Lieferkette : „Supply-Chain-Manager scheinen ihre Lektionen nicht gelernt zu haben“

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Globale Lieferketten sind in den letzten Jahren immer brüchiger geworden. Wie können sich Supply-Chain-Manager auf unabsehbare Ereignisse wie klimabezogene Unwetter & Co. vorbereiten?

Matthias Friese
Der Prozess beginnt damit, die Ereignisse nicht länger als „unabsehbar” zu definieren, sondern den Klimawandel und seine Auswirkungen ernsthaft anzuerkennen. Lange Zeit war in weiten Teilen von Politik, Gesellschaft und Wirtschaft die Vorstellung verbreitet, dass uns Extremwetter erst in ein, zwei Generationen wirklich treffen wird. Die Realität zeigt aber, dass wir, im Hier und Jetzt leben, bereits davon betroffen sind.
Ausgehend von dieser Einsicht gilt es, die notwendige Transparenz zu schaffen, um beispielsweise Schwachstellen in Lieferketten zu identifizieren. Ein neuer Ansatz sind digitale Zwillinge von Lieferketten, welche die realweltliche Lieferkette durch eine virtuelle Version abbilden, mit der sich Szenarien durchspielen lassen. Zukunftsfähiges Lieferketten-Monitoring wird eine Echtzeitüberwachung nötig machen. In so ein Monitoring fließen auch externe Daten, wie beispielsweise zu Wetterverhältnissen, mit ein. Auf dieser Grundlage können Systeme mittels KI eigenständig Risiko-Assessments erstellen.

Was braucht eine resiliente Supply-Chain?

Friese
In einem zweiten Schritt lassen sich „Single Points of Failure” identifizieren, neuralgische Punkte, deren Ausfall die gesamte Kette zum Erliegen bringt. Diese müssen gestärkt werden, beispielsweise durch Redundanzen oder Alternativen. Das bedeutet im Umkehrschluss jedoch auch eventuell Überkapazitäten bereitzuhalten. Gleichzeitig gehört eine intelligente Bedarfsplanung dazu. Aktuell sehen wir vermutlich das Ende eines sehr langgezogenen Peitschenschlag-Effektes. Engpässe, die sich seit dem Beginn der Lieferkettenkrise ergeben haben, führten entlang der gesamten Lieferkette zum Aufbau zusätzlicher Kapazitäten. So könnte sich beispielsweise der langanhaltende Chip-Mangel in einen Chip-Überbestand verwandeln. In den betroffenen Teilen der Mikrochip-Lieferkette wird von den Herstellern bis zu den Logistikpartnern hektisch versucht, schnell Kosten einzusparen. Ökonomisch betrachtet mag das die unmittelbare Notwendigkeit sein, um etwa Anleger zufriedenzustellen. Aber wer nur zyklisch bei der Planung seiner Lieferketten agiert, wird zukünftig schwerlich die nötige Flexibilität erreichen.
Leider scheinen Supply Chain Manager:innen ihre Lektionen aus der anhaltenden Krise nicht gelernt zu haben: 90 Prozent haben laut einer Umfrage von McKinsey von Ende 2021 zwar ihre Lieferketten gestärkt. Dabei haben sie jedoch viel öfter in den Ausbau von Lagerbeständen, als beispielsweise in Nearshoring investiert.

Wie muss die Logistik mittel- und langfristig optimiert werden, um Veränderungen durch den Klimawandel zu begleiten?

Friese
Neben den eingangs genannten Punkten geht es auch um ganz konkrete technologische Sprünge. Nehmen wir als Beispiel die Binnenschifffahrt. Es wird zurzeit an Schiffen gearbeitet, die 30-40 Zentimeter weniger tief eintauchen. Die Schiffshüllen dieser Schiffe besitzen verbesserte Auftriebseigenschaften und werden von kleineren Propellern angetrieben, die auch bei sehr niedrigen Wasserständen funktionieren. So wie für die Binnenschifffahrt wird in vielen Bereichen zu klimaresilienteren Technologien geforscht – seien es energieeffizientere Kühlketten oder hitzebeständige Straßenbeläge. Ein weiterer großer Bereich ist der konsequente Ausbau bestehender und erprobter Infrastruktur wie der Schiene. Sie kann sowohl die logistische Klimabilanz verbessern, als auch sicher und bei quasi jeder Witterung verlässliche Transportkapazitäten bieten.

Welche Lösungen gibt es für eine Klimawandel-gerechte Logistik und wie können Start-ups hier helfen?

Friese
Statt inkrementeller Verbesserung, sind Start-ups dank Wagniskapital in sehr viel kürzerer Zeit große Innovationssprünge möglich. Laut Statistiken betrug das jährliche Finanzierungswachstum für Logistik-Start-ups von 2014 bis 2021 spektakuläre 70 Prozent. Zu spannenden Beispielen im Bereich der klimaresilienten Logistik zählt beispielsweise das Hamburger Start-up repath. Repaths Lösung modelliert das Klimarisiko für Unternehmen an ihren jeweiligen Standorten oder zum Beispiel für Transportrouten auf Basis von über 100 Klimamodellen. Ebenfalls interessant finde ich Carbon Crusher aus Norwegen. Dieses Start-up hat eine Technologie für das Erneuern und Recyceln von Straßenbelegen entwickelt. Carbon Crushers Prozess nimmt den vorhandenen Asphalt, mahlt ihn und setzt ihm ein auf Lignin basierendes Bindemittel bei. Lignine sind die Art von Biopolymeren, die auch in den Zellwänden von Pflanzen stecken. So wird zugleich die Umwelt weniger belastet, während die Straßenbeläge wesentlich temperaturbeständiger sind. Ein letzter großer Bereich, den ich hervorheben möchte, sind Cold Chains. In weiten Teilen des globalen Südens gibt es keine zuverlässigen Kühlketten, was etwa zu Lebensmittelverschwendung führt. Solar Freeze, ein Start-up aus Kenia, etwa, entwickelt und vertreibt unter anderem mobile und solarbetriebene Kühlcontainer.
Je mehr die Logistikbranche das Problem des Klimawandels erkennt und ernst nimmt, desto mehr Lösungsansätze für eine Klimawandel-gerechte Logistik werden wir sehen.

Matthias Friese ist Managing Partner und LogTech-Experte bei XPRESS Ventures.