Lieferkette : Hightech-Industrien sind am anfälligsten für Lieferketten-Probleme
Keine Computerchips für die Autoindustrie oder zu wenig Impfstoff – das sind nur zwei Beispiele, die in den letzten Monaten die Verwundbarkeit globaler Lieferketten zeigen.„Insbesondere bei Hochtechnologie und Medizinprodukten stellen wir eine große Abhängigkeit von asiatischen Produzenten fest, allen voran aus China“, sagt Robert Stehrer, wissenschaftlicher Leiter des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw) und Co-Autor einer neuen Studie zum Thema.
Gemeinsam mit Kollege Oliver Reiter hat sich Stehrer angesehen, welche Produkte und Sektoren in Österreich und der EU am anfälligsten für weltwirtschaftliche Schocks sind – und welche Lehren die Politik daraus ziehen sollte. Dazu wurden fast 5.000 Waren und Vorprodukte einer genauen Risiko-Analyse anhand der Faktoren Marktkonzentration, Tendenz zur Clusterbildung, Dominanz einzelner Lieferanten und internationale Substituierbarkeit unterzogen.
Das Ergebnis: Nicht weniger als 30 Prozent der EU-Importe und 35 Prozent der österreichischen Einfuhren aus Drittstaaten entfallen auf Erzeugnisse, die im Falle von Handelsturbulenzen ein erhebliches Verfügbarkeitsrisiko bergen. Im Falle der Volksrepublik China – immerhin der zweitwichtigste Handelspartner der EU – beträgt ihr Anteil an den EU-Importen fast die Hälfte (48,8 %).
Bei Corona-relevanten Erzeugnissen wie Gesichtsmasken, Beatmungsgeräten oder Bestandteilen von Vakzinen zählt rund ein Drittel zu den als „riskant“ klassifizierten Produkten. Besonders hoch ist ihr Anteil in Hightech-Industrien, etwa bei Halbleitern, Schienenfahrzeugen oder Präzisionsmaschinen. „Die umfassenden Produktionsausfälle in der Automobilindustrie aufgrund fehlender Chips haben die schmerzhaften Auswirkungen von Lieferengpässen eindrücklich vor Augen geführt“, sagt Stehrer.
Die politischen Antworten darauf sollten laut den Studienautoren differenziert ausfallen. In der Corona-Bekämpfung haben Österreich und die EU von den globalen Wertschöpfungsketten eindeutig profitiert. „China hat uns in der Pandemie massiv geholfen, weil wir in Europa die erforderlichen Produktionskapazitäten nicht schnell genug aufbauen konnten“, konstatiert Stehrer. Zur Diversifikation von Bezugsquellen empfiehlt die Studie daher die Schaffung eines widerstandsfähigeren multilateralen Handelssystems auf Basis der Welthandelsorganisation (WTO).
Unternehmen sollten die nationalen Regierungen mit umfassenden Informationen über potenzielle Marktkonzentrationen und etwaige Engpässe entlang von Wertschöpfungsketten unterstützen. Zudem plädiert die Studie für Stresstests und die Bevorratung von kritischen Produkten.
Auf der strategischen Ebene wird die bekannte strukturelle Abhängigkeit Europas von China und Südostasien bei Hightech und wichtigen Medizingütern unterstrichen. Um sie zu verringern, braucht es laut den Studienautoren politische Maßnahme der EU. „Nur wenn wir strategische Schlüsselindustrien wie Halbleiter wieder verstärkt nach Europa bringen, bleiben wir langfristig wettbewerbsfähig. Dazu bedarf es aber neuer wirtschaftspolitischer Rahmenbedingungen – von einer Änderung des EU-Beihilfenrechts für Betriebsansiedlungen über eine strategische Industriepolitik bis hin zu einer konsequenten Digitalisierung unserer Volkswirtschaften“, so Stehrer. Eingebettet sollten diese Maßnahmen in die entsprechenden EU-Initiativen sein, allen voran den „Green New Deal“ und das ambitionierte Corona-Wiederaufbauprogramm „NextGenerationEU“.