Gastbeitrag : Lehren aus dem E-Commerce

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Der Online-Handel boomt. An der Spitze in Europa liegen Schweden, die Schweiz und Deutschland, wobei auffällt, dass der Online-Handel zwar besonders häufig genutzt wird, sich dies aber nicht in den Wachstumsraten niederschlägt.

Allerdings ist diese hohe Nachfrage nicht ohne Schwierigkeiten – gerade in diesen Zeiten. Die noch immer andauernden Versorgungsschwierigkeiten stellen den digitalen wie auch physischen Einzelhandel vor Herausforderungen. Die logistische Infrastruktur gerät vielerorts an ihre Grenzen. Das reicht von den Fahrbahnen der Lieferfahrzeuge im dichten Innenstadtverkehr bis hin zu vielen Wasserstraßen, die mittlerweile zu eng für die immer größeren Containerschiffe sind. Darüber hinaus verteuert die steigende Inflation die Waren – Käufer sind also mit knappen Waren und hohen Preisen konfrontiert. Um diesen Herausforderungen zu begegnen, hat der physische und digitale Einzelhandel eine Reihe neuer Entwicklungen in die Wege geleitet.

Dark Stores nehmen zu

Um eine zunehmend statische und an das eigene Zuhause gebundene Kundschaft zu bedienen, sind sogenannte „Dark Stores“ entstanden. Dabei handelt es sich um Distributionszentren, die ausschließlich Online-Shopping anbieten und von App-basierten On-Demand-Lieferdiensten, wie beispielsweise den Start-Ups Gorillas und Flink, geführt werden. Sie locken Kunden mit dem Versprechen, Bestellungen in städtischen Ballungsgebieten in weniger als 30 Minuten auszuliefern. Laut dem auf den Einzelhandel im Lebensmittelsektor spezialisierten Beratungsunternehmen IGD soll das Marktvolumen allein in Deutschland von ursprünglich 1,3 Milliarden Dollar im Jahr 2018 bis 2023 auf 3,8 Milliarden Dollar anwachsen.

Führende Lebensmittelhändler setzen ebenfalls auf Dark Stores, indem sie in ihren Supermärkten Personal für die Online-Kommissionierung und -Lieferung einsetzen und kleinere Filialen zu reinen Online-Vertriebszentren umbauen. Walmart beschäftigt inzwischen tausende “Personal Shopper”, die in einem dreiwöchigen Trainingsprogramm lernen müssen, wie sie die frischesten Produkte für die Onlinekunden selektieren. Walmart hat außerdem seine Online-Lieferzeiten bis 22 Uhr verlängert, so dass die Kunden ihre Bestellungen bis 18 Uhr aufgeben und noch am selben Tag erhalten können. Aber nicht nur Lebensmittel werden schneller geliefert, auch große Artikel wie Fernseher, Waschmaschinen und Fahrräder.

Sönke Kewitz Geschäftsführer von P3 Logistic Parks Deutschland
Sönke Kewitz ist Geschäftsführer von P3 Logistic Parks Deutschland, einem Eigentümer und Entwickler von europäischen Logistikimmobilien. - © Elfriede Liebenow Fotografie

Shopping 2.0 – Keine Wartezeiten

Ein guter Wegweiser für die Entwicklung im virtuellen und nun auch physischen Einzelhandel sind die Innovationen von Amazon. Die erste wichtige Entwicklung war Amazons Einstieg in den stationären Handel und die Einführung der Just-Walk-Out-Technologie, die es den Kunden ermöglicht, den unangenehmsten Aspekt des Einkaufserlebnisses zu vermeiden – Schlangestehen, Waren auf das Band legen, Scannen und Bezahlen. In den physischen Amazon-Stores soll dieser Vorgang so einfach wie möglich ablaufen. Kunden scannen dazu am Eingang einen QR-Code in der Amazon-App oder eine mit dem Amazon-Konto verknüpfte Kredit- oder Debitkarte. In den Regalen befinden sich Gewichtssensoren, die in Kombination mit Kameras dazu genutzt werden, die Aktivitäten der Kunden genau zu beobachten. Wenn sich ein Kunde für ein Produkt entscheidet und dieses aus dem Regal nimmt, landet es gleichzeitig im digitalen Einkaufswagen. Der Einkäufer kann den Laden anschließend einfach verlassen und der Artikel wird automatisch abgerechnet.

Im März eröffnete Amazon in London, den ersten dieser kassenlosen Supermärkte außerhalb der USA, unter dem Namen „Amazon Fresh“. Seither hat der Onlinehändler fünf weitere Läden im Vereinigten Königreich eröffnet. Die Technologie wurde auch auf die Größe eines Hypermarktes hochskaliert und umfasst Einkaufswagen mit Sensoren, die aufzeichnen, welche Produkte man in sie hineinlegt. Die Idee eines kassenlosen Supermarktes hat andere Lebensmitteleinzelhändler dazu veranlasst, dem Beispiel zu folgen. Tesco eröffnete 2021 seinen ersten „GetGo“-Laden in London, während Albert Heijn auf dem europäischen Festland mit seinem kassenlosen Tap-and-Go-Konzept experimentierte und mit BP kooperiert, um automatisierte To-Go-Läden an BP-Standorten in den Niederlanden zu eröffnen.

