Interview mit Prof. Dr. Kummer : Kontraktlogistik im Umbruch

Markus Reithofer: Herr Prof. Kummer, Kontraktlogistik erweist sich bei näherer Betrachtung als sehr abstrakter Begriff, der eine Vielzahl unterschiedlicher Dienstleistungen zusammenfasst. Wie würden Sie aus aktueller Sicht Kontraktlogistik definieren?

Prof. Dr. Sebastian Kummer: Natürlich unterliegt jeder Logistikdienstleistung ein Vertrag. Unter „Kontraktlogistik" verstehen wir jedoch vertraglich vereinbarte (Logistik)Dienstleistungen, die ein mehr oder weniger umfangreiches Leistungsbündel umfassen und die für einen gewissen Zeitraum abgeschlossen werden. Früher wurden meist längere Zeiträume vereinbart, heute finden sich auch eine Vielzahl von Jahresverträgen.

Kontraktlogistiker bieten zunehmend auch nichtlogistische Dienstleistungen wie Montagearbeiten und kleinere Reparaturen, etwa bei Garantieleistungen, an. Wie sehen Sie in diesem Bereich die zukünftige Entwicklung? Scharf formuliert: Werden Kontraktlogistiker in Zukunft Autos bauen?

Kontraktlogistiker helfen heute schon maßgeblich mit Autos, Computer und andere Produkte zu bauen. Beispielsweise für die Drucker von Hewlett Packard führen Logistikdienstleister schon seit langem Endmontageaktivitäten durch. Selbst eher konservative Unternehmen wie Daimler Benz lassen nun eine Vielzahl von Logistikaufgaben bei der Montage des neuen Werks in Ungarn von einem Logistikdienstleister ausführen. Die Firmenzugehörigkeit erkennt man in vielen Automobilwerken nur noch an der Farbe der Arbeitskleidung. Prof. Dr. Sebastian Kummer, Vorstand am Institut für Transportwirtschaft und Logistik Die Kontraktlogistik konzentrierte sich bisher vor allem auf Großaufträge mit langer Laufzeit. Sind aus Ihrer Sicht auch andere Szenarien denkbar, also eine Ausweitung des Kundenkreises auf kleinere Unternehmen?

Die meisten kleinen Unternehmen befinden sich heute in einem Spannungsfeld, einerseits haben sie nicht genügend Logistik-Know-how, anderseits lohnen sich komplexere Kontraktlogistikprojekte erst ab einer bestimmten Größe. Aufgrund des Aufwands für die Vertragsgestaltung, Kontrolle und Koordination ist aber sowohl für den Auftraggeber als auch für den Logistikdienstleister ein gewisses Volumen erforderlich. Es gibt natürlich immer Ausnahmen, aber in der Regel rechnet sich ein Kontraktlogistikprojekt, bei dem 2-3 Mitarbeiter beschäftigt sind, nicht.

Allerdings spricht vieles dafür, dass es in Zukunft mehr Kontaktlogistikprojekte für kleinere Unternehmen geben wird. Erstens weil die Anforderungen an das Logistik-Know-how steigen, zweitens durch Standardisierung und durch neue Ideen sowie Informations- und Kommunikations-Technologien, z.B. Cloud Computing die Möglichkeit, dass Kontraktlogistik auch für kleinere Unternehmen interessant wird. Drittens ist das Marktpotential bei den größeren Unternehmen erschöpft. Wenn die Logistikdienstleistungsbranche insgesamt wachsen will, müssen neue Marktsegmente erschlossen werden. Neben der oben angesprochenen Standardisierung geht das vor allem durch Branchencluster, bei denen sich ein Logistikdienstleister auf eine Branche spezialisiert.

Worin sehen Sie die größten Herausforderungen an die Kontraktlogistik bis 2020?

Die Kontraktlogistik kann sich nicht von den Megatrends abkoppeln. Die Globalisierungsauswirkungen werden sich in den kommenden Jahren verändern. Ich erwarte, dass sich die zentralistischen Distributionssysteme großer Konsum- und Investitionsgüterhersteller in Europa wandeln. Bisher bringen diese ihre Waren aus Asien per Schiff in ein Zentrallager im Benelux-Raum. Mit den steigenden Transportkosten und einem stärkeren Umweltbewusstsein wird sich dies ändern. Wir werden eher verteilte Strukturen sehen, die mit mehreren überregionalen Lagern z.B. für Nord/Westeuropa, für Südeuropa und für Zentral- und Osteuropa arbeiten.

Außerdem wird bei der Errichtung von Lagerhäusern und Logistikzentren mehr Wert auf Energieeffizienz und Sicherheitsaspekte gelegt werden. Eine der größten Revolutionen erwarte ich aber in der Informations- und Kommunikationstechnik (IKT). Wenn man sieht, wie „handgeschnitzt" viele Kontraktlogistiklösungen in diesem Bereich sind, so sind hier die größten Veränderungen zu erwarten und fast alle großen Anbieter arbeiten hier an neuen einheitlichen Konzepten.

Das ist kein einfacher Weg, aber bis 2020 werden wir da einiges sehen. Ob es immer am besten ist, dabei der erste zu sein, weiß ich nicht, denn einige Logistikdienstleister zahlen hier viel Lehrgeld. Auf keinen Fall darf man den Zug verpassen, denn innovative IKT-Lösungen werden ein höheres Leistungsniveau (vor allem durch eine bessere Transparenz) bei geringeren Kosten ermöglichen. Eines ist jedoch sicher: es bleibt spannend!