Beschaffung : „Mit reiner Katalogabbildung kommt man nicht mehr weit“
dispo: Herr Schmid, der Online-Einkauf ist im B2C-Bereich längst etabliert und hat durch die Pandemie einen weiteren Schub erlebt. Wie ist denn der Status generell im industriellen B2B-Umfeld, und hat die Pandemie hier auch Auswirkungen gezeigt?
Peter F. Schmid: Die Pandemie ist definitiv ein Digitalisierungsbeschleuniger – auch im B2B-Bereich. Das merken wir seit einem Jahr. Konkret bedeutet das, dass wir auf unseren B2B-Plattformen Europages und wlw einen enormen Nachfrage-Anstieg verzeichnen. Der Traffic-Zuwachs liegt in manchen Monaten um bis zu 50 Prozent höher als vor der Pandemie.
Diese Entwicklung ist für uns aber auch logisch nachzuvollziehen: Seit dem Ausbruch von Corona sind Lieferketten nicht mehr so sicher wie vorher. Mancher Lieferant kann auf einmal nicht mehr wie gewohnt liefern. Da ist der Einkaufsmanager gefragt und muss neue Anbieter finden – und das häufig in kürzester Zeit. Bei der Suche nach diesen neuen Geschäftspartnern spielen B2B-Plattformen eine zentrale Rolle.
Für den Ersatz von Corona-bedingt weggefallenen Lieferanten ist das Nearshoring ein weiterer Trend. Viele Unternehmen wagen einen Blick in die umliegenden Länder und Märkte, trotz auf den ersten Blick höherer Kosten. Aber Anbieter aus Europa bieten auch Vorteile, wie zum Beispiel kürzere Lieferwege oder einen zollfreien Warenverkehr innerhalb Europas – um nur einige wenige Vorteile zu nennen.
Inwieweit bieten Lieferanten in diesem Bereich bereits brauchbare Online-Shops?
Schmid: Der B2B-E-Commerce steht in vielen Bereichen noch sehr am Anfang. Ich spreche hier von den kleinen und mittelständischen Unternehmen mit bis zu 250 Mitarbeitern. Diese Unternehmen verfügen in der Regel noch nicht einmal über einen für Suchmaschinen optimierten Internetauftritt, geschweige denn über einen eigenen Webshop. Wir stellen aber fest, dass die Themen Digitalisierung des Vertriebs und des Marketings bei den Unternehmen dieser Größenordnung stark an Bedeutung gewinnen.
Für viele dieser Firmen steht vor allem das Thema Sichtbarkeit im Netz an erster Stelle. Denn wenn ich als Unternehmen im Internet nicht gefunden werde, existiere ich für viele professionelle Einkäufer nicht. Ein eigener Webshop kommt dann meist im zweiten oder dritten Schritt, da dies mit dem ganzen nachgelagerten Fulfillment für viele kleiner Unternehmen eine zusätzliche Herausforderung darstellt und bei kleinen Bestellmengen am Anfang erst einmal eine echte Investition in die Zukunft darstellt.
Sind solche Portale reine „Kataloge“, oder kann man sie auch mit anderen Funktionalitäten anreichern?
Schmid: Mit einer reinen Katalogabbildung im Internet kommt man heute nicht mehr weit. Digitalisierung bedeutet nicht, dass ich meinen Produktkatalog als PDF ins Netz stelle. Der professionelle Einkäufer ist im privaten Umfeld auch Online-Konsument und erwartet im beruflichen Kontext von den Plattformen dieselben Funktionalitäten und Services. Bilder, Video, spezielle Produktbeschreibungen oder Materialskizzen, Zertifikate, Finanzdaten – all das sind Informationen, die der Einkaufsmanager von einer B2B-Plattform erwartet.
Auf wlw bieten wir darüber hinaus den Service wlw Connect an. Hier stellt der Einkäufer eine Anfrage mit den wichtigsten Details an uns, und wir suchen für ihn dann passende Anbieter aus unserer über 620.000 Unternehmen umfassenden Datenbank.
Das geschieht KI-gestützt und hat für den Einkäufer den Vorteil, dass die ausgewählten Anbieter aktuell die Fähigkeiten und auch wirklich die Kapazitäten haben, diese Anfrage zu bearbeiten. Streuverluste im Rechercheprozess fallen so weg. Das spart dem Einkäufer teilweise über die Hälfte der sonstigen Zeit für einen Suchprozess.
Inwieweit sind solche Handelsplätze bereits I4.0-fähig?
Schmid: Der B2B-Bereich läuft dem B2C-Bereich hier hinterher, holt aber beständig auf. Such- und Filterfunktionen werden immer leistungsfähiger. So erwarten die Einkäufer Volltextsuchen, bei denen das gesamte Profil eines Anbieters nach einem Suchbegriff durchleuchtet wird, und nicht mehr nur Suchen nach Kategoriebegriffen.
Auch werden Technologien wie Virtual und Augmented Reality in Zukunft an Bedeutung gewinnen. Maschinen können dann von allen Seiten besichtigt oder virtuell in die eigene Produktionshalle gestellt werden. Diese Technologien werden zunehmend auch die klassischen Präsenz-Messen ersetzen, weil eine Reise zu einer Produktschau dann nicht mehr notwendig sein wird.
Wie verändern sich vor diesem Hintergrund die Anforderungen an die Einkaufsverantwortlichen? Und kommt es hier auch zu einer Veränderung hinsichtlich persönlicher Beziehungen oder des berühmten „Bauchgefühls“?
Schmid: Der Beruf des Einkäufers ist ganz klar digitaler und strategischer und damit auch anspruchsvoller geworden. Schnittstellen-Management im eigenen Unternehmen gewinnt ebenso an Bedeutung wie die Nutzung von digitalen Tools, allen voran allgemeine wie spezielle Suchplattformen im Internet.
Dem Einkaufsmanager kommt außerdem gerade in der jetzigen Pandemie-Zeit eine ganz besondere Stellung im Unternehmen zu. Er muss quasi das Unmögliche möglich machen, wenn bestehende Lieferketten wegbrechen, die eigene Produktion aber am Laufen gehalten werden muss. Dennoch bleiben persönliche Beziehungen auch in Zukunft wichtig. Ein vorausschauender Einkäufer wird diese guten Beziehungen aber nicht mehr nur zu einem Anbieter, sondern zu mehreren Zulieferern aufbauen müssen, um immer eine Alternative zur Hand zu haben.