Im August letzten Jahres kündigte Amazon die Eröffnung von Amazon Vier-Sterne-Läden in Kaufhausgröße an. In diesen Läden werden rund 2.000 der beliebtesten Online-Artikel verkauft, die von den Kunden mit mindestens vier Sternen bewertet wurden. Die Läden fungieren auch als Abwicklungszentren für Online-Lieferungen sowie als Abhol- oder Rückgabezentren für Waren, die Kunden online gekauft haben. Der erste europäische Vier-Sterne-Laden wurde im Oktober im Vereinigten Königreich eröffnet. In diesem Jahr führte Amazon auch Amazon One ein, einen biometrischen Bezahldienst auf Basis der Handfläche, der es den Käufern ermöglicht, Waren mit ihren bloßen Händen zu bezahlen. Dieses Bezahlsystem ist inzwischen in 80 Geschäften in Betrieb, darunter auch zahlreiche Whole-Foods-Filialen. In Kombination mit der Just-Walk-Out-Technologie können Amazon-Prime-Mitglieder, die Amazon One abonniert haben, in jede Amazon-Filiale gehen und mit einer einfachen Handbewegung einkaufen.

Lieferroboter: Retter in der Not für den physischen Handel

Hyperlokalisierte Dark Stores werden in Zukunft weiterwachsen, da größere Lebensmittelhändler dieses Konzept übernehmen und ihre Kaufkraft und Größenvorteile nutzen, um die neueren Marktteilnehmer zu unterbieten. Die Automatisierung von Dark Stores und die algorithmische Optimierung der lokalen Bestände werden von entscheidender Bedeutung sein, um sicherzustellen, dass die Waren verfügbar sind und innerhalb der versprochenen Zeit geliefert werden. Einzelhändler werden sich auf maschinelles Lernen verlassen, um die Komplexität von Nachfrageschwankungen zu modellieren. Sie werden Regal-Scanning-Technologien einsetzen, um leere Regale und falsch platzierte Artikel zu erkennen. Ebenso werden die Händler in Logistikzentren wie denen von P3 Logistic Parks automatisierte Lagerlösungen einsetzen, um den Kommissionierungsprozess zu beschleunigen.

Der physische Einzelhandel wird wahrscheinlich ein Comeback erleben. Die Läden werden zunehmend mit Sensoren und Kameras ausgestattet sein, um das Kundeninteresse zu erfassen, die Regalverfügbarkeit zu überwachen und generell Daten über jeden Aspekt des Ladens und über die Kunden, die dort einkaufen, zu sammeln. Das kassenlose, berührungslose Einkaufserlebnis wird erheblich zunehmen und viele Lebensmittelgeschäfte werden ihre Räumlichkeiten so umrüsten, dass Konsumenten das Just-Walk-Out nutzen können.

Auch in Deutschland sind Experimente und Pilotprojekte seit Jahren angelaufen. Auf dem Bildungscampus der Dieter-Schwarz-Stiftung in Heilbronn testet die Schwarz-Gruppe derzeit ein Modell, dessen Funktionsweise stark an die von Amazon Fresh erinnert: einen Convenience-Markt unter dem Namen „shop.box“. Einen vergleichbaren Service hat auch Edeka in Kooperation mit der Deutschen Bahn am Bahnhof in Renningen in Betrieb genommen. Die Technologie stammt vom Start-up Smark, dessen Robotiksystem auch im kassenlosen Abholmarkt von Typy in Düsseldorf genutzt wird.

Rewe geht einen eigenen Weg und bietet seit Ende 2021 seinen Kunden als erster Anbieter im deutschen Lebensmitteleinzelhandel ein hybrides Einkaufsmodell an: Klassisch an der Kasse bezahlen oder innovativ ohne Kassenvorgang mittels Pick&Go. Dafür wird die spezielle Rewe-App Pick&Go genutzt, mit der sich Kunden an der neuartigen Eingangsschranke anmelden. Die Rechnung wird später auf der App angezeigt und bezahlt.

