Nachhaltigkeit : „Green Logistics ist viel mehr als nur Hardware“
dispo: Herr Koch, Green Logistics werden fast immer mit Transport assoziiert – kann die Intralogistik hier nichts beitragen?
Andreas Koch: Die meisten Menschen assoziieren Logistik mit dem, was sich zwischen Gebäuden auf der Straße abspielt, das gilt auch für Green Logistics. Aber schon in der Intralogistik kann dafür gesorgt werden, dass man in der Transportlogistik weniger Energie verbraucht.
Zum Beispiel wie?
Koch: Ein klassisches Beispiel ist das Beladen von Paletten. Das muss ja so erfolgen, dass die Stabilität gesichert ist und der Raum optimal genutzt wird. Hinzu kommen spezifische Anforderungen wie etwa die Reihenfolge der Entladung beim Empfänger. Die Kenntnis des Produktspektrums und die – rechtzeitige – Kenntnis der Bestellung versetzen uns in die Lage, optimiert auszuliefern, indem man die Beladung der Palette vor dem physischen Vorgang komplett in der IT simuliert. Das verringert die Zahl der Paletten und der Fahrten und verkürzt die Wege, die eine Palette etwa beim Entladen im Supermarkt nehmen muss.
Ähnliches gilt für Verpackung und Umverpackung. Im Bereich der KEP-Dienste etwa könnte man durch weitere Verdichtung noch starke Effekte erzeugen.
Das sind Ansätze, die nicht auf Hardware basieren.
Koch: Ja, Green Logistics ist viel mehr als nur Hardware, sie hat viel mit Intelligenz zu tun, mit Steuerung und mit Prozessen. Beim Thema des Energieverbrauchs überschneiden sich die beiden Aspekte. Hier geht es ja darum, Energieverbrauch grundsätzlich zu vermeiden und die Energie, die notwendig ist, intelligent und effizient einzusetzen. Und auch darum, verbrauchte Energie effizient zurückzugewinnen. All diese Aspekte werden in der Intralogistik schon lange intensiv diskutiert und bearbeitet, und es gibt auch eine Reihe von entsprechenden Technologien und Aktivitäten.
Im Grunde beginnt es aber immer mit Intralogistik-Konzepten: Wenn die Prozesse im Materialfluss entsprechend effizient sind, indem etwa möglichst wenig Gebäudefläche verbraucht wird, ist dies ein erster Schritt, um weniger Energie zu verbrauchen. Sehen Sie sich Tiefkühlläger an, die ja sehr energielastig sind: Hier ist man aus Gründen der Wirtschaftlichkeit gezwungen, Prozesse so zu gestalten, dass sie auf engstem Raum stattfinden können. SSI Schäfer verfügt über die entsprechenden Kompaktbauweisen, wir können Materialflüsse auf engstem Raum gestalten. Und wir versuchen permanent, den Einsatz von Leichtbauweise zu erweitern. In den vergangenen Jahren kam immer mehr das Zusammenspiel mit der IT und der Anlagensteuerung hinzu.
Wie weit sind Sie bei der Rückgewinnung und dem Speichern von Energie?
Koch: Wir beschäftigen uns schon lange mit dieser Frage. Ursprünglich hat man ja Fahr-, Hub- und Bremsenergie gewonnen und ins Netz rückgespeichert. Das ist aber vergleichsweise kostspielig. Heute sind wir dazu übergegangen, die zurückgewonnene Energie innerhalb des Systems wieder zu verwenden. Damit erspart man sich zwar Speichermedien – allerdings muss der Energiebedarf dann auch immer vorhanden sein, da die Energie sonst ja verpufft.
Der nächste Schritt ist nun, Speichermöglichkeiten zu schaffen. Wir reden hier von sogenannten Superkondensatoren oder Supercaps, die sehr kurze Ladezyklen von ein paar Sekunden haben und ein paar Minuten Einsatz erlauben. Die neueste Generation unseres Einebenen-Shuttles funktioniert ausschließlich mit diesem autarken Energieträger, man muss also keinen zusätzlichen Energieträger mitführen. Energie kann somit sofort pro Fahrzeug gespeichert und wiederverwendet werden.
Von welcher Einsparung sprechen wir hier?
Koch: Das hängt natürlich vom Anwendungsfall ab, aber auf das einzelne Fahrzeug bezogen, kann man gegenüber dem Vorgängermodell bis zu einem Drittel der Energie einsparen.
Können Sie hier weitere Pläne nennen?
Koch: Im Bereich der Regalbediengeräte untersuchen wir, inwieweit es sinnvoll und praktikabel ist, zusätzlich Energiespeicher mitzuführen. Um in der Lage zu sein, wirklich jegliche Energie nicht nur zurückzugewinnen, sondern auch dezentral verfügbar zu machen. Beim SSI Flexi Shuttle taten wir uns relativ leicht, weil es klein und leicht ist und daher auch der autarke Energieträger klein sein kann. Bei einem Paletten-Regalbediengerät sprechen wir aber von mehreren Tonnen und zusätzliche Energiespeicher bedeuten dann auch ein zusätzliches Gewicht, welches sich auf die Energieeffizienzberechnung auswirkt. Hier stehen also noch einige Berechnungen an.
Es klingt übrigens, als hätte sich auch die Zusammensetzung Ihrer F&E-Teams verändert. Brauchen Sie hier neues Know-how?
Koch: Ja, absolut, nur sind diese Experten leider nicht einfach zu bekommen. Die sind wirklich rar. Da uns der weitere Ausbau unseres eigenen Know-hows hierdurch erschwert wird, arbeiten wir zum Teil auch mit Partnern, mit Standard-Lieferanten. Und wir streben auch gemeinsame Entwicklungen an.
Ist auch die Kooperation mit Startups für Sie interessant?
Koch: Auf jeden Fall, denn die haben die Möglichkeit, sich über einen gewissen Zeitraum ausschließlich auf sehr konkrete, abgegrenzte Bereiche zu konzentrieren. Diese Möglichkeit haben große Unternehmen natürlich nicht in diesem Maße.
Intralogistik als Stand-alone-Lösung ist wohl nicht denkbar?
Koch: Nein, hier bestehen natürlich gegenseitige Abhängigkeiten. Wir können noch so energieeffiziente Regalbediengeräte liefern – wenn der Kunde sie in einem wenig effizienten Umfeld einsetzt, hilft das am Ende nichts. Es ist selbstverständlich einfacher, mit einem Kunden über grundlegende Konzepte zu sprechen, wenn er sich intensiv mit seiner Gebäudeinfrastruktur auseinandersetzt. Der Idealfall ist, wenn wir schon bei der Gebäudeplanung eingebunden sind. Dann kann man den Kunden meist auch schnell überzeugen, in Richtung Nachhaltigkeit zu denken. In der Logistik landen Sie letztlich immer an dem Punkt, Systeme ganzheitlich betrachten zu müssen.
Wie sieht es denn mit der Zahlungsbereitschaft für nachhaltige Logistik aus? Ist die in Ihrem Bereich erfreulicher als in B2C?
Koch: Ich bemerke seit einiger Zeit tatsächlich wachsende Bereitschaft, die Themen Green Logistics und Energieeffizienz nicht nur unter rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu sehen. Es wird nicht mehr überall auf einem strengen Amortisations-Zeitraum bestanden. Bis zu einem gewissen Maße werden Wirtschaftlichkeitsrechnungen gar nicht mehr angestellt. Dass Unternehmen das Thema gut für Marketing einsetzen können, diskreditiert es ja nicht. Ich halte es eher für ein erfreuliches Zeichen, wenn man damit in der Öffentlichkeit punkten kann.
Gefühlt 100 Prozent der Unternehmen stellen den Menschen in den Mittelpunkt ihres Tuns – und denken permanent an die Umwelt. Ärgern Sie sich über Greenwashing?
Koch: Ich finde, es spornt eher an. Dass sich fast alle die Nachhaltigkeit auf die Fahnen schreiben, zeigt ja, dass der Bedarf da ist. Und letztlich muss, wer es behauptet, auch den Beweis antreten. Ich denke, unter dem Strich hilft es uns mehr als es uns schadet.