50 Jahre dispo : Ist die KEP-Logistik am Wendepunkt?

DPD KEP Paket
© DPD

Vor fünfzig Jahren war die Welt der Pakete einfach: Es gab die Post, den Otto-Versand und den Quelle-Katalog. Was der, damals recht anspruchslose, Fernkunde bestellte, lieferte die Post. Und die sah damit ihren Auftrag als erledigt. Zusätzliche Angebote? Paketnachverfolgung? Präferierte Zustelladressen? Zweiter Zustellversuch? Fehlanzeige. Bei dem geringen Paketvolumen, das es damals gab, wollte sich das kein Zusteller antun. Weshalb Speditionen diesen Geschäftszweig gerne der Post überließen, die sich als Monopolist damit herumärgern durfte.

Heute ist die Situation zwar völlig anders, in ihrem Kern ist die KEP-Logistik aber noch immer gleich geblieben, wie Sebastian Kummer, Logistik-Professor an der WU Wien, erklärt. „Es geht immer noch darum, Pakete von Depots zum Endkunden zu bringen. Was sich allerdings völlig gedreht hat, sind die Dimensionen, das Volumen und die Effizienz.“ Eine Entwicklung, die auch Rainer Schwarz, Geschäftsführer bei DPD Austria, nachzeichnet. „Als wir 1988 begonnen haben, stellten wir wenige tausend Pakete pro Jahr zu. Heute sind es 50,5 Millionen.“

Mit zunehmenden Mengen tauchten auch Spezialisten auf, die das Paket-Geschäft zu ihrer Kernkompetenz erklärten. Was in den USA mit UPS und FedEx begann, schwappte – von Online-Handel war damals noch lange nicht die Rede – in den späten 80ern und frühen 90ern auch nach Europa über. DHL und GLS zählten damals zu den Pionieren, die sich in Europa explizit auf KEP-Logistik spezialisierten. Doch bis ins neue Jahrtausend blieb das Paketgeschäft beschaulich: „Aus heutiger Sicht waren für KEP-Dienstleister die frühen 2000er-Jahre noch paradiesisch“, bestätigt Kummer.

Scanner in Koffergröße

Die heute allgegenwärtige Digitalisierung und Technisierung setzte ebenfalls nur langsam ein. Rainer Schwarz kann sich noch gut an die ersten Barcode-Scanner erinnern, mit denen die Branche experimentierte: „Das waren Ungetüme von annähernd Koffergröße“, erzählt er.

Das geklebte Etikett blieb daher noch lange der wichtigste Informationsträger. Wurde es unlesbar, gingen damit auch gleich alle Daten über den Empfänger verloren. Im durchdigitalisierten Online-Zeitalter von heute ein unvorstellbarer Zustand. „Heute sind für Paketdienstleister die Daten und ihre Verfügbarkeit mindestens gleich wichtig wie der Transport des physischen Pakets“, sagt Schwarz.

„Die Digitalisierung hat die Kommunikation grundlegend verändert – im Unternehmen selbst, vor allem aber auch die Kommunikation mit unseren Kundinnen und Kunden“, bestätigt Postvorstand Peter Umundum. „Kunden- und Serviceorientierung entscheiden heute stärker denn je über den Erfolg.“

Die Erwartung, dass Pakete einen Tag nach ihrer Aufgabe den Adressaten erreichen, dass der KEP-Anbieter möglichst auf die Minute genau vorhersagen kann, wann er beim Kunden ankommen wird, und schließlich das rasant steigende Volumen zwingen die Branche allerdings dazu nachzudenken, wie sie ihren Kunden-Service auch in Zukunft aufrechterhalten kann. „Bestimmte Bereiche scheinen mir heute kaum noch optimierbar, etwa die Dichte der innerstädtischen Stopps. Da ist in vielen Städten und bei vielen Zustellern die Grenze des Möglichen erreicht“, sagt Logistik-Experte Kummer.

