Warentransport : Wie der Suezkanal nach österreichischen Plänen entstand
Haushohe Containerschiffe hatte Ferdinand de Lesseps wohl kaum im Sinn, als er in Ägypten eine gewaltige Wasserstraße bauen ließ. 150 Jahre später ist der Suezkanal eine der wichtigsten Arterien im Welthandel. Beteiligt war auch ein Österreicher: De Lesseps hat den Kanal großteils nach den Plänen des Ingenieurs Alois Negrelli errichtet.
Auch heute ist der Kanal noch oft in den Schlagzeilen – wenn etwa ein Schiff auf Grund gelaufen ist. Erst vor wenigen Stunden war das bei einem Öltanker der Fall. Dieser konnte allerdings schnell wieder auf Kurs gebracht werden. Zu einer langen Blockade, wie im März 2021, als das Containerschiff Ever Given auf Grund lief, kam es glücklicherweise nicht.
Aber der Suezkanal ist ohnehin mehr wert als Negativmeldungen. Eröffnet wurde der Kanal am 17. November 1869 unter großem Pomp. Er gilt als eine der wichtigsten Wasserstraßen der Welt. Die Zahl der Schiffe, die den Kanal täglich durchfahren, schwankt seit Jahrzehnten zwischen 40 und 60. Mit den immer größer werdenden Frachtern und vor allem Containerschiffen steigt aber die Menge an Gütern, die sie durch den Kanal bringen: Wurden im Jahr 1975 täglich im Durchschnitt noch etwa 680.000 Kubikmeter Ladung durch den Schifffahrtsweg befördert, waren es 1995 bereits 2,8 Millionen Kubikmeter und 2015 etwa 7,8 Millionen Kubikmeter. Im August durchfuhr die "MSC Gülsün", das derzeit weltgrößte Containerschiff, erstmals den Suezkanal.
"Einige Kapitäne verlieren an Bord komplett die Nerven"
"Achtung, an die gesamte Crew: Wir haben eine Kollision!" Arabische Funksprüche und Anweisungen auf Englisch sind zu hören, als das Containerschiff im Suezkanal wie in Zeitlupe mit einem Schüttgutfrachter kollidiert. Das Video im Internet zeigt, wie dramatisch eine Fahrt durch die ägyptische Wasserstraße verlaufen kann. Aus dem Welthandel ist das Transport-Nadelöhr auch 150 Jahre nach seiner Eröffnung nicht mehr wegzudenken, für die Ägypter bleibt der Kanal ein Prestigeobjekt.
"Einige Kapitäne verlieren an Bord komplett die Nerven", sagt Mohamed Roshdy der Deutschen Presse-Agentur über die meist 11 bis 16 Stunden lange Durchfahrt. Seit fast 40 Jahren arbeitet der Ägypter als Lotse am Suezkanal, wo Tankern und großen Containerschiffen ohne seine Anweisungen ein Millionenschaden oder Schlimmeres drohen kann. Herzprobleme seien häufig, sagt Roshdy, der Stressfaktor unter Kapitänen sei hoch. Mitarbeiter der Reederei Hapag-Lloyd oder des Energiekonzerns Shell kommen inzwischen für Schulungen zu ihm.
Ozeanriesen, die sich durch eine schmale Rinne quetschen müssen
Auch für erfahrene Seeleute ist es kein Leichtes, einen 400 Meter langen Stahlriesen bei Strömung und Seitenwind durch eine schmale Schifffahrtsrinne zu steuern. Der Wüstenwind kann hier mit stürmischen 40 oder 50 Knoten pro Stunde über den Kanal fegen und ein haushohes Schiff in einen "Ballon" verwandeln, wie Roshdy sagt. "Ein Schiff ist nicht wie ein Auto. Wenn du die Steuerung verlierst, weißt du nicht, wo es hintreiben wird."
Doch um den Suezkanal führen in der Schifffahrt nicht viele Wege herum - jedenfalls nicht für einen aus Saudi-Arabien oder dem Irak kommenden Öltanker, der unter engem Zeitplan die Niederlande, Italien oder die USA ansteuert. Den Seeweg von Europa nach Indien verkürzt der Kanal um etwa 7.000 Kilometer, der Umweg über das Kap der Guten Hoffnung könnte ein Schiff bei 16 Knoten (etwa 30 Kilometern pro Stunde) fast drei weitere Wochen kosten. Im eng getakteten Welthandel eine Ewigkeit.
Bau im November 1869 mit großem Pomp eröffnet
Die enorme Zeitersparnis entzückt Händler, Schiffsleute und Politiker schon vor 150 Jahren, als der Bau am 17. November 1869 mit großem Pomp eröffnet wird. 5.000 prominente Gäste aus aller Welt reisen an, um das damals größte Projekt des maritimen Weltverkehrs zu bestaunen. Sie feiern bei Feuerwerk und einem Festball, denn mit dem Bau war eine technische Meisterleistung gelungen.
