Lieferketten-Planung : "Wir haben für Körber Supply Chain Software den Nordstern festgelegt"
Herr Brandl, wie steht Körber Supply Chain Software derzeit da?
Michael Brandl Wir sind letztes Jahr um 16 Prozent gewachsen, haben 14 Prozent Mitarbeiterzuwachs, 200 Installationen und 120 Kunden dazu bekommen. Wir wachsen, und das ist eigentlich die Botschaft, kontinuierlich weiter, jährlich um etwa 20 Prozent.
Für mich viel entscheidender war, dass wir bei Körber Supply Chain Software den Nordstern festgelegt haben: Wo wollen wir wirklich hin? Das war bisher etwas vage formuliert, in diesem Jahr haben wir es festgeschrieben: Wir konzentrieren uns auf das Supply-Chain-Execution-Powerhouse, also die ausführende Logistik. Das umfasst Order-Management, Warehouse-Management, Transport-Management – und natürlich alles, was es dazwischen braucht, aber eben in dieser Bandbreite. Und im Lager bis hinunter auf die SPS (speicherprogrammierbare Steuerung, Anm.) – also hochgradig automatisierte Lagerstätten. Lösungen für das Supply-Chain-Planning und sonstiges wollen wir weder kaufen, noch wollen wir es selber bauen; das können Manhattan, Blue Yonder oder SAP, wir konzentrieren uns auf die ausführende Logistik. Das können wir gut und machen wir ja heute schon, darauf konzentrieren wir uns. Damit war klar: Jetzt müssen wir das Leistungsangebot, das wir in manchen Regionen, speziell in Deutschland, schon etabliert hatten, auch global zugänglich machen und dafür brauchen wir das Order-Management und das Transport-Management in unserem Portfolio mit einer globalen Präsenz. Wir haben eine TMS-Lösung in Deutschland, da haben wir sieben Kunden, jetzt haben wir mit MercuryGate einen der größten Software-Anbieter für TMS-Lösungen in der Familie mit Hunderten von Installationen weltweit. Jetzt können wir die Suite auf der globalen Ebene anbieten.
Können Sie die Hintergründe für die Strategieschärfung erklären?
Wir sehen in dieser Suite-Lösung den größten Benefit, denn die logistische Optimierung findet nicht mehr nur im Lager statt, sondern geht über die gesamte Kette: Da, wo der Auftrag entsteht, bis zu dem Ort, wo der Auftrag ausgeliefert wird.
Durch diesen ganzheitlichen Blick können wir die Entscheidung treffen, wie wir optimieren und wo der Optimierungsschwerpunkt liegen soll: Gehen wir auf Geschwindigkeit, gehen wir auf Sameday-Delivery, gehen wir auf Carbon-Effizienz, das sind genau die Themen, mit denen wir uns beschäftigen. Da können wir heute schon gut, und jetzt auch weltweit in der Breite.
Die Strategie wurde also sozusagen mit der Übernahme von MercuryGate geschärft?
Genau. Wir hatten sie schon immer, sie war nur nicht manifestiert, indem wir die Produkte hatten. Wir hatten das immer vor, es gab die Diskussion Make-or-Buy beim TMS, und nun kam die Gelegenheit, MercuryGate zu übernehmen. Die Alternative wäre gewesen, mit unserer Lösung weiterzumachen. Bis man aber mit einem Produkt, das man erst gelauncht hat, Weltmarktführerschaft erreicht, dauert es Jahrzehnte. Diese Zeit wollten wir uns nicht mehr nehmen.
"Bis man mit einem Produkt, das man erst gelauncht hat, Weltmarktführerschaft erreicht, dauert es Jahrzehnte. Diese Zeit wollten wir uns nicht mehr nehmen."Körber-Manager Michael Brandl über die Gründe für die Übernahme von MercuryGate
Was sind die größten Herausforderungen Ihrer Kunden?
Ich würde die Frage gerne zweistufig beantworten. Zum Einen: Wir leben in einer sehr globalen, heterogen vernetzten Welt, die stark von äußeren und inneren Faktoren beeinflusst ist. Ein gutes Beispiel ist etwa die Ukraine: Kein Flugzeug fliegt von Europa oder Amerika über Russland. Das ergibt etwa 20 Prozent höhere Treibstoffkosten. Der Krieg in Israel und die Antwort der Huthi darauf führt dazu, dass Schiffe nicht mehr durch das Rote Meer fahren, sondern um Afrika. Da stehen etwa in Deutschland die Bänder, weil die Teile nicht rechtzeitig kommen, die Transportkosten steigen. Der Panama-Kanal hat nicht genug Süßwasser, also fahren weniger Schiffe durch. Auch hier haben wir längere Lieferzeiten und höhere Transportkosten. Auch die Preise für Container aus China haben sich im Vergleich vom vorletzten zum letzten Jahr verdoppelt. Wir sehen also massiv gestiegene Preise in der Transportlogistik und die hohe Abhängigkeit von globalen Lieferketten.