Noch viel Optimierungspotenzial

Axel Spörl, General Manager bei GLS Austria, sieht das anders. „Die physische Bewältigbarkeit des ständig zunehmenden Paketaufkommens finde ich nicht so kritisch. Klar: Straßen, Gebäude kann man nicht unendlich ausbauen, ich glaube aber, dass wir mit Digitalisierung und mit der effizienteren Nutzung der vorhandenen Straßen- und Lagerinfrastruktur noch ein riesiges Potenzial haben“, sagt er und stellt zur Diskussion, ob denn der heute übliche Rhythmus, morgens ausliefern, abends abholen für immer erhalten bleiben muss. „Egal, bei welchem Paketdienst Sie schauen: Um 12.00 Uhr ist nichts los. Allein da liegen noch viele Verbesserungsmöglichkeiten.“

Auch bei der Organisation des Straßenverkehrs sieht Spörl das Optimum noch lange nicht erreicht und nennt als Beweis dafür ein Beispiel aus Tel Aviv: „Dort hat man die morgendlichen Staus entschärft, indem man begonnen hat, die Müllabfuhr statt morgens in der Nacht fahren zu lassen. Die Müllmänner wecken dabei vielleicht den einen oder anderen auf, aber sie verursachen in der Früh keinen Stau mehr.“

Postvorstand Peter Umundum gibt sich ebenfalls optimistisch, die rapide zunehmenden Paket-Mengen bewältigen zu können und seinen Kunden in Zukunft sogar ein System anbieten zu können, bei dem sie ihr Paket nicht zwingend immer an die Hausadresse, sondern stets exakt dorthin geliefert bekommen, wo sie sich gerade befinden: „Technologische Entwicklungen werden es uns ermöglichen, in vielen Bereichen noch effizienter zu werden. Empfängerinnen und Empfänger werden zukünftig noch stärker selbst in die Logistik der letzten Meile eingreifen.“

Zugleich diskutiert die Branche aber auch darüber, ob eines Tages die heute als Normallfall angesehene Hauszustellung nicht zu einem Premium-Produkt geadelt werden soll. Noch ist in Österreich die Zustellung an die Hausadresse ein Standard, von dem sich der Kunde nur schwer trennen will. In Zukunft könnte es aber Usus werden, dass die Zustellung bis zu einem Paketshop zum Normalfall erklärt wird und die Zustellung bis vor die Haustür extra zu bezahlen ist.

Ab in die Box

Noch weiter in ihren Veränderungsgedanken gehen jene, die wie Sebastian Kummer in Ballungsräumen einen generellen Umstieg auf ein flächendeckendes Boxensystem überlegen. „In Städten wäre eine Möglichkeit die Lieferung an Boxen, zu denen der Kunde dann per App einen Zugang erhält. Wenn solche Boxen in Wohnsiedlungen sinnvoll positioniert sind, ist das eine gute Lösung, die Wege spart.“

In Österreich hat die Post inzwischen Boxensysteme errichtet, aus denen ihre Kunden Sendungen, die nicht persönlich zustellbar waren, rund um die Uhr entnehmen können. Sie sieht das allerdings als ein eigenes Asset, das sie nicht dafür aufgebaut hat, um es mit anderen zu teilen. Das Gegenmodell dazu wäre eine von einem Unabhängigen betriebene Boxen-Infrastruktur, die alle KEP-Anbieter gegen Gebühr nützen können. „In China oder Thailand funktioniert das einwandfrei“, sagt Kummer.

Kein Zusteller am österreichischen Markt will derzeit allerdings die Hauszustellung zu einem obsoleten Modell erklären. Worüber jedoch immer wieder nachgedacht wird, ist, wie man die Letzte Meile über Micro-Hubs entflechten und umweltfreundlicher gestalten könnte. An Gewicht gewinnt diese Überlegung auch deshalb, weil nicht nur Endkunden, sondern immer mehr Versender den CO2-Aspekt in Spiel bringen und ein CO2-Reporting über den Footprint der von ihnen versendeten Pakete verlangen.