Die Artikel in diesen Geschäften werden aufgrund der Menge an Online- und Offline-Daten, die Einzelhändler über die Verbraucher und ihren Wohnort erfassen können, auch immer stärker lokalisiert. Leistungsstarke Algorithmen analysieren das Kaufverhalten der Menschen in dieser Region, Händler können dadurch ableiten, welche Waren beliebt sein werden, anstatt einfach ein Standardportfolio anzubieten. In Kombination mit dem Einsatz von 5G-Beacons, also kleinen Datenpaketen, die bei Anmeldung im WLAN gesendet werden, ermöglichen diese Daten den Einzelhändlern, personalisierte und kontextbezogene Erlebnisse und Werbeaktionen anzubieten, wenn sich Kunden einem Geschäft nähern. Außerdem werden immer mehr Geschäfte als Distributionszentren fungieren, um Online-Lieferungen, Retouren und Click-and-Collect-Bestellungen abzuwickeln. Dieser zunehmende Grad an Automatisierung und technologischer Unterstützung wird es den Mitarbeitern ermöglichen, ihre Zeit und ihre Bemühungen darauf zu konzentrieren, den Kunden im Geschäft ein persönlicheres Einkaufserlebnis zu bieten.

Straßenroboter wie die Lieferroboter von Starship werden in den westeuropäischen Städten allmählich zu einem vertrauten Anblick auf den Bürgersteigen werden. Ende 2021 gab Starship bekannt, dass seine Roboter zwei Millionen Lieferungen durchgeführt haben, außerdem ging das Unternehmen eine Partnerschaft mit dem britischen Lebensmittelhändler Co-Op ein, um Waren an Kunden in ganz Großbritannien zu liefern.

Biometrische Bezahlsysteme werden sich auch außerhalb von den USA und China verbreiten und insbesondere in westeuropäischen Geschäften an Popularität gewinnen. Laut dem Umfrage-Institut Vanson Bourne wünschten sich 2019 über 40 Prozent der deutschen Befragten diese Technologie für ein angenehmeres Einkaufserlebnis. Hand-, Fingerabdruck- oder Gesichtserkennung verdrängen so das Mobile Payment auf den zweiten Platz. In Osteuropa hingegen ist mit einer geringen Akzeptanz zu rechnen, da die Menschen dort bei der Vermittlung personenbezogener Daten besonders vorsichtig sind. Die Einführung global gültiger digitaler Impfpässe wird jedoch die Akzeptanz biometrischer Bezahlsysteme beschleunigen, da sich die Menschen daran gewöhnen werden, zunehmend Privatsphäre für Bequemlichkeit zu tauschen.

Blockchain-Technologien werden sich darüber hinaus etablieren. Dabei handelt es sich um Barcodes, die online und offline mit Zertifikaten verknüpft sind, die durch unabhängige Zertifizierungs- und Auditunternehmen digital ausgestellt werden und beweisen, dass Waren ethisch und nachhaltig produziert wurden, einschließlich der Menge an CO2-Emissionen in der Lieferkette.

Eine große Rolle wird auch das Natural Language Processing (NLP) spielen. NLP ist ein Kommunikationsmodell, bei dem es um effektive zielgerichtete Kommunikation mit sich selbst und anderen geht. Da das Modell immer ausgefeilter wird, ist schließlich auch mit einem verstärkten Einsatz der Stimme als Kommunikationsmittel zwischen Einzelhändler und Verbraucher zu rechnen.

Der Kunde ist König – Einkauf mit maßgeschneidertem Angebot

Der Blick nach China zeigt die technologische Zukunft des Einzelhandels in der Praxis. In den Hema-Läden von Alibaba ist das gesamte physische Einkaufserlebnis mit der Hema-App auf dem Handy verbunden, wodurch personalisierte Angebote und Sonderangebote an die Kunden gesendet werden können, während sie durch das Geschäft gehen. Die Hema-Geschäfte nutzen auch Bezahlsysteme mit Gesichtserkennung, haben ein Roboterrestaurant vor Ort und verwenden eine Blockchain-basierte Produktkennzeichnung, die Preise in Echtzeit ändert. Außerdem können Verbraucher die Herkunft, das Herstellungs- und Ankunftsdatum des Produkts im Geschäft einsehen. Weiter gibt es Köche im Supermarkt, die aus den gekauften Lebensmitteln eine Mahlzeit zubereiten und ein Distributionszentrum vor Ort, das allen eingekauften Produkten im Umkreis von drei Kilometern zu den Kunden nach Hause liefert.

Um die Menschen in Zukunft in die Geschäfte zu locken, müssen sich die Einzelhändler darauf konzentrieren, das Einkaufserlebnis für jeden Kunden so einfach und angenehm wie möglich zu gestalten. Dazu müssen sie alles eliminieren, was dem Online-Handel erspart geblieben ist, wie zum Beispiel Warteschlangen mit zeitraubendem Anstehen und Abräumen am Kassenband. Sie bemühen sich auch zunehmend darum, jedem Käufer eine eigene, einzigartige Identität zu geben. Dazu kombinieren sie die digitale und die physische Identität des Verbrauchers zu einem einzigen Kundenprofil. So können Einzelhändler ihren Kunden über alle Kanäle hinweg ein personalisiertes Einkaufserlebnis bieten, das speziell auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten ist.