50 Jahre dispo : Wohin geht die Speditionslogistik?
Als dispo zum ersten Mal erschien, galt der Lkw-Fahrer noch als der unangefochtene König der Landstraße, ein Job bei einer Spedition war ein Job, der neue Horizonte eröffnete, Freiheit versprach, Reisen, in Länder ermöglichte, in die man sonst nicht so leicht kam. „Heute“, kommentiert Davor Sertic, CEO und Eigentümer der Wiener Spedition Unitcargo, trocken, „gibt es dafür den Flixbus“.
Dass, wie manchmal geunkt, der Job des Lkw-Fahrers daher bereits mehr tot als lebendig sei, will Sertic aber keinesfalls bestätigen. „Der Lkw-Fahrer soll ein aussterbender Beruf sein? Da kann ich nur lachen. Bis es eine Infrastruktur gibt, die flächendeckend autonomes Fahren erlaubt, werden die heute Zwanzigjährigen bereits in Pension sein.“
Das Problem, und darin ist sich Sertic mit vielen seiner Branchenkollegen einig, sei ein anderes: Die Logistik hat bei Arbeitnehmern ein Imageproblem. Eines, das Sertic für ungerechtfertigt hält und an dem er daher dringend etwas ändern will – gleich mit einer ganzen Palette an Initiativen.
Vielleicht ist das, abseits von dem gigantischen technischen Umbruch, der größte Wandel, den die Speditionslogistik in den vergangenen fünfzig Jahren erlebte. Ganz anders als in den späten Sechzigern und frühen Siebzigern muss sie heute, obwohl gut gebucht und dringend gebraucht, um ihr gesellschaftliches Standing fighten, sich immer wieder selbst erklären. Und auch gegen Stimmen bestehen, die ihr vorhalten, sie sei den Anforderungen der neuen Zeit nicht mehr gewachsen.
Schreckgespenst Insourcing?
Erst unlängst ließen in diesem Magazin die Supply-Chain-Berater Andreas Tengler und Gregor Gluttig aufhorchen, als sie die These aufstellten, Spediteure würden übersehen, dass sie schon bald Opfer eines disruptiven Prozesses werden könnten, eines bevorstehenden massiven Insourcings von Logistik-Prozessen durch ihre bisherigen Kunden, die großen Industrieunternehmen. Diese würden nämlich immer öfter mit dem Gedanken spielen, selbst Lkw anzuschaffen und damit Speditionen überflüssig zu machen.
Franz Staberhofer, Professor für Logistik-Management an der FH Oberösterreich, kann solche Kassandra-Rufe nur sehr bedingt nachvollziehen: „Wenn Industrieunternehmen versuchen, ihre Fahrten selbst abzuwickeln, scheint mir die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich dabei die Finger verbrennen, doch ziemlich hoch. Deshalb glaube ich, dass sie das auch nur dann tun werden, wenn sie nicht anders können, sozusagen mit dem Mut der Verzweiflung.“
Immer mehr Aufgaben
Die Spediteure selbst sehen das Schreckgespenst Insourcing noch gelassener als Staberhofer. „Dass Unternehmen eigene Lkw haben, um Werksverkehre abzuwickeln, ist nichts Neues. Auch große Handelsketten mit vielen Filialen fahren zum Teil selbst, etwa im Lebensmittelhandel. Bei Industrieunternehmen sehe ich den Trend aber derzeit eher im Outsourcing, denn im Insourcing“, sagt etwa Klaus Hrazdira, COO bei Quehenberger. Gerade in Zentral- und Osteuropa, wo das Unternehmen sehr stark engagiert ist, sei diese Entwicklung unübersehbar: „Da sind früher viele Unternehmen, auch historisch bedingt, selbst gefahren und geben das derzeit immer mehr ab.“
Was er derzeit erlebe, sei eher der Trend, dass Industriekunden immer stärker vor- und nachgelagerte Prozesse an die Speditionen auslagern. Für Spediteure, sagt Davor Sertic, der ähnliches zu berichten weiß, stelle das die viel größere Herausforderung dar: „Kunden erwarten, dass Spediteure immer mehr ihrer Prozesse durchführen. Das erfordert große Investitionen auf Seiten der Spediteure, weil IT-Schnittstellen geschaffen werden müssen, um diese Leistungen erbringen zu können.“
Wettbewerbsjoker Klima
Immer mehr müssen Speditionen aber auch zur Lösung von Umweltverpflichtungen beitragen, die ihre Kunden eingegangen sind oder aufgrund gesetzlicher Anforderung eingehen mussten. „Kunden interessieren sich zunehmend für den CO2-Ausstoß ihrer Transporte“, bestätigt Wolfram Senger-Weiss. Der etwas ernüchternde Nachsatz: „Sobald allerdings eine CO2-ärmere Variante sich als teurer erweist, lässt das Interesse oft nach.“
Das könnte sich, findet Logistik-Professor Staberhofer, schon bald ändern. „Wenn Unternehmen darauf verpflichtet werden, ihren CO2-Ausstoß tatsächlich zu reduzieren, anstatt sich mit CO2-Zertifikaten einfach freizukaufen, dann werden sie dementsprechend auch bei ihren Transporteuren darauf achten, dass diese möglichst CO2-neutral agieren.“ Und in der Folge dafür auch einen höheren Preis akzeptieren. „Ich glaube, dass in der Zukunft ein Wettbewerb um die Umwelt beginnen wird, dem sich auch die Spediteure nicht entziehen können werden. Der ökologische Fußabdruck eines Spediteurs wird im Kampf um den Kunden in der Zukunft eine viel stärkere Rolle spielen.“
Noch werde die Klima-Politik ja vor allem auf dem Papier abgehandelt, sagt Staberhofer und nennt als Beispiel dafür die Klima-Mission 2030 der österreichischen Bundesregierung: „Das ist ja kaum mehr als eine unverbindliche Willenserklärung.“ Weil das Klima-Thema inzwischen aber in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist, werde die Politik in Zukunft zu klareren Aussagen finden müssen. Was die Speditionsbranche übrigens durchaus begrüßen würde, wie Klaus Hrazdira von Quehenberger betont. „Die Politik spricht von einer CO2-Reduktion, einen konkreten Maßnahmenplan, sehe ich aber nicht. Die Transportbranche würde sich einen solchen Plan sehr wünschen, um sich darauf einstellen zu können.“
Wer bringt die Technologiewende?
Denn dann wäre es möglicherweise auch leichter, die Verlader davon zu überzeugen, dass sie nicht einerseits einen CO2-armen oder gar -neutralen Transport ihrer Güter verlangen können, ohne entsprechende Preisanpassungen zu akzeptieren. „Solange jemand seine Leistungen immer zum Tiefstpreis anbietet, wird er niemals Innovationen hervorbringen können, einfach weil ihm der finanzielle Spielraum dazu fehlt“, kommentiert Staberhofer die momentane Situation.
Die Spediteure sehen sich allerdings ohnehin nicht als die Hauptadressaten beim Ruf nach einer Technologiewende. „Die Verantwortung für den CO2-Ausstoß den Logistikern oder Spediteuren zuzuschieben, ist bis zu einem gewissen Grad ein Denkfehler. Treibstoff ist bei einem Spediteur für rund ein Drittel seiner Kosten verantwortlich, allein deshalb wird kein Spediteur mehr Treibstoff verbrauchen wollen als unbedingt nötig. Deshalb dreht sich in der Branche ja auch so viel um die Optimierung von Touren“, sagt Klaus Hrazdira.
Mit Blick auf die Zukunft wünscht sich Wolfram Senger-Weiss aber auch eine Auseinandersetzung, die stärker als bisher die Realitäten ins Auge fasst: „Derzeit leben wir mit zwei Vorstellungen davon, wie die Welt sein sollte, die miteinander schwer vereinbar sind“, sagt er. „Einerseits sollen immer mehr Waren immer schneller und individueller ausgeliefert werden. Andererseits soll alles ökologisch, schadstofffrei sein und der Zustellverkehr aus den Städten verbannt werden. Das kann sich nicht ausgehen. Deshalb werden beide Seiten mittelfristig ihre absoluten Ansprüche anpassen müssen.“
Kampf gegen Denkbarrieren
Eine offenere Diskussion als bisher wünscht sich auch der Obmann der Bundessparte Transport und Verkehr in der WKO, Alexander Klascka. „Wir müssen Barrieren in den Köpfen abbauen, alteingesessene und festgefahrene Muster verlassen und den Versuch unternehmen, gemeinsam Güterströme zu modellieren – weg vom Dogma der Verlagerung, hin zum Gestalterischen.“
Mancherorts passiert das bereits. So sollen in der Schweiz schon in vier Jahren tausend wasserstoffbetriebene Lkw fahren und unter anderem für die Handelsketten Migros und Coop ausliefern. Hyundai entwickelt derzeit solche Fahrzeuge, die erste marktreife Tranche ist bereits für die Schweiz reserviert.
Doch auch an einer anderen Front macht unser Nachbar mit einem Klimaschutz-Denken, das sich über alte Denkmuster hinwegsetzt, ernst. Um den Verkehr auch dort, wo die Infrastruktur oberirdisch nicht mehr ausbaubar ist, zu verdichten, experimentiert man derzeit bei Zürich im Rahmen des Projekts Cargo sous terrain damit, Behälter mit Gütern unterirdisch und per Elektroantrieb zu transportieren.
Das System würde nicht nur den Lkw-Verkehr reduzieren, sondern auch eine sehr enge Taktung und somit Verdichtung zulassen. Bis 2050 soll nach Vorstellungen der Projektbetreiber ein 500 Kilometer langes Netz zwischen Boden- und Genfersee entstehen, mit Ablegern nach Basel, Luzern und Thun. Bis 2030 soll zumindest der Bau der ersten, rund 70 Kilometer langen Strecke zwischen Härkingen–Niederbipp und Zürich abgeschlossen sein. Die dafür nötigen Kosten werden mit rund 2,7 Milliarden Euro angegeben.
Die Finanzierung solch umfangreicher Infrastruktur-Projekte ist aus heutiger Sicht nicht unbedingt einfach. Franz Staberhofer glaubt allerdings, dass auch hier früher oder später marktwirtschaftliche Mechanismen in einem positiven Sinn greifen werden: „Noch scheitern solche Projekte an der Finanzierung, weil von den Akteuren in aller Regel eine Beteiligung der öffentlichen Hand erwartet wird. Aber wenn die Not einmal groß genug ist, halte ich es für sehr wahrscheinlich, dass sich Speditionen zu Konsortien zusammenschließen, um kollektiv in solche neuen Lösungen zu investieren und so zumindest die ärgsten Flaschenhälse zu entschärfen.“