„Noch sind das vor allem große Unternehmen, die solche Daten in ihren Nachhaltigkeitsberichten ausweisen. Doch es ist ein Trend, der zunimmt“, erzählt Rainer Schwarz von DPD Austria.

Ende der Preisschlacht?

Was die Branche freilich auch umtreibt, ist die Frage, wie die immer umfangreicheren Services, die längst nicht nur der B2C-, sondern auch der B2B-Kunde wünscht, von der Paketnachverfolgung bis eben zum Footprint-Nachweis, in den Preisen abgebildet werden sollen. „Wir haben diesbezüglich im vergangenen Jahr eine ganz wichtige Wende erlebt. Etliche Anbieter, darunter auch GLS, haben sich entschlossen, nach langer Zeit Ihre Preise anzupassen. Ich denke, wir haben als Branche endlich der Tatsache Rechnung zu tragen begonnen, dass Wachstum allein noch keine schwarzen Zahlen bringt“, schildert GLS-Chef Spörl die aktuelle Lage.

In den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren, darin sind sich fast alle führenden Logistiker in Österreich einig, wird in der Paketzustellung daher auch eine Trennung in Basisangebote kommen, die für den Endkunden weiterhin kostenfrei sein werden, und in Angebote, die zahlungspflichtig sind. „Auf der Letzten Meile gibt es einfach immer mehr verdeckte Kosten, die der Versender nicht übernehmen will und der KEP-Logistiker nicht auf Dauer übernehmen kann, wenn er Gewinn machen möchte“, sagt Axel Spörl.

Neue Deutlichkeit

Heute sagen KEP-Logistiker ihren Kunden recht deutlich, dass es angesichts von Kapazitätsengpässen zu besonders intensiven Zeiten wie Weihnachten nötig ist, über das Jahr gerechnet höhere Preise zu verlangen. „Wenn der Kunde nicht bereit ist, die zu zahlen, dann können zumindest zu diesen Zeiten keine höheren Paketmengen angenommen werden“, sagt Schwarz. „Um das Weihnachtsgeschäft bewältigen zu können, braucht es mehr Autos, mehr Fahrer. Beides kurzfristig zu organisieren, ist kaum möglich. Deshalb müssen wir entsprechende Kapazitäten vorhalten.“ Und das koste eben.

Wie schwer es geworden ist, Fahrer zu bekommen, zeigen auch einige unrühmliche Beispiele aus Deutschland. Da hat die Not derart große Ausmaße angenommen, dass Fahrer aus Polen angeheuert wurden, die zwei Wochen lang in ihren Autos schlafen mussten, damit sie untertags aushilfsweise Pakete zustellen. „Das sind eigentlich unzumutbare Zustände. Leider sind solche und ähnliche Fälle gar nicht so selten“, kommentiert Sebastian Kummer.

Er sieht das KEP-Geschäft trotz konstant starker Zuwachsraten und einer sich abzeichnenden Preiskonsolidierung daher nach wie vor als keinen einfachen Boden an. „Das hat man an der Gewinnwarnung der deutschen Post gesehen, das sieht man auch an der Kursentwicklung der österreichischen Post.“

Zugleich sind die nach wie vor rasant zunehmenden Paketmengen immer noch ein Anreiz für neue Anbieter. In den vergangenen Jahren kamen sie vor allem aus der Branche selbst. „Heute kommen auch solche, die branchenfremd sind, wie Amazon“, analysiert Kummer. Und er fügt an: „Wenn Händler wie Amazon die Auslieferung übernehmen, kann das für die KEP-Logistiker durchaus zu einer Gefährdung werden.“ Fünfzig Jahre nach Quelle, Post und Otto-Versand wird das vielleicht der größte Bruch sein, der der Branche bevorsteht. Und einer, dessen Folgen alles andere als absehbar sind.