Gastbeitrag : 3 Trends die das Lieferketten-Management 2023 prägen

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Wer sich mit der Transportbranche auskennt, weiß, dass Lieferketten fast nie reibungslos funktionieren. Doch spätestens seit 2022 ist klar, dass jeder Anschein von Stabilität eine Illusion ist. Vom Krieg in der Ukraine über den Kraftstoff- und Fahrermangel bis hin zur steigenden Inflation – die Transportnetzwerke sind weiterhin unter großem Druck.

All diese externen Faktoren haben dazu geführt, dass die Stabilität von Lieferketten wie nie zuvor in das öffentliche Bewusstsein gerückt ist. Unterbrochene Lieferketten haben weltweit die Nachrichten dominiert und das Thema gelangte zugleich auf die Agenda in den Führungsetagen von Unternehmen.

Die große Frage, die sich Logistikexperten zu Beginn des neuen Jahres stellen, lautet: Was wird das Jahr 2023 bringen? Obwohl es schwer ist, zeichnen sich drei Trends ab, die die Planung von Lieferketten im nächsten Jahr prägen werden.

Transporeon-Chef Stephan Sieber
Stephan Sieber ist Geschäftsführer von Transporeon. - © Transporeon

1. Von resilienten Lieferketten zu Optionalität

Dass die Resilienz von Lieferketten ausgebaut werden muss, ist im Transportsektor mittlerweile allgemein bekannt. Sie widerstandsfähiger zu machen, entweder durch neue Geschäftsstrategien oder digitale Tools, ist eine wichtige Priorität für alle Verlader, Spediteure und Logistikdienstleister.

Im Jahr 2023 wird es jedoch darum gehen, diesen Ansatz noch einen Schritt weiter zu denken. Der Schwerpunkt wird auf der Schaffung von mehr Handlungsspielraum liegen, damit Unternehmen die Flexibilität und Freiheit haben, alternative Strategien zu verfolgen. Unternehmen müssen in der Lage sein schon zu handeln, bevor sie sich anpassen und konsolidieren müssen. Eine Möglichkeit, dies zu erreichen, ist das Multi-Shoring. Angesichts der nach wie vor angespannten und unberechenbaren geopolitischen Lage und steigender Preise in einigen ehemals „kostengünstigen“ Weltregionen wie Asien wird es für viele westliche Unternehmen immer schwieriger, nur eine einzige Beschaffungsstrategie zu verfolgen. Daher werden viele Unternehmen nach und nach versuchen, Kapazitäten und Märkte in Europa und Amerika aufzubauen, um ihr Geschäftsmodell langfristig abzusichern.

Um sich auf diese Weise mehr Handlungsspielraum zu verschaffen, bedarf es umfassender Echtzeiteinblicke in Märkte und Prozesse. Außerdem muss die Interoperabilität mit digitalen Systemen von Geschäftspartnern gewährleistet sein. Letztlich geht es darum, Technologien zu adaptieren, die sich als effektiv erwiesen haben. So nutzen beispielsweise 57 Prozent der Spediteure
inzwischen Transportmanagement-Plattformen, um zusätzliche Kapazitäten zu finden, wenn ihr eigenes Logistiknetzwerk an seine Grenzen stößt. Durch die Nutzung digitaler Plattformen und branchenspezifischer Netzwerke sind die Akteure der Lieferkette besser in der Lage, den Erfolg selbst in die Hand zu nehmen. Das ist besonders wichtig angesichts zu erwartender neuer externer Faktoren, die wahrscheinlich weitere Disruptionen verursachen werden.

2. Zusammenarbeit steht im Mittelpunkt

Seit vielen Jahren wird im Transportwesen eine stärkere Zusammenarbeit zwischen Unternehmen zwar gefordert, aber selten tatsächlich praktiziert. Doch mit Blick auf das kommende Jahr wird Zusammenarbeit von einem „Nice to have“ zum „Must have“. Denn das ist für eine erfolgreiche Bewältigung der Herausforderungen, mit denen Unternehmen konfrontiert sind, unverzichtbar. Dieser Einsicht stimmen 71 Prozent der Stakeholder der Lieferkette bereits stark zu.

Es gibt dabei sicher noch Raum für Verbesserungen. Nur 17 Prozent der Stakeholder im Bereich Lieferketten stufen den Grad ihrer Zusammenarbeit mit Third-Party-Logistikanbietern (3PL) und Spediteuren bereits als „sehr hoch“ ein. Die größten Hindernisse auf dem Weg zu mehr Kooperation sind schlecht integrierte IT-Systeme, nicht aufeinander abgestimmte Messgrößen und zu wenig Austausch von Daten.

Erst die zunehmende Zusammenarbeit wird es Unternehmen ermöglichen, die Kapazitätslücken zu schließen, die zwischen Verladern, Spediteuren und Logistikdienstleistern bestehen. Hier liegen zugleich einige der größten Herausforderungen und Chancen der Branche. Eine verbesserte Zusammenarbeit durch den Austausch von Daten beispielsweise versetzt die Akteure der Lieferkette in die Lage, Leerkilometer zu reduzieren, kosteneffizienter zu arbeiten sowie durchdachtere strategische Entscheidungen zu treffen. Ebenso verbinden neutrale Plattformen Unternehmen miteinander, die sich an unterschiedlichen Positionen der Lieferkette befinden. So wird sichergestellt, dass alle an einem Strang ziehen.

Anstatt sich nur auf die Digitalisierung zu konzentrieren, wird ein hybrider Ansatz erforderlich sein, der Technologie und Menschen zusammenbringt. Wie McKinsey erklärt, kann die Einbeziehung des „Faktor Mensch“ bei der Digitalisierung Unternehmen dabei helfen, Vertrauen aufzubauen, bessere Kommunikation zu fördern und generell die Zusammenarbeit zu stärken. Mehr Kooperation dank größerem Vertrauen stellt eine unterschätzte Möglichkeit dar, moderne Lieferketten zu optimieren. Aus diesem Grund werden im Jahr 2023 immer mehr Transportunternehmen den Ausbau der Zusammenarbeit zur Priorität machen.

3. Umwelt vs. Wirtschaft

Ein positives Fazit aus 2022 ist, dass es ein gutes Jahr war, was die Nachhaltigkeit von Lieferketten
angeht. Auf dem Weg zur Klimaneutralität wurden Fortschritte erzielt: 59 Prozent der Spediteure und 54 Prozent der Verlader sind nun in der Lage, ihre transportbezogenen CO2-Emissionen zu berechnen (gegenüber 45 Prozent bzw. 37 Prozent im Jahr 2021). Trotz der jüngsten Medienaufmerksamkeit und neuer Investitionen, gibt es jedoch auch Herausforderungen. Der Markt kann die aktuelle wirtschaftliche Situation nicht ignorieren. Da die Inflation den höchsten Stand seit Jahrzehnten erreicht hat und eine Rezession droht, müssen wir damit rechnen, dass sich einige Initiativen zum Klimaschutz leider verlangsamen werden.

Aber wirtschaftliche Performance und Nachhaltigkeit dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Es gibt hier kein „entweder/oder“. Deshalb werden sich die zukunftsorientiertesten Unternehmen nach wie vor an Nachhaltigkeitsinitiativen beteiligen, wenn auch mit einem leicht veränderten Schwerpunkt. Die Frage wird künftig lauten: Wie können wir unsere Nachhaltigkeitsbemühungen am besten mit unseren wirtschaftlichen Zielen verbinden?

Hier kommen Daten ins Spiel. Nur wenn Unternehmen Daten im gesamten Betrieb sammeln und mit Datenanalysen aus branchenübergreifenden Netzwerken in Beziehung setzen, können sie sich auf das Wesentliche konzentrieren und effizienter arbeiten. Die Visionäre der Logistikbranche werden dies erkennen und damit beginnen, ihre Investitionen in Nachhaltigkeit langfristiger zu denken. Das stellt sicher, dass die Pilotprojekte von heute sich zu den Standards von morgen entwickeln.

Letztlich hat uns das Jahr 2022 gezeigt, welche strukturellen Ineffizienzen bis heute in globalen Lieferketten bestehen. Von schwankenden Preisen, über Kostendruck bis hin zu der Erkenntnis, dass es bei der Digitalisierung kein Patentrezept gibt – es war eindeutig ein herausforderndes Jahr. Aber am Horizont zeichnen sich neue Chancen ab. Im Jahr 2023 müssen die Verantwortlichen im Transportwesen lediglich sicherstellen, dass sie die richtigen Netzwerke aufbauen und Tools implementieren. Dann können sie auch neue Herausforderungen bewältigen.