Dass zehntausende ägyptische Zwangsarbeiter unter brutalen Bedingungen schuften mussten und tausende beim Bau ums Leben kamen, wird heute selten erwähnt. Die Fertigstellung markierte ein dunkles Kapitel im britischen Imperialismus. Ägypten hatte sich beim Bau und mit anderen Projekten hoch verschuldet, auch als Folge von erpresserischen Kreditzinssätzen, und sackte ab in die finanzielle Abhängigkeit der Europäer. 1875 war das Land bankrott. Das Vereinigte Königreich, dessen Banken nun einen Großteil der ägyptischen Staatseinnahmen kontrollierten, baute seinen Einfluss im Nahen Osten damit aus und sicherte den wichtigen Seehandelsweg nach Indien. Die Abneigung gegenüber den Briten, die Ägypten 1914 zum Protektorat erklärten, ist mitunter bis heute spürbar.
1956 verstaatlicht und seither mehrfach erweitert
Die eigentliche Party beginnt für Ägypten erst 1956, als der Kanal verstaatlicht und damit zu einer der wichtigsten Devisenquellen des Landes wird. Durch mehrmalige Erweiterungen - zuletzt ein zweispuriger Ausbau auf zusätzlichen Abschnitten - soll der Kanal für Frachter und Container-Riesen attraktiv bleiben, unter anderem wegen kürzerer Wartezeiten. Im August verkündete die Kanalbehörde einen Rekordjahresumsatz von 5,9 Mrd. Dollar (5,4 Mrd. Euro), im Februar wurde die höchste Tages-Tonnage seit 150 Jahren gemeldet.
Trotz dieser Jubelmeldungen wirkt das erklärte Ziel, den Umsatz bis 2023 mehr als zu verdoppeln, noch wie eine Seefahrermär. Kritiker werfen Präsident Abdel Fattah al-Sisi außerdem vor, mit der Erweiterung 2015 nur ein weiteres seiner Prestigeprojekte aus dem Boden gestampft und Staatsgeld verschwendet zu haben - ähnlich wie beim Bau einer neuen Hauptstadt östlich von Kairo. Ein Drittel der ägyptischen Bevölkerung lebt in extremer Armut und muss mit umgerechnet etwa einem Euro am Tag auskommen.
"Kritischer Engpass" des Welthandels: 50 Schiffe pro Tag
Vor allem für die Container-Schifffahrt wäre es ein herber Schlag, wenn diese wichtige Route des Welthandels eines Tages gekappt würde. 18.000 Schiffe durchfuhren den Suezkanal vergangenes Jahr, im Durchschnitt etwa 50 am Tag. Von einem "kritischen Engpass" spricht die US-Energiebehörde auch für den Handel mit Öl, Gas und Erdölprodukten.
Erbaut großteils nach den Plänen eines Österreichers
Erbaut wurde der 161 Kilometer lange Kanal vom französischen Diplomaten und Ingenieur Ferdinand de Lesseps zum Großteil nach Plänen des Österreichers Alois Negrelli, einem der bedeutendsten Techniker seiner Zeit. Negrelli starb am 1. Oktober 1858, rund ein halbes Jahr vor Baubeginn des Durchstichs zwischen Mittelmeer und Rotem Meer. Nach zehnjährigen Arbeiten wurde der Wasserweg zwischen Port Said und Suez 1869 unter dem Khediven (Vizekönig) Ismail von Ägypten vollendet. Nicolaus Alois Maria Vincenz von Negrelli wurde am 23. Jänner 1799 in Fiera di Primiero (im heutigen Trentino) geboren. Er baute unter anderem die erste Schweizer Bahnlinie (Zürich-Baden-Basel), ab 1840 in Österreich Teile der Nordbahn und war auch am Bau der Westbahn Wien-Salzburg, sowie an Bahnprojekten in Württemberg und Sachsen beteiligt.
In all den Jahren hatte er sich intensiv mit dem Suezkanalprojekt beschäftigt. 1846 entsandte Negrelli Ingenieure in die Region Suez, um erste Messungen durchzuführen. 1857 wurde er vom ägyptischen Khediven Said Pascha zum Generalinspektor aller ägyptischen Kanalbauten ernannt. 1858 erlag Negrelli überraschend einem Nierenleiden. Lesseps erhielt die Konzession für den Bau des Suezkanals, mit dem am 25. April 1859 begonnen wurde. Die Unterlagen dafür hatte er sich von der Witwe Negrellis aus dessen Nachlass gegen den vergleichsweise geringen Betrag von 20.000 Gulden verschafft. (dpa/apa/red)
Dieser Artikel ist zuerst im Schwestermagazin INDUSTRIEMAGAZIN erschienen.