Human Resources : Die Mitarbeiter-Bindungs-App
Die Idee kam von einem Logistik-Mitarbeiter. Doch sie betrifft die Erhöhung der Marken-Reichweite. Eine kleine, möglicherweise aber wirkungsvolle Maßnahme – an der Kreuzung der stark befahrenen Straße neben der Firmenzentrale wurde erstmals ein Werbeschild aufgestellt. Idee und Aktion wurden über eine App gepostet. Jeder Mitarbeiter des Unternehmens kann das Posting nun lesen, liken oder auch dem Verfasser antworten. Es ist das, was Michael Girstmair unter „Engagement“ versteht: Bindung. Freiwillig und selbstbestimmt.
Michael Girstmair und sein Team von Stratact hat die App „weffect“ entwickelt, und ihm ist wichtig zu betonen, dass es sich dabei weder um Social Media handelt noch um ein elaboriertes Vorschlagswesen. Weffect dient ausschließlich der Beschreibung von Handlungen, die tatsächlich gesetzt wurden. Es ist Best-Practice-Sharing, Mitarbeiter posten Handlungen, auf die sie stolz sind. Oder mit denen sie andere inspirieren möchten. Und für die sie auch Anerkennung möchten.
Ausbruch aus dem Silo-Denken
In Branchen wie der Logistik, die bisweilen verzweifelt nach neuen Mitarbeitern suchen, gerät ein naheliegender Aspekt oft in den Hintergrund: die Bindung der bestehenden Mitarbeiter an das Unternehmen. Rund ein Drittel der Menschen arbeitet – quer über alle Branchen – im Zustand der inneren Kündigung, sagt Herbert Kling, Experte für Employer Branding, „die Zahlen sind wirklich schlimm“. Vor allem angesichts der Tatsache, dass die Mundpropaganda bestehender Mitarbeiter eine der wichtigsten Quellen für das Image eines Unternehmens ist.
Natürlich hat sich rund um Employer Branding und Engagement längst eine gut geölte Industrie entwickelt – in der Michael Girstmair immer wieder einen Kardinalfehler beobachtet: den Versuch, Mitarbeiter über einen Kamm zu scheren. „Die Einteilung der Mitarbeiter in die gängigen Silos ist nicht passend. Wer nicht mit den Kollegen über glühende Kohlen laufen will, für den stellt es eine Grenzüberschreitung dar, während andere davon sehr profitieren werden. Viele Teambuilder und viele Unternehmen sind hier zu wenig sensibel.“ Girstmair setzt auf die Unterscheidung von User-Personas – was mit Kategorien wie Alter, Geschlecht, Unternehmensabteilung oder Hierarchie nur bedingt zu tun hat.
„Die Menschen in Unternehmen haben nicht nur völlig unterschiedliche Kommunikations-Bedürfnisse, sondern, noch wichtiger, unterschiedliche Anerkennungs-Bedürfnisse“, sagt er, und dementsprechend verfolgt die weffect-App auch einen radikal individuellen Ansatz: Jeder Mitarbeiter entscheidet, wann, wie häufig und zu welchem Thema er Postings beiträgt. Also auch, wofür er Anerkennung möchte. Vor allem aber: ob er es überhaupt tun will. Und damit gibt er seinem Unternehmen unschätzbar wertvolles Feedback.
Sinn schlägt Geld
weffect basiert auf dem Gedanken, dass Mitarbeiterzufriedenheit vor allem über das Gefühl entsteht, das eigene Tun habe Einfluss auf das „große Ganze“. Und das, meint Michael Girstmair, werde wichtiger. „Jede Organisation weiß heute, dass große Themen anstehen. Digitalisierung, Transformation, die Veränderung oder sogar der Wegfall der eigenen Branche. Doch die meisten Mitarbeiter haben mit diesen Prozessen subjektiv nichts zu tun, sie hören nur davon, und das löst natürlich Angst aus.“ Laute die Botschaft der Führungsebene aber: „Wir haben Veränderungen vor uns – und daher würde uns freuen, wenn Sie eine oder auch mehrere Handlungen teilen, auf die Sie stolz sind oder mit denen Sie Kollegen inspirieren wollen“, eröffne man damit jedem Mitarbeiter die Möglichkeit, das eigene Handeln in Relation zum Unternehmen selbst zu setzen.
Herbert Kling, der sich mit seinem Unternehmen brandscore auf Employee Engagement und Employer Branding spezialisiert hat, bestätigt den Ansatz Michael Girstmairs, dass das Erkennen von Sinn in der eigenen Tätigkeit der wichtigste Hebel zur Zufriedenheit im Beruf ist. „Umfragen ergeben klar, dass der Verdienst zwar wichtig, aber nicht entscheidend ist. Mehr Geld mag für einen Wechsel initial wirken. Aber für die Motivation und den Verbleib im Unternehmen zeichnen andere Aspekte verantwortlich. Für die Arbeitnehmer steht die Sinnerfüllung im Vordergrund. Sie wollen wissen, wie sich ihre Tätigkeit auf das Unternehmen auswirkt. Und sie wollen die Unternehmensstrategie kennen. Vor allem dieser Punkt wird von den meisten Firmen unterschätzt.“
„Agilität bedeutet auch, Selbstständigkeit zuzulassen“
Die weffect-App lässt kein beliebiges Posten zu – die Plattform ist in 18 Funktionsgruppen und 27 strategische Unternehmens-Aspekte unterteilt. Wer einen Beitrag posten möchte, entscheidet sich für den Bereich, den seine Handlung betrifft, und erklärt, was und wie er es getan hat. Optional wird um eine Schätzung gebeten, wie hoch der pekuniäre Effekt der Handlung sein könnte.
Während die Postings für jeden Mitarbeiter des Unternehmens zugänglich sind (übrigens in aktuell 26 Sprachen übersetzbar), laufen die Ergebnisse für die Unternehmensführung in einem umfangreichen Dashboard zusammen: Das Management erfährt in Echtzeit, ob etwa die vorgegebene Strategie mit dem Verhalten der Mitarbeiter übereinstimmt. Wie hoch das Engagement der Mitarbeiter in den einzelnen Unternehmensbereichen ist. Oder auch, ob andere Maßnahmen (Kommunikation, Schulungen, Trainings etc.) die Handlungen der Mitarbeiter verändern.
Diese Auswertungen, betont Girstmair, sind kein Feedback im klassischen Sinne. Es geht bei weffect nicht um die Reaktion auf Handlungen der Führung, sondern um intrinsisch motiviertes Handeln der Mitarbeiter selbst. Dass diese Handlungen nicht immer Best Practice sind, ist ein Risiko, das eingegangen werden muss: „Das ist der agile Aspekt von weffect. Agilität bedeutet eben auch, Selbstständigkeit zuzulassen.“ Aus der Erfahrung in den Unternehmen, die das Tool bereits einsetzen, weiß Girstmair auch, dass die Dashboard-Auswertungen nicht unbedingt konkrete Handlungen des Managements zur Folge haben. Müssen sie auch nicht: „Unternehmen profitieren davon, dass die Menschen eine erhöhte Awareness für bestimmte Themen haben. Das Tool wirkt durch seine Existenz.“
Erfolgsfaktor Freiwilligkeit
Die Erfahrung zeigt, dass weffect erstaunlich stark angenommen wird. Im Schnitt verwenden zwölf Prozent der Mitarbeiter das Tool zumindest einmal im Monat, um eine konkrete Handlung zu beschreiben. Auf Jahresbasis sind es über 50 Prozent. Natürlich gebe es auch immer Menschen, die grundsätzlich dagegen sind, was das Management verstehen und akzeptieren müsse – Freiwilligkeit ist ein zentraler Aspekt von weffect. Und eben auch von Agilität.
Frequenz sei ohnehin nicht das Erfolgskriterium. „Oft sind es die Kommunikationsabteilungen, die Engagement an der Frequenz messen“, erzählt Michael Girstmair, „und die dann enttäuscht sind, wenn nur wenige das teuer eingeführte Intranet nutzen. Für mich bedeutet Bindung aber, dass Menschen bereit sind, sich über das vertraglich Geforderte hinaus mit dem Unternehmen auseinanderzusetzen. Aus welchem Grund auch immer, wie viele auch immer, aber jedenfalls freiwillig.“
Girstmair sieht das Tool übrigens nur als Teil eines Bündels an Möglichkeiten, die Unternehmen zur Verfügung stehen. „Ich bin davon überzeugt, dass irgendwann jedes Unternehmen eine Art Engagement-Appstore haben wird – genauso divers wie auch die Mitarbeiter selbst. Und ich habe den Eindruck, dass wir hier erst an einem Damm kratzen, der einmal brechen wird.“