Infrastruktur : Der Ausbau des Wiener Hafens in der NS-Zeit
Vor allem in Österreich und Deutschland arbeiten viele Unternehmen ihre Vergangenheit während der NS-Zeit auf. Auch der Hafen Wien reiht sich hier ein, der sich im Vorfeld des 60-jