EU-Lieferkettengesetz 2024 in Österreich : Lieferkettengesetz: Darauf haben sich die EU-Staaten konkret geeinigt

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Europäisches Lieferkettengesetz: Am 24. April 2024 hat das EU-Parlament das Lieferkettengesetz final beschlossen.

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Die Abstimmung über die EU-Lieferkettenrichtlinie der 27 EU-Mitgliedstaaten wurde nach der fehlenden Zustimmung vor allem von Deutschland, Italien und Österreich mehrmals verschoben. Nun konnte doch eine Einigung erzielt werden, weil laut Medienberichten Italien den Weg freigemacht hat.

Der Anwendungsbereich der Richtlinie wurde in der letzten Version des Vorschlags allerdings deutlich eingeschränkt: Sah die Einigung zwischen den EU-Staaten und dem EU-Parlament noch vor, dass die Richtlinie für Unternehmen ab 500 Mitarbeiter und 150 Mio. Euro Umsatz gelten soll, wurden der Rahmen stark aufgeweicht: Sie gilt jetzt nur noch ab 1.000 Mitarbeiter und 450 Mio. Euro Umsatz.

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Deutschland hat mit der Umsetzung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) letztes Jahr, zu Beginn 2023 gestartet - zuerst für Unternehmen mit mehr als 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, seit 2024 für Unternehmen mit mehr als 1.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern - so wie es die aktuelle Richtlinie der EU nun vorsieht.

Das Lieferkettengesetz soll auf EU-Ebene erst 2032 vollumfänglich gelten. Durch die Einschränkung auf eine Untergrenze von 1.000 Beschäftigten und einem Mindest-Jahresumsatz von mehr als 450 Millionen Euro gilt das EU-Lieferkettengesetz nur noch für rund 5.500 Unternehmen in der EU und somit nur noch für ein Drittel der Unternehmen, die ursprünglich erfasst werden sollten.

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EU-Lieferkettenrichtlinie "nicht ideal"

In der nun aktuellen Variante der EU-Richtlinie gibt es nun auch keine gesonderten Regeln für Risikosektoren mehr, die Klagerechte der Zivilgesellschaft wurden eingeschränkt. Auch bei den Sorgfaltspflichten für die nachgelagerte Lieferkette gab es nochmals Einschränkungen. Diese betreffen beispielsweise die Verwendung von Pestiziden oder die Entsorgung von Abfällen.

Weiters ist in dem finalen Kompromisstext zum Lieferkettengesetz von einer "risiko-basierten Sorgfaltspflicht" die Rede. Demnach müsste bei Zulieferern aus als sicher geltenden Ländern weniger genau hingeschaut werden. Dies hatten Deutschland und Österreich immer wieder gefordert. Die beiden Länder sowie acht andere Staaten hatten trotz allem noch Vorbehalte und sind somit überstimmt worden.

"Bei der Lieferkettenrichtlinie wurden während der Verhandlungen in den letzten Wochen viele Verbesserungen erreicht, jedoch gibt es immer noch zu viele Vorbehalte, um dieser zustimmen zu können", teilte Wirtschaftsminister Martin Kocher in einer Aussendung mit. "Die Grundziele der Richtlinie hinsichtlich des Schutzes von Menschenrechten und der Umwelt teilt das Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft uneingeschränkt, jedoch sind wir der Meinung, dass die Ziele der Richtlinie besser und mit viel weniger bürokratischen Aufwand für Unternehmen erreicht werden könnten."

WIFO-Direktor Gabriel Felbermayr bezeichnete die Einigung auf X als "nicht ideal". Er habe sich "ein starkes Gesetz gewünscht, das bei den Lieferanten ansetzt, nicht bei den Lieferbeziehungen. Schade. Diese Lösung ist teuer und wenig effektiv." Aus Österreich kamen mehrere Alternativvorschläge - etwa vom Complexitiy Science Hub oder von VNL-Vorstand und Leiter des Logistikums, Franz Staberhofer, der die Diskussionen um die geplante Umsetzung im Vorfeld "fast schon skurril" beschrieb.

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Ein Lieferkettengesetz, das insbesondere mittelständische Betriebe in Bürokratieketten legt, gefährdet Wohlstand und Arbeitsplätze und wirft uns nicht zuletzt auch im Kampf gegen die Teuerung weit zurück.
NEOS-Generalsekretär Douglas Hoyos

Digitalisierung unterstützt das Lieferkettengesetz 2024

Die Berater der österreichischen Klöpfel Consulting fordern in einer Aussendung ebenfalls "schlanke Regelungen und einheitliche Standards" auf EU-Ebene, damit Unternehmen ihre Lieferketten effizient auf Verstöße gegen die Menschenrechte und den Umweltschutz überwachen können, ohne zu sehr belastet zu werden.

"Ebenso braucht es klare Vorgaben für die Gegenmaßnahmen, die die Firmen ergreifen müssen, um gegen Verstöße vorzugehen“, sagt Theodor Uljanov, Partner bei Kloepfel Consulting. Das entsprechende Risikomanagement für die Überwachung der Menschenrechte und der Umweltstandards entlang der Lieferkette sowie die Ergreifung von Gegenmaßnahmen bei Verstößen lassen sich durch smarte digitale Lösungen verschiedener Nachhaltigkeitsplattformen wie IntegrityNext oder Prewave umsetzen.

Uljanov erklärt: „Diese Plattformen sondieren bspw. die Sozialen Medien, um aufkeimende Unruhen selbst in abgelegenen Regionen sichtbar zu machen.“ Diese Tools müssen durch finanzielle Förderungen der EU flächendeckend eingeführt werden.

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Lieferkettengesetz EU Container Hafen
Durch digitale Plattformen kann das Lieferkettengesetz einfacher eingehalten werden. - © Adobe Stock

Kritik aus Österreich zum EU-Lieferkettengesetz 2024

"Alleine, dass noch so viele Länder der Richtlinie nicht final zustimmen konnten, zeigt, wie unausgereift das Gesetz ist", bemängelt die ÖVP-EU-Abgeordnete Angelika Winzig. Gegen das Gesetz in seiner jetzigen Form ist auch NEOS-Generalsekretär Douglas Hoyos: "Ein Lieferkettengesetz, das insbesondere mittelständische Betriebe in Bürokratieketten legt, gefährdet Wohlstand und Arbeitsplätze und wirft uns nicht zuletzt auch im Kampf gegen die Teuerung weit zurück."

Die SPÖ begrüßt die Einigung. "Das ist ein Erfolg der vernünftigen Kräfte in Europa", sagt SPÖ-Europasprecher Jörg Leichtfried in einer Aussendung. "Ein großer Wermutstropfen" sei aber "die inhaltliche Verwässerung, die die Zahl der Unternehmen, die sich den Regeln unterwerfen müssen, nochmals deutlich einschränkt." Auch die grüne Spitzenkandidatin für die EU-Wahl, Lena Schilling, zeigt sich erfreut über den gefundenen Kompromiss.

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Freude gab es auch bei den Gewerkschaften. Mit der Einigung könne "der lange verhandelte Paradigmenwechsel von freiwilligen Selbstverpflichtungen hin zu verpflichtenden Regelungen, um Menschen-, Arbeits- und Gewerkschaftsrechte zu achten und die Umwelt zu schützen, endlich eingeleitet werden", so ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian.

Wirtschaftskammer-Generalsekretär Karlheinz Kopf sieht dagegen ein "Bürokratiemonster von der Leine gelassen". Die "Wettbewerbsfähigkeit des Standortes" sei "vernachlässigt" worden. Auch andere Wirtschaftsvertreter äußerten sich kritisch. Elisabeth Zehetner, Geschäftsführerin der "wirtschaftsnahen Klimaorganisation oecolution" kritisiert zum Beispiel eine zu große Praxisferne des heutigen Beschlusses.

Kritik kam auch von Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen - wenn auch inhaltlich anders gelagert. Lukas Wank, Geschäftsführer der AG Globale Verantwortung, zeigt sich zum Beispiel in einer Aussendung erleichtert, dass es zu einer Einigung kam, sieht aber keinen Grund zu jubeln. "Dass Österreich dem Gesetz nicht zustimmte, kommt einem Kniefall vor Wirtschaftsvertreter*innen gleich, obwohl auch von der zuvor ausgehandelten Version nur relativ wenige österreichische Unternehmen tatsächlich direkt betroffen gewesen wären."