Der zweite Teil betrifft Taiwan: 96 Prozent aller Chips werden in Taiwan produziert. Wenn Taiwan in einen Konflikt mit China eintritt, produzieren wir keinen Toaster mehr, kein Auto, keine Waschmaschine, keinen Fernseher, gar nichts mehr. Wir sind durch Single Source in einer hohen Abhängigkeit, man hat das kürzlich bei den Fiebermittel für kleine Kinder gesehen: Indien hat einen anderen Absatzmarkt gefunden, und wir hatten einen Mangel an fiebersenkenden Mittel. Der Fokus auf die Kosten hat zu Single Source geführt – und das wird jetzt zum Problem, weil Lieferketten fragil und anfällig sind. Wir arbeiten an Lösungen, um Probleme vorhersagen zu können und schnell reagieren zu können. Daher empfehlen wir eine Zwei-Lieferanten-Strategie, damit Unternehmen in der Lage sind, Warenströme umzulenken, bevor es zum Negativeffekt kommt. Das ist das, was unsere Kunden umtreibt. Damit sind wir auch wieder bei der End-to-End-Suite, denn ich muss die komplette Logistikkette betrachten und nicht nur im Lager optimieren. Darauf sind wir fokussiert.
Wo hat Körber denn schon Künstliche Intelligenz im Einsatz?
Wir arbeiten schon seit vielen Jahren an der KI-Integration im Bereich Slotting und Wave Planning. In der KI sind die Zyklen, in der Neuerungen kommen, so kurz, und die Effekte gigantisch groß. Was vor vier Jahren noch nicht ging, ist heute möglich und funktioniert. Jetzt bieten wir Slotting.IQ und arbeiten wieder an Wave-Planning weiter. Ich bin ein großer Verfechter davon, Künstliche Intelligenz so schnell wie möglich einzusetzen, aber an Stellen, wo ich den Prozess noch im Griff habe. Wir haben etwa einen WMS-Chatbot zum Einsatz gebracht.
"Der Fokus auf die Kosten hat zu Single Source geführt – und das wird jetzt zum Problem."Körber-Manager Michael Brandl über die Herausforderungen der Kunden
Sie haben Einblicke in viele Unternehmen in Europa und den USA. Wo gibt es denn Unterschiede in Sachen Automatisierung im nordamerikanischen gegenüber dem europäischen Markt?
Amerikanische Unternehmen sind im Gegensatz zu europäischen viel williger, ihre Prozesse der gekauften Software anzupassen. Das führt zu zwei Effekten. Zum einen ist der Individualisierungsaufwand in Westeuropa verglichen mit den USA signifikant höher - mit dem Effekt, dass das Personal in Automatiklägern auf ungefähr ein Drittel reduziert ist. Nordamerikanische Lagerbetreiber haben viel mehr Personal in ihren Lägern und viel weniger Automatisierung, aber damit auch viel kürzere Projektlaufzeiten. Wir werden auch oft gefragt, was wir denn im Umfeld Lagerrobotik und Autonome mobile Roboter (AMR) machen. Da sage ich: Wir müssen AMR erstmal runterbrechen. Ein AMR kann ein Sortierroboter, ein Follow-me-Roboter oder auch ein Goods-to-person-Roboter sein. Die Follow-me-Roboter sind etwa in Deutschland oder Osteuropa gar kein Thema, weil die Regale zu dicht stehen. Die Hallen in den USA sind riesengroß, die Regale stehen weiter auseinander. Also ist der AMR-Markt für uns nicht der gleiche. Wir verwenden eher Ware-zur-Person-Prozesse und optimieren so den Platz, den wir benutzen. Die Amerikaner nutzen Follow-me-Roboter, um die Wegstrecke zu optimieren. AMR ist deshalb nicht gleich AMR. Es gibt drei völlig unabhängige Lösungen. Wichtig ist jedenfalls die logistische Prozesskompetenz, und nicht nur die Technologie.
Körber bietet nun auch eine Gamification-Lösung an. Warum?
Das Thema Arbeitskräftemangel ist, weil Sie auch vorhin nach den Herausforderungen für Unternehmen gesprochen haben, auch ein großes. Der Job eines Lagerarbeiters ist auch nicht der Begehrteste der Welt, egal, wieviel bezahlt wird. 78 Prozent aller Mitarbeiter im Lager sind unzufrieden mit dem Job. Die Frage ist also nicht nur wie ich die Mitarbeiter kriege, sondern wie ich sie halte. Vaibe bietet Gamification und hat nun die ersten zehn bis 15 Projekte umgesetzt. Dabei sehen wir: Die Mitarbeiter sind konzentrierter und engagierter, wenn man sie richtig incentiviert. Man kann also nicht einfach den Kommissionierer der Woche auszeichnen und dann ein Plakat aufhängen, sondern tatsächliche Anreize schaffen, wie etwa zusätzliche Urlaubstage für den besten Kommissionierer oder die beste Kommissioniererin des Monats. Etwas, das er oder sie sozusagen auch mit nach Hause nehmen kann. Dann fängt es wirklich an, ein Wettbewerb zu werden, und dabei ist jeder wohl ein Stück fokussierter. Natürlich ist der Effekt, dass der Arbeitgeber am Ende mehr Leistung herausholt, aber die Menschen selbst sind zufriedener, weil sie sich mehr mit der Arbeit identifizieren. Wir haben es ausprobiert – und es wird gut angenommen. Es soll ja nicht zum Nachteil der Belegschaft sein, sondern sie motivieren.