Automatisierung : Wird Österreich Platooning-Land?
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Dieter Hintenaus will nicht als Spielverderber dastehen. Sollte der Eindruck entstehen, man wolle hier etwas verhindern, so stellt der Technik-Koordinator der Asfinag klar: „Die Asfinag beobachtet die Entwicklungen nicht erste Reihe fußfrei. Wir sind mittendrin, als aktiver Begleiter der Projekte.“ Projekte, für die Erik Wirsing, Innovations-Chef von DB Schenker, im Rahmen des Linzer Logistiktages ein beeindruckendes Plädoyer gehalten hat. Truck Platooning und Autonomes Fahren würden definitiv und unumkehrbar Einfluss auf wesentliche Faktoren im Güterverkehr haben, sagt Wirsing.
Gemeinsam mit MAN und der Hochschule Fresenius hat DB Schenker vor wenigen Tagen einen entsprechenden Testbetrieb gestartet: Auf der A9 zwischen München und Nürnberg sind seit Kurzem zwei digital vernetzte Lkw unterwegs – zunächst noch ohne Ladung, ab August auch im Regelbetrieb.
Nahezu zeitgleich wurde in Österreich das „DigiTrans“-Projekt vorgestellt: die Eröffnung eines „Testlabors“ in Oberösterreich, massiv gefördert von FFG und Land. Auch hier geht es – nicht nur, aber eben auch – um Truck Platooning. Die Rolle als speditioneller Projektpartner hat in Österreich Hödlmayr International übernommen. In beiden Fällen sind die hinter den Tests stehenden Konsortien ausgesprochen breit aufgestellt, und in beiden Fällen gab es ministeriellen Sanctus. Starke Indizien also dafür, dass Platooning viel mehr ist als eine beeindruckende technische Spielerei.
Platooning ist derzeit auch massenmedial gut zu verkaufen, und das hat wohl mit der Schönheit der Idee zu tun: Zwei Lkw werden digital miteinander gekoppelt, verbunden über eine spezielle WLAN-Technologie und ausgestattet mit ausgeklügelter Sensorik zur exakten Abstands-Erkennung. Während das erste Fahrzeug konventionell gelenkt wird, folgt das zweite automatisiert den Bewegungen und Geschwindigkeitsänderungen des ersten. Bei speziellen Fällen wie Baustellen oder Autobahn-Auf- und Abfahrten löst sich das Platoon auf, der zweite Fahrer übernimmt wieder die Kontrolle und vergrößert den Abstand von rund 15 Metern auf die gesetzlich vorgeschriebenen 50 Meter. Nach dem neuralgischen Punkt findet das Platoon wieder zusammen.
Im Rahmen der derzeitigen Versuche ist man von der theoretisch möglichen Vollautomatisierung noch weit entfernt. Getestet wird ausschließlich in einem Rahmen, in dem der Fahrer des angekoppelten Lkw permanent die Hände am Steuer hat.
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Völlig neue Job-description
Klar ist aber, dass die Vision viel weiter geht. Sobald sich das Platooning in der derzeitigen Testanordnung als sicher erweist, werden die Beteiligten den Automatisierungsgrad Schritt für Schritt nach oben schrauben. Und dann, sagt Erik Wirsing, könne Platooning massive Veränderungen im Fernverkehr bringen.
Einerseits sei die Technologie geeignet, die Kosten massiv zu senken. „Der Treibstoffverbrauch im Platoon sinkt. Die Auslastung der Fahrzeuge kann verbessert werden, und auch die Versicherungskonditionen verbessern sich.“ Bewähren sich die Systeme, werde es auch einen Sicherheitsgewinn geben: Optimierte Algorithmen reagieren besser und schneller als Menschen, das Unfallrisiko sinkt. Und sollte die Automatisierung ein Level erreichen, bei dem der Fahrer nicht mehr permanent überwachen muss, dann hat dies Folgen für den Beruf selbst. „Die Fahrer des oder der nachfolgenden Fahrzeuge im Platoon können die Zeit für andere Aufgaben als das Fahren nützen oder ihre Ruhezeiten einhalten“, sagt Wirsing, „insgesamt kann Platooning helfen, die Transportzeiten zu verkürzen beziehungsweise berechenbarer zu machen.“ Letztlich werde Platooning also die Job-description des Lkw-Fahrers komplett verändern, „der Job wird anspruchsvoller, aber damit auch attraktiver“.
