlich überfordert fühlt und mit der Zielerreichung in diesem Umfeld unzufrieden ist. Es obliegt jedem und jeder selbst, diese Aussage für sich selbst zu überprüfen und einzuordnen.

Soweit scheinen das keine neuen Erkenntnisse zu sein – das Besondere liegt in jedem Punkt im konsequenten Anspruch. Beispiele für diesen Anspruch?

- Ein Manager informiert den Vice President freudig über einen 100-Millionen-Dollar-Auftrag. Die Reaktion? „Welchen Nutzen hat der Kunde konkret, wenn er so viel für uns ausgibt?“

- Ein Unternehmen hat mit einem einfachen Produkt – sichere Unterschriften im Unterschriftenkreislauf – innerhalb eines Jahrzehnts 2.500 Mitarbeiter mit dem entsprechenden Umsatz aufgebaut. Braucht das Unternehmen eine Blockchain-Lösung? Die Antwort: „Wir haben es in einem Projekt umgesetzt. Es ergibt sich kein erkennbarer Mehrnutzen für die Mehrkosten. Wir brauchen es nicht.“

- Power Point ist verboten, Lösungen sind datenbasiert vorzuschlagen. Und wenn es nachvollziehbar und verständlich ist, muss sofort entscheiden werden.

- Wir wollen die Technologie so nutzen, dass wir immer vor dem Kunden sein Bedürfnis erkennen und eine Lösung anbieten, bevor wir gefragt werden.

- Machen wir keine Workshops über Daten! Sende sie uns, und wir schauen, ob wir Muster erkennen, die wir nutzen können. Online, sofort, erkenntnisgetrieben.

Diese Analyse lässt sich leicht auf andere Innovations-Hotspots übertragen beziehungsweise ergänzen. Aber der Kern ist in jedem Fall die absolute Konsequenz. Lassen Sie mich zu den fünf Dogmen Tipps zum Handeln in Österreich geben.

Tipp 1: Setzen Sie Aktionen, die nicht skurril gestaltet sind und ihren Nutzen in sich selbst finden, sondern finden Sie den echten Kundennutzen (inklusive den der Kunden der Kunden). Verstehen Sie den Kunden wirklich.

Tipp 2: Erfreuen Sie sich nicht an Technologie-Passwords und versuchen Sie nicht, etwas zu implementieren, das Sie ohnehin nie erreichen können. Zum Beispiel ist Big Data ein großartiges Mittel, aber maximal 200 Unternehmen in Österreich können es für sich entwickeln. Viel mehr aber könnten es bereits nutzen. Vieles, über das derzeit geredet wird, können viele nie für sich schaffen, aber viele könnten es bereits nutzen.

Tipp 3: Wenn Sie den Nutzen kennen, versuchen Sie diesen rasch zu realisieren. Ohne viele Meetings, ohne Investitionsanträge, mit kurzer Zeitdauer. Und das Ganze gleich mit Kunden mit konkreten Aufträgen oder Produkten. Wenn es klappt, wird es perfektioniert und skaliert.

Tipp 4: In Zeiten des Mitarbeiterengpasses wird manch scheinbare Attraktion der amerikanischen Arbeitgeber halbherzig kopiert. Finden Sie ihren eigenen Weg. Wesentlich auf diesem Weg scheinen Authentizität und Klarheit. Den Valley-Mitarbeitern wird ein oft scheinbar attraktiver Weg geboten, denn die sehr harten Kennzahlen bestimmen den möglichen Genuss der Goodies. Wenn die Kennzahlen nicht stimmen, kommt es zur Trennung. Eine gegenseitige Klarheit, die sicher nicht österreichisch ist – allein das ist Aufforderung und Pflicht für einen eigenständigen Weg.

Tipp 5: Führen sie SCM ein – das sichert ihre Zukunft.

Meine Conclusio: Nicht das oberflächliche Besuchen des Valleys führt auf den Erfolgsberg, sondern das eigene Definieren des Gipfels. Und beim Definieren muss der absolute Kundennutzen definiert und gekannt werden. Auf dieser Basis können Sie in weiteren vier Schritten auch in Österreich zu besonderen Gipfeln kommen.