Lieferketten-Finanzierung : Wie Supply Chain Financing (SCF) dem Einkauf zu mehr Nachhaltigkeit verhilft

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Supply Chain Financing (SCF) bezeichnet eine Reihe von IT-gestützten Finanzinstrumenten, mit denen Unternehmen Kapitalflüsse optimieren und ihr Working Capital in einer gesunden Balance halten können. Diese Instrumente sind besonders für global agierende Unternehmen wichtig, die in komplexen und vernetzten Lieferketten operieren – also sowohl Käufer als auch Lieferanten.

Wie beim klassischen Skonto und Factoring geht es auch bei SCF darum, durch schnelle Bezahlung von Rechnungen finanzielle Vorteile zu erzielen oder bestehende Zahlungsziele liquiditätsschonend zu verlängern. Zwei zentrale Instrumente sind das Reverse Factoring und das Dynamic Discounting.

Der Unterschied zu klassischen Finanzierungsinstrumenten wie Factoring und Skonto: Der Lieferant kann jederzeit eigenständig und flexibel entscheiden, ob, wann und wie er die Angebote nutzen will und die Instrumente auch in Kombination mit anderen nutzen. Die Entscheidung zur Nutzung erfolgt in der Regel digital – meist über ein Lieferantenportal.

Reverse Factoring: Brücke zwischen Liquidität und Zahlungszielen

Reverse Factoring ist eine etablierte Methode zur Beschleunigung von Zahlungsprozessen, bei der ein Finanzier zwischen Käufer und Lieferant tritt. Trotz langer Zahlungsziele kann der Lieferant seine Rechnungen rasch liquidieren, was ihm finanzielle Stabilität und mehr Spielraum für Investitionen verschafft.

Die Kosten für den Lieferanten sind dabei in der Regel deutlich geringer als bei festem Skonto, Finanzierung über die eigene Hausbank oder einen Factoring-Dienstleister, da sie sich an der Bonität des Käufers orientieren und damit nur einen Bruchteil der Kosten verursachen. Dieses Instrument kann auch als strategisches Mittel zur Stärkung der Lieferantenbeziehungen eingesetzt werden und hilft Einkäufern dabei, eine stabile und resiliente Lieferkette zu schaffen.

Dynamic Discounting: Flexibilität und digitale Effizienz

Dieses Finanzierungsinstrument bietet eine moderne Antwort auf das klassische Skonto: Der Käufer nutzt seine eigenen liquiden Mittel, um Lieferanten für eine vorzeitige Zahlung Skonti anzubieten. Das Besondere dabei ist die Flexibilität und Digitalisierung des gesamten Prozesses.

Über spezialisierte Plattformen können Lieferanten eigenständig entscheiden, ob und wann sie eine frühere Zahlung gegen einen Abschlag in Anspruch nehmen möchten. Für Einkäufer bietet dies eine effiziente Möglichkeit, überschüssige Liquidität des eigenen Unternehmens gewinnbringend einzusetzen und gleichzeitig die Lieferantenbeziehungen durch schnelle Zahlungen zu stärken.

Mit Supply Chain Financing zu nachhaltigeren Lieferketten

Supply Chain Financing wird gern als strategisches Instrument zur Incentivierung und Bindung von Lieferanten eingesetzt. Was liegt also näher, als Partner zum Aufbau nachhaltiger Lieferketten zu motivieren? Durch frühzeitige Zahlungen erhalten Lieferanten die notwendige Liquidität, um ihre Produktion aufrechtzuerhalten und zugleich in nachhaltige Prozesse, Produkte und Sublieferanten zu investieren.

Wenn Einkäufer eine zinsgünstige Finanzierung beispielsweise an die CSR- und Nachhaltigkeitsperformance ihrer Lieferanten koppeln, können sie positive Anreize für die Umsetzung fairer und umweltfreundlicher Geschäftspraktiken schaffen. Dies motiviert Lieferanten zu Investitionen in Nachhaltigkeitsinitiativen, da sie direkt von verbesserten Zahlungsbedingungen profitieren und durch die verbesserte Nachhaltigkeitsperformance Wettbewerbsvorteile gegenüber Mitbewerbern erzielen können.

Ein weiterer Vorteil von Supply Chain Financing ist die Verbesserung der Transparenz in Lieferketten. SCF-Lösungen sind in der Regel Bestandteil digitaler Source-to-Pay-Plattformen oder sind in diese integriert. Sie können große Datenmengen analysieren und erlauben Einblicke in Ausgaben, Produktkategorien und Zahlungsprozesse.

Außerdem können sie CSR- und Risikodaten von externen Drittanbietern integrieren und nach selbst definierten Kriterien auswerten. Die so geschaffene Transparenz ermöglicht es Einkäufern, die Praktiken ihrer Lieferanten jederzeit zu prüfen, Fortschritte zu messen und diese gemeinsam zu verbessern.

Darüber hinaus können Einkaufsorganisationen die gewonnenen Erkenntnisse nutzen, um gezielt Lieferanten auszuwählen, die sich für Nachhaltigkeit und faire Arbeitsbedingungen engagieren sowie Partner mit Verbesserungsbedarf identifizieren. Sie tragen also durch Implementierung und Nutzung von Supply Chain Financing aktiv zur Verbesserung der sozialen und ökologischen Performance innerhalb ihrer Lieferketten bei.

Dieser Ansatz erleichtert die Umsetzung von Regularien wie das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) oder die Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD) der EU enorm.

Voraussetzungen für SCF: Digitalisierung, Standards und die passenden Partner

Doch die Einführung von Programmen für Supply Chain Financing will gut vorbereitet sein. Die wichtigste Grundvoraussetzung ist ein klares Bekenntnis zur Gewährleistung fairer Arbeitsstandards und dem Willen zur Schaffung nachhaltiger Lieferketten. Aufgrund der veränderten Kundenanforderungen und staatlicher Regularien ist diese Voraussetzung in fast allen Unternehmen bereits heute gegeben.

Doch auch aufseiten der Lieferanten sollte die grundlegende Bereitschaft zur Umsetzung von Nachhaltigkeitsinitiativen und Herstellung von Transparenz über die eigene Arbeitspraxis gegeben sein. Außerdem müssen Organisationen ihre Einkäufer technisch in die Lage versetzen, Lieferanten auf Grundlage internationaler Standards und Kennzahlen zu bewerten.

Voraussetzung dafür ist die Digitalisierung des gesamten Einkaufsprozesses – angefangen vom Sourcing über Ausschreibung und Bestellung bis hin zur Rechnungslegung und eine Vernetzung mit der Finanzabteilung. Dabei gilt: Soll SCF zur Gewinnung und Bindung von nachhaltig agierenden Lieferanten eingesetzt werden, müssen Organisationen ihre Einkaufslösungen und Prozesse nicht nur auf Effizienz trimmen, sondern ihren Einkauf an konkreten Nachhaltigkeitszielen ausrichten.

Vorsicht bei der Implementierung von SCF-Lösungen

Die Auswahl und Implementierung von SCF-Lösungen sollte zum technischen Reifegrad der jeweiligen Organisation und der Beschaffungs- und Nachhaltigkeitsstrategie passen. Dies gilt insbesondere, wenn bereits Einkaufslösungen im Einsatz sind oder eine Modernisierung in die Jahre gekommener ERP-Software ansteht. Organisationen sollten auf folgende Punkte achten:

Analyse der Lieferkette: Analysieren Sie die finanziellen Bedürfnisse und Herausforderungen Ihrer Schlüssellieferanten und sprechen Sie mit Stakeholdern innerhalb des Unternehmens – insbesondere mit der Finanzabteilung und dem Controlling.

Vorauswahl passender SCF-Instrumente:
Entscheiden Sie, ob Reverse Factoring, Dynamic Discounting oder eine Kombination beider Instrumente für Ihre Organisation am besten geeignet ist oder Sie auf andere Möglichkeiten zurückgreifen können und wollen – beispielsweise Payment-Cards oder virtuelle Kreditkarten. Stellen Sie sicher, dass neben dem Einkauf auch die Finanzabteilung von der notwendigen Transparenz profitieren kann. Dabei gilt: Erst wenn das Finanzierungsinstrument einen praktischen Nutzen bietet, kann es seine Wirkung vollständig entfalten.

Partnerschaft mit Finanzinstituten:
Sprechen Sie Geldinstitute aktiv auf das Thema Supply Chain Financing an. Unternehmen, die auf der Suche nach einer neuen Einkaufslösung sind sollten prüfen, ob und wie die Anbieter auf ihrer Shortlist mit Banken und Finanzdienstleistern zusammenarbeiten – und sie entsprechende SCF-Programme auch tatsächlich schnell und unproblematisch umsetzen können.

Integration in bestehende Prozesse:
Stellen Sie sicher, dass die SCF-Lösung Ihrer Wahl nahtlos in Ihre bestehenden Einkaufs- und Zahlungsprozesse integriert werden kann. Hier gilt es bereits im Vorfeld technisch-organisatorische Anforderungen zu prüfen, sodass eine nahtlose Zusammenarbeit mit bestehenden Anwendungslandschaften sichergestellt werden kann.

Nachhaltigkeitsziele definieren:
Legen Sie klare Nachhaltigkeitsziele fest und verknüpfen Sie diese mit den Konditionen Ihrer SCF-Instrumente. Setzen Sie entsprechende Programme für Ihre Lieferanten auf. Beginnen Sie mit den strategisch wichtigen Partnern und weiten sie die Programme schrittweise auf Ihre gesamte Lieferkette aus.

Kommunikation und Schulung:
Informieren Sie alle Beteiligten frühzeitig über den Aufbau Ihrer Nachhaltigkeitsprogramme, den Einsatz von SCF-Lösungen sowie die veränderten Prozesse. Führen Sie Trainings mit allen internen Stakeholdern durch – insbesondere mit Verantwortlichen im Einkauf, der Finanzabteilung und dem Controlling.

Monitoring und Anpassung:
Überwachen Sie die CSR- und Nachhaltigkeitsperformance ihrer Lieferanten. Prüfen Sie in regelmäßigen Abständen, ob die eingesetzten SCF-Lösungen Ihre Einkaufs- und Cash-Flow-Strategie und die ihrer Partner auch tatsächlich unterstützen.

Fazit: SCF bringt Aufbau nachhaltiger Lieferketten voran

Supply Chain Financing ist weit mehr als nur ein „Werkzeugkasten“ für digitale Finanzierungsinstrumente, sondern ein strategischer Hebel, um Nachhaltigkeit und Transparenz in globale Lieferketten zu bringen. Für professionelle Einkäufer bietet SCF die Möglichkeit, Beziehungen zu Lieferanten auf ein neues Level zu bringen und gleichzeitig den Cash-Flow aller Beteiligten zu optimieren.

Indem Unternehmen ihre Lieferanten bei Aufbau und Entwicklung von Nachhaltigkeitsprogrammen unterstützt, investieren Einkaufsorganisationen nicht nur in die eigene Zukunft, sondern tragen auch zu einer umweltfreundlicheren und fairen Wirtschaft bei.

Der Autor, Stephan Knauf, ist Experte für Supply Chain Financing bei Ivalua.