Die Frage, die im Zusammenhang mit Automatisierung immer auftaucht – wie viele Jobs gehen verloren? – beantwortet Wirsing differenziert: „Zumindest mittelfristig werden die Lkw-Fahrer durch Automatisierung bestimmt nicht ersetzt. Das Job-Profil wird sich allerdings deutlich verändern. Nach wie vor werden Menschen die Lkw in den Städten und auf Landstraßen lenken müssen. Auf Autobahnen und teilweise auch an Terminals führt Automatisierung aber dazu, dass die Fahrer für andere Tätigkeiten freigespielt werden.“
Und das sei auch psychologisch von Belang. Wartezeiten würden radikal verkürzt. Das stundenlange, ermüdende Geradeausfahren auf Autobahnen entfalle. „Platooning und Automatisierung werden also letztlich sowohl zu neuen betrieblichen Organisationsformen als auch zu veränderten Berufsprofilen und -anforderungen führen.“
Viele offene Fragen
Alles geklärt also? Können die „Lebensabschnitts-Gefährten auf der Straße“ (© Erik Wirsing) loslegen, sobald die Technik hält, was sie verspricht? Bei aller nachvollziehbaren Begeisterung räumt auch Wirsing ein, dass noch einige Fragen offen sind.
Etwa, ob die OEM überhaupt bereit sind für die Serienproduktion Platooning-fähiger Fahrzeuge. Beziehungsweise, ob die Lkw unterschiedlicher Hersteller dann problemlos ein Platoon bilden können. Offen sind selbstverständlich auch juristische Grundfragen: Wer haftet etwa für die Folgen eines Unfalls? Auf welchen Straßen dürfen sich Platoons überhaupt bewegen? Wie groß muss der Mindestabstand zwischen den Fahrzeugen sein? Und kann man diese Fragen international einheitlich klären?
Zeigen muss sich auch, welches Automatisierungs-Level angepeilt wird. „Level 5, also die Vollautomatisierung, bei der überhaupt kein Fahrer mehr anwesend sein muss, ist derzeit noch weit entfernt“, sagt Erik Wirsing. „Aber ob wir Level 3 oder Level 4 anpeilen, muss schon jetzt eingehend diskutiert werden.“ Und nicht zuletzt unterliegt das Platooning auch psychologischen Faktoren. Sowohl die Fahrer selbst als auch die Bevölkerung müssen die Technologie akzeptieren und vor allem ihrer Sicherheit vertrauen.
Die Infrastruktur steht
Und Österreich? Ist Platooning hierzulande wirklich denkbar? Asfinag-Technikexperte Dieter Hintenaus betont, dass die Infrastruktur auf das vernetzte Fahren prinzipiell hervorragend vorbereitet ist. Schon in den 1990er-Jahren begann die Asfinag damit, LWL-Leitungen im hochrangigen Straßennetz zu verlegen. Fast 100 Prozent des Netzes sind heute mit Glasfaser ausgerüstet, weltweit ein Spitzenwert. Hinzu kommt eine Abdeckung mit Videokameras von rund 90 Prozent. Getrieben wird das schon lange vom bmvit. Auf der Basis des Aktionsplans Automatisiertes Fahren wurden mehrere Forschungsprojekte ausgeschrieben, unter anderem die Testumgebungen DigiTrans und Alp.Lab sowie das Projekt Connecting Austria. In all diesen Projekten ist die Asfinag als Kooperationspartner dabei.
Die Möglichkeiten des Datenaustauschs zwischen Fahrzeugen und Infrastruktur, die diese Vernetzung schafft, bringen Hintenaus fast ins Schwärmen. „Die Asfinag verfügt über eine Unzahl an Daten, die wir an die Fahrzeuge schicken können. Etwa über Ereignisfälle wie Unfälle oder Staus. Im Gegenzug verfügen die Kfz über Daten, die für uns sehr wertvoll sind. Etwa Bewegungsdaten, die für die Stauerkennung genützt werden können, Daten aus den Sensoren in den Stoßdämpfern für die Schlaglocherkennung oder auch von computergesteuerten Scheibenwischern, die man für Regenmeldungen sammeln kann.“ Nicht zuletzt, betont Hintenaus, habe Österreich ja auch die Standardisierung des Austausch-Protokolls vorangetrieben. Das ist heute auf europäische Ebene anerkannt.
Speziell für das Platooning tun sich in Österreich dennoch einige Hürden auf, vor denen der deutsche Testbetrieb nicht steht.
- Als Land der Tunnel ist die Tunnelsicherheit hoch relevant. Der Brand eines Platoons wird weit verheerender sein als der eines einzelnen Lkw.
- Auch die Zahlreichen Brücken müssen auf ihre Tragfähigkeit überprüft werden. Simulationen haben ergeben, dass Platoons zwar keinen relevant höheren Druck von oben ausüben, doch zeigten sich überraschend hohe Torsionskräfte.
