Gastbeitrag : Lieferkette minus Risiko
Die Welt ist vernetzter denn je und wir alle profitieren davon. Sei es in Form von Waren und Dienstleistungen aus aller Welt oder in Form von Wirtschaftswachstum, das uns die globalen Lieferketten gebracht haben. Sie haben uns aber auch verwundbar und abhängig gemacht, wie die Pandemie schmerzlich gezeigt hat. Seitdem kam viel Bewegung in die Lieferketten. Laut einer Umfrage von Gartner unter 400 Supply Chain-Managern haben 74 Prozent in den letzten zwei Jahren die Anzahl und Größe ihrer Lieferstandorte verändert. Sie haben ihre Lieferantenbasis deutlich erweitert und sich durch mehr Lagerhaltung vor Ort unabhängiger gemacht.
Eine Studie von McKinsey zeigt, wie schleppend sich Lieferketten bisher verändert haben: Zwischen 2016 und 2021 hat sich die Konzentration der Lieferketten in keinem Sektor um mehr als 10 Prozent verändert. 40 Prozent des Welthandels hängen laut McKinsey immer noch von drei oder weniger Exportländern ab. So importiert etwa China Rohöl aus mehr als 40 Volkswirtschaften. Andersrum sind diese Länder aber enorm von China abhängig. Besonders bei alltäglichen Produkten wie Laptops, Mobiltelefonen, Kleidung oder Schlüsselprodukten wie Rohsilizium. Wenn China seine Lieferungen unterbricht oder diese unterbrochen werden, hat dies weitreichende Folgen für den Rest der Welt.
Apple geht nach Indien und Vietnam
Wie langwierig es sein kann, seine Lieferketten zu verändern, zeigt Apple. Um die neuen US-Zölle auf chinesische Produkte zu umgehen, verlagert Apple Teile seiner chinesischen Produktion nach Indien und Vietnam. So wird das iPhone 14s bereits seit September 2022 in Apples neuer Produktionslinie im indischen Chennai hergestellt. In einer logistischen Meisterleistung wurden die neuen indischen Produktionslinien in Rekordzeit aufgebaut. Doch selbst nach dieser gigantischen Umzugsleistung wird noch nicht einmal ein Fünftel aller iPhones in Indien produziert. Zu komplex und einzigartig ist die über Jahrzehnte aufgebaute chinesische Infrastruktur aus unzähligen Fabriken und einzigartiger Produktionserfahrung. Dennoch haben auch Riesen wie Samsung, LG Electronics oder Hasbro China verlassen.
Freiwillige Abhängigkeiten
Besonders verschärfend wirkt die nicht erzwungene sogenannte „wirtschaftsspezifische Konzentration“. Dabei kaufen Länder aus freien Stücken nur bei wenigen Handelspartnern ein, auch wenn es vielfältige globale Bezugsmöglichkeiten gäbe. So importieren die meisten Länder Weizen nur aus zwei oder drei Volkswirtschaften, obwohl 90 Prozent des weltweiten Angebots aus 15 Ländern stammen. Auch interessant: Die Vereinigten Staaten importieren fast alle ihre Sattelschlepper und leichten Nutzfahrzeuge aus Mexiko, während Mexiko fast alle seine Mais-, Propan- und raffinierten Erdölprodukte aus den USA importiert.
Wie können Unternehmen ihre Risiken reduzieren?
Es gibt keine einfachen Antworten, aber einige erfolgversprechende Ansätze, wie z.B. Diversifizierung: Um ihren Abhängigkeiten bestmöglich zu begegnen, brauchen Unternehmen zunächst ein möglichst klares und aktuelles Bild ihrer Konzentration. Nicht alles auf eine Karte zu setzen, sondern nach alternativen Partnern und Routen Ausschau zu halten und stärker regional zu lagern, ist sicherlich die erfolgversprechendste Strategie. Oft lohnt es sich, zusätzliche Lieferquellen zu erschließen und Handelsbeziehungen neu zu gestalten. Je sorgfältiger Unternehmen ihre konzentrierten Risiken managen, desto widerstandsfähiger sind sie.
Stärkung
Einige konzentrierte Handelsbeziehungen können dennoch tatsächlich Wettbewerbsvorteile bieten, z.B. durch den Zugang zu fortschrittlichen Technologien. Es kann sinnvoll sein, diese Partnerschaften zu stärken, um Unternehmen widerstandsfähiger zu machen.
Entkopplung
Kein Unternehmen will zu stark von bestimmten Handelspartnern abhängig sein. In solchen Fällen kann es sinnvoll sein, sich von diesen Partnern zu lösen und mehr im eigenen Land zu produzieren. Dies kann aber auch bedeuten, dass sich Unternehmen noch stärker auf wenige Quellen verlassen und damit ihre Konzentration erhöhen.
Ständiges Anpassen
Die globale Lieferkette ist jedenfalls kein starres Gebilde, sondern ein dynamisches Netzwerk. Sie müssen sich ständig anpassen und weiterentwickeln, um den Bedürfnissen und Erwartungen der beteiligten Akteure gerecht zu werden. Klar ist, dass unsere Lieferketten agiler und widerstandsfähiger werden müssen, um besser auf unvorhergesehene Ereignisse reagieren zu können.