Interview : Gurkerl.at-CEO Maurice Beurskens: „Wir sind im Herzen eine Tech-Firma“

Gurkerl.at-CEO Maurice Beurskens
© Philipp Lipiarski

Sie sind vor einem Jahr mit Gurkerl.at gestartet. Was haben Sie bisher gelernt?

Maurice Beurskens Wahnsinnig viel. Ich glaube das erste und das wichtigste ist: Es ist nicht einfach, Mitarbeiter zu finden – und qualifizierte Mitarbeiter zu finden ist ein ganz anderes Thema. Die Menschen, die bei uns beginnen, müssen verstehen was und wie – und vor allem wie schnell wir es machen. Wir sehen dass das Onboarding relativ lange dauert, aber dass es auch wichtig ist, dass wir es schrittweise machen.

Der zweite Punkt der wichtig ist: Wir können auch nicht schneller wachsen ohne Erweiterung des Lagers – oder eines zweiten Lagers. Und auch Autos zu bekommen – Elektro oder LNG – ist eine Herausforderung.

Sind Sie personell voll ausgestattet oder suchen Sie?

Beurskens Ich suche noch mindestens 700 Mitarbeiter – mit dem Lagerausbau. Aktuell sind es etwa 250 Mitarbeiter. Wir haben dazu unterschiedliche Kooperationen, auch mit dem AMS. Man sieht aber, dass man in Österreich relativ viel soziale Unterstützung bekommt. Deshalb findet man in Österreich nicht unbedingt viele Mitarbeiter, die in einem kalten Lager im Schichtmodell arbeiten. Deshalb ist Automatisierung ein ganz großes Thema.

Zahlen Sie nach dem Kollektivvertrag?

Beurskens Nein, da sind wir darüber. Und es kommen noch extra Zuschläge dazu, das Bistro mit Mittagessen, Tee, Kaffee etc. Aber auch wenn wir über Kollektivvertrag bezahlen: Wir haben Probleme, Mitarbeiter zu finden. Die soziale Unterstützung ist einfach zu gut.

Wie hat sich Gurkerl.at im letzten Jahr entwickelt?

Beurskens Ende 2019 hat mich der Gründer der Rohlik-Gruppe gefragt, ob ich das Österreich-Geschäft aufbauen will. Corona hat es noch nicht gegeben - für einen Online-Supermarkt hat man eh noch Zeit, dachte ich. Ich brauche eine Lagerhalle, 200 Mitarbeiter und ein Kernteam, wir machen eine GmbH Gründung, was in Österreich unglaublich schwierig ist – es geht nichts online, man braucht 200 Zetteln und so weiter. Nach der Gründung und der Öffnung eines Kontos haben wir mit dem Kernteam im Juni alles aufgebaut, den Umbau angefangen, 200 Mitarbeiter eingestellt. Am 3. Dezember haben wir begonnen – da gingen die Bestellungen durch die Decke. Nach sechs Monaten standen wir bei 3.000 Bestellungen. Das Wachstum ist super, es muss aber jedes Mal nachhaltig sein. Es gibt nicht sehr viele Start-ups in Österreich, die so schnell wachsen. Da fehlt auch bei den Mitarbeitern oft die Erfahrung, wie man damit umgeht. Wir stellen zwischen 25 und 35 Mitarbeiter pro Woche neu ein, vor kurzem war das Finanzamt da um mir zu sagen, dass wir zu viele Mitarbeiter einstellen. Man sieht dass die staatliche Unterstützung nicht ausreichend ist für eine Firma wie uns. Es ist eher Kontrolle, und gleichzeitig gebe ich Menschen, wenn sie nicht arbeiten, 800 bis 900 Euro. Das macht es schwierig für uns, schnell österreichweit zu skalieren.

Wann wird Gurkerl.at in ganz Österreich verfügbar sein?

Beurskens Ich glaube dass wir in zwei, drei Jahren österreichweit anbieten können. Das zweite und dritte Lager stehen nächstes Jahr. Wir wachsen schrittweise und nachhaltig.

Wie schnell funktioniert der komplette Ablauf von der Bestellung bis zur Auslieferung?

Beurskens Wir brauchen zwischen 10 und 15 Minuten für eine komplette Bestellung mit einem Warenkorb von 80 Euro zu kommissionieren. Daran sind insgesamt etwa zwölf Menschen beteiligt, mit den Fahrern, die das ausliefern. Wir könnten das auch schneller ausliefern. Aber mit einer Bestellung vom 23. in den 21. zu fahren macht keinen Sinn. Wir warten bis wir gewisse Touren komplett haben und liefern dann die Bestellungen auf einmal aus. Deshalb bieten wir die Lieferung innerhalb von drei Stunden an, wobei wir den Zeitrahmen nächstes Jahr etwas verringern werden.

Die Zulieferung in 15 Minuten, wie es Mitbewerber versprechen, wird es bei Gurkerl.at nicht geben?

Beurskens Das ist nicht nachhaltig. Ich glaube das nachhaltig aufzubauen schafft niemand in Österreich.

Jedes Meeting beginnt mit Daten haben Sie in einem Interview gesagt. Welche Daten sind besonders wichtig?

Beurskens Kundenfeedback, Kundenfeedback, Kundenfeedback. Und verschiedene Themen wie Verspätungen, Ersatzartikel, Qualitätssicherheitsprobleme etc. Wir haben ein Dashboard für jeden Bereich pro Sektor, wir sind im Herzen eine Tech-Firma. Denn wir machen natürlich auch Fehler, und wir müssen daraus lernen und schnell reagieren. Es gibt diese Warteschlange am Telefon, die ist meist sehr lang. Bei uns gilt die Devise: Jeder, der bei uns anruft, hat in 30 Sekunden einen Gesprächspartner. Das sind wieder Daten. Wir schauen jeden Tag welcher Kunde am längsten gewartet hat und warum. Hier gehen wir wirklich in die Tiefe.

Welche Software setzen Sie im Unternehmen für Ihre logistischen Prozesse ein?

Beurskens Wir haben fast durchwegs eigene Software. Wir verwenden schon externe Lösungen von Software-Partnern, aber ich würde sagen gute 80 Prozent sind eigene Lösungen.

Sie bauen den Standort im 23. Bezirk aus. Wie wird der Ausbau funktionieren?

Beurskens
Wir bauen hier 4.500 Quadratmeter an und bauen noch ein zweites Lager mit 10.000+ Quadratmetern neu.

Wann beginnen Sie damit?

Beurskens Wir sind momentan in der Planungsphase, der erste Bagger steht hier glaube ich Anfang nächstes Jahr. Realistisch ist es im Juli fertig. Dann kommt der Innenumbau dran, und das ist im laufenden Betrieb natürlich eine relativ große Herausforderung. Der Ausbau soll bis Ende 2022 abgeschlossen sein. Auch ein neuer Standort im Norden soll 2022 dazukommen und dann werden wir eine zweite und dritte Halle bauen für volle Automatisierung. Wo die genau sein wird ist noch offen, doch es soll im 3. oder 4. Quartal 2023 stehen. Wir sind jetzt schon in Vorbereitung für Lager in Linz und Graz. Das dauert aber noch ein bisschen, das Wachstum muss wieder nachhaltig sein und das Team muss mitkommen.