- Bei Mautabbuchungs- und Tempoüberwachungs-Systemen muss sich erst erweisen, ob für die Kameras bei Platooning tote Winkel entstehen.
All diese Punkte hält Dieter Hintenaus prinzipiell für lösbar – mit einer Ausnahme: „Es gibt von unserer Seite ein einziges klares Nein: Keine bauliche Verlängerung der Pannenbuchten!“
Einfädeln möglich?
Wirklich problematisch ist in seinen Augen ein anderer Faktor: Im Unterschied zu Deutschland ist der durchschnittliche Abstand zwischen Autobahn-Auf- und Abfahrten in Österreich erstaunlich gering. Er liegt bei unter fünf Kilometern. An diesen Stellen haben Platoons zwei Möglichkeiten der Reaktion: Erstens die Auflösung vor und die Wiedervereinigung nach der Abzweigung. Hier stellt sich also die Grundfrage, wie groß der Abstand sein muss, damit sich auf- oder abfahrende Fahrzeuge gefahrlos einfädeln können. Die im deutschen Testbetrieb vorgesehenen 15 Meter dürften dafür jedenfalls nicht ausreichen. Unter Umständen reichen aber auch weniger als die 50 Meter Abstand, die heute in der StVO vorgeschrieben sind – was wiederum bedeuten würde, dass die StVO hier im Sinne von Ausnahmeregelungen verändert werden müsste.
Ist der notwendige Abstand groß, bedeutet das, dass sich das Platoon vor einer solchen Stelle auflösen muss und erst danach wieder zusammenfinden kann. Da dies auf den heimischen Autobahnen häufig erfolgen müsste, stellt sich die Frage, inwieweit beziehungsweise auf welchen Abschnitten sich Truck Platooning überhaupt rechnet.
Die zweite mögliche Reaktion des Platoons: ein Wechsel auf die zweite Spur. Das allerdings scheint schwer vorstellbar. Einerseits ist der Geschwindigkeitsunterschied zwischen Lkw und Pkw so groß, dass ein Sicherheitsproblem entstehen könnte. Und andererseits ist kaum vorstellbar, dass dies von den anderen Verkehrsteilnehmern akzeptiert würde.
Durchaus denkbar also, dass das Platooning auch in Österreich kommt – wenn auch in reduzierter Form. „Grundsätzlich denke ich, dass Platooning im Nahverkehr und im geschützten Bereich wie etwa bei Verladetätigkeit definitiv Zukunft hat“, sagt Dieter Hintenaus. „Das Gleiche gilt für konstante Strecken von A nach B, die vielleicht zehn- oder 20-mal am Tag absolviert werden. Spannend wird die Entwicklung auf den längeren Autobahnstrecken: Ich denke, dass das technisch weitgehend problemlos ist.“ Offen sind in seinen Augen einerseits die Frage der Akzeptanz sowie der Interaktion mit dem Normalverkehr. Und andererseits, ob es tragfähige Business-cases geben wird. Letzteres – immerhin – ist nicht das Problem der Asfinag.
Verpassen wir den Anschluss?
Der deutsche Praxistest und die heimischen DigiTrans-Tests werden definitiv viele der offenen Fragen beantworten. Ob Deutschland oder Österreich damit an vorderster Front stehen, sehen die Beteiligten realistisch. „Dass wir jetzt in Bayern in den Praxistesteinsatz gehen, ist natürlich sehr erfreulich“, sagt Erik Wirsing. „Uns muss aber klar sein, dass Deutschland und Europa in diesem Bereich nicht die einzigen Akteure sind. In den USA etwa oder in Singapur laufen ebenso längst derartige Praxistests, wenn auch noch nicht im Logistikalltag. Dass in Ländern wie Singapur das politische System geeignet ist, Hürden oder Bedenken schneller aus dem Weg zu räumen, ist klar, und das soll für Europa auch kein Vorbild sein.“ Mit der Einbindung in einen Logistikprozess über einen längeren Zeitraum sowie dem Fokus auf die Auswirkungen auf den Fahrer sei die Kooperation jedoch weltweit Innovationsführer. „Dennoch müssen wir im Auge behalten, hier nicht den internationalen Anschluss zu verpassen – insbesondere mit Blick auf den gesetzlichen Rahmen und die grenzüberschreitende, einheitliche Regelung.“
Vielleicht sind es aber auch nur unterschiedliche Mentalitäten, die auf unterschiedlichen Wegen letztlich zum gleichen Ziel führen werden, meint Dieter Hintenaus: „Der amerikanische Zugang lautet ‚Wir probieren es aus und sehen dann, was passiert‘. Europa agiert diametral anders: Wir überlegen zuerst, was passieren könnte, und probieren es dann aus.“