Das ist der aktuelle Stand zum Lieferkettengesetz

Am 24. April hat das EU-Parlament nun das Lieferkettengesetz final abgesegnet - wenn auch mit keiner großen Mehrheit: 374 Abgeordnete stimmten für das Vorhaben, 235 dagegen. Es gab 19 Enthaltungen. Von den anwesenden österreichischen Vertretern in Straßburg lehnten die ÖVP (mit Ausnahme von Othmar Karas, der sich enthielt) und die FPÖ das Gesetz ab. Die Mandatare von SPÖ und Grünen gaben ihr Ja, die NEOS-Abgeordnete enthielt sich. Nach dem Parlament muss final noch der Rat (der Mitgliedstaaten) zustimmen.

Das EU-Lieferkettengesetz umfasst einen risikobasierten Ansatz und Übergangspläne: Als Strafen können zum Beispiel die namentliche Anprangerung oder Geldstrafen in Höhe von bis zu 5 Prozent des weltweiten Nettoumsatzes des Unternehmens verhängt werden. Größere Unternehmen müssen zudem einen Plan erstellen, der sicherstellt, dass ihr Geschäftsmodell und ihre Strategie mit der Einhaltung der Pariser Klimaziele vereinbar sind.

Das Lieferkettengesetz enthalte "große Mengen an Verboten, Geboten und Berichtspflichten", begründete ÖVP-Mandatar Lukas Mandl seine Ablehnung vor Journalisten in Straßburg. Es seien "mitnichten nur große Unternehmen betroffen, da in die Lieferkette auch kleinere und mittlere integriert" seien. Dem pflichtet FPÖ-Delegationsleiter Harald Vilimsky bei: Er spricht von "zentralistischen, dirigistischen Eingriffen in die Unternehmenspolitik, die österreichische Unternehmen hindern, am Weltmarkt teilzunehmen". Das Lieferkettengesetz lehnt er ab, weil es "Wettbewerbsvorteile für chinesische oder amerikanische Unternehmen" bringe.

"Wir stehen ganz klar hinter dem Ziel, dass Menschenrechte und Umweltstandards entlang der Lieferkette eingehalten werden müssen. Grundsätzlich muss das die Aufgabe jedes Staates sein. Diese Verantwortung wird nun auf die Unternehmen abgewälzt. Dieses Lieferkettengesetz schafft vor allem eines: Bürokratie. Es besteht vor allem die große Gefahr, dass die formell von der Richtlinie erfassten Großunternehmen die Verpflichtungen auf ihre Zulieferer abwälzen und damit ein großer Teil unserer Klein- und Mittelbetriebe auch voll erfasst wird", kritisiert ÖVP-Delegationsleiterin Angelika Winzig.

EU-Parlaments Vize-Präsidentin Evelyn Regner, die das Dossier für den Sozialausschuss verhandelt hat, sagt hingegen: "Mit dem EU-Lieferkettengesetz leiten wir einen Paradigmenwechsel ein. In Zukunft müssen Unternehmen den Konsument:innen garantieren, dass Produkte unter fairen Arbeitsbedingungen und in Einklang mit Umweltschutz hergestellt werden. Wir machen klar: Unternehmen haben eine Verantwortung, so wie jede Privatperson auch."

"Gerade vor den Wahlen zum EU-Parlament im Juni ist das ein wichtiges Signal an die Bürgerinnen und Bürger der EU, dass ihre Forderungen ernst genommen werden. Die Menschen wollen, dass Menschen-, Arbeits- und Gewerkschaftsrechte nicht nur bei uns zuhause, sondern auch entlang unserer globalen Wertschöpfungsketten geschützt werden", sagt Wolfgang Katzian, Präsident von ÖGB und EGB, in einer Aussendung: "Niemand möchte Produkte erwerben, die durch Kinder- oder Zwangsarbeit entstanden sind."

"Das Lieferkettengesetz ist ein Meilenstein auf dem Weg zu einer Wirtschaft, die allen Menschen ein gutes Leben ermöglicht - innerhalb der planetaren Grenzen. Am Jahrestag der Katastrophe von Rana Plaza haben wir nun endlich einen Schritt in Richtung mehr globaler Gerechtigkeit gesetzt", so auch Anna Leitner, Expertin für Ressourcen und Lieferketten bei GLOBAL 2000. Auch die Menschenrechtsorganisation Südwind und das Netzwerk Soziale Verantwortung begrüßen das Ja zum EU-Lieferkettengesetz und sehen darin einen wichtigen Grundstein für unternehmerische Sorgfaltspflichten und ausbeutungsfreie Lieferketten.

"Trotz mehrerer Lücken ist das neue Gesetz ein wichtiger Fortschritt für den weltweiten Schutz von Natur, Klima und Menschenrechten", sagte Teresa Gäckle vom WWF Österreich. Entscheidend für den Erfolg sei jetzt eine wirksame Umsetzung durch die nationale Politik und die erfassten großen Unternehmen, die ihre Geschäftsmodelle an das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens anpassen müssten. Die Dreikönigsaktion der Katholischen Jungschar unterstützt den Appell ihrer Projektpartnerin aus Ghana, Sr. Regina Ignatia Aflah, mit einer raschen Umsetzung des EU-Gesetzes die Kinderarbeit in ihrem Land und weltweit zu beenden. Ihr offener Brief an die österreichischen Nationalratsabgeordneten kann von den Menschen in Österreich mitunterzeichnet werden.

Industriellenvereinigung und Wirtschaftskammer Österreich warnen vor einem "Bürokratiemonster, der durch das neue Gesetz entstehen könnte" und hoffen auf eine ressourcenschonende Umsetzung in Österreich. Dass KMU von den Pflichten ausgenommen wurden, sei "in der Praxis irrelevant", da sie als Zulieferer großer Firmen erst wieder verpflichtet würden, so die WKÖ in einer Aussendung. "Besonders für KMU sind die Bürokratie und Dokumentationspflichten schon jetzt schwer verkraftbar. Der administrative Aufwand und die Kosten für Verwaltungsvorschriften müssen bei der nationalen Umsetzung des Lieferkettengesetzes in Österreich so gering wie möglich gehalten werden", forderte Rosemarie Schön, Leiterin der Abteilung Rechtspolitik in der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ).

Die IV sieht in der Entscheidung "eine Bedrohung für den europäischen Standort im internationalen Wettbewerb". IV-Präsident Georg Knill warnt: "Was gut gemeint ist, ist nunmehr das Gegenteil von gut gemacht. Europa verliert damit erneut an Glaubwürdigkeit." Das Gesetz "zwingt Unternehmen, sich durch einen Dschungel an Bürokratie und Vorschriften zu kämpfen, was letztendlich dem Ziel der Nachhaltigkeit entgegenwirkt und lediglich europäische Unternehmen benachteiligt".

Der deutsche Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hat hingegen das neue Gesetz begrüßt und versprochen, auf eine Umsetzung mit möglichst wenige bürokratischem Aufwand zu achten. Insbesondere solle es nicht zu doppelten Berichtspflichten beim Übergang von der deutschen Regelung auf die Europäischen Bestimmungen kommen.

EU-Lieferkettengesetz: Die wichtigsten Daten und Fakten

  • Der ursprüngliche Plan für das EU-Lieferkettengesetz sah vor, dass es ab 500 Mitarbeitern und 150 Mio. Euro Umsatz gelten soll
  • Eine Einigung für das Lieferkettengesetz gab es erst für eine Gültigkeit ab 1.000 Mitarbeitenden und 450 Mio. Euro Umsatz
  • Das EU-Lieferkettengesetz gilt seit 1. Jänner 2024 für Unternehmen mit mindestens 1.000 Beschäftigten, vollumfänglich gilt es aber erst 2032.
  • Als Strafen können zum Beispiel die namentliche Anprangerung oder Geldstrafen in Höhe von bis zu 5 Prozent des weltweiten Nettoumsatzes des Unternehmens verhängt werden.
  • Das EU-Lieferkettengesetz gilt für rund 5.500 Unternehmen in der EU und somit nur noch für ein Drittel der Unternehmen, die ursprünglich erfasst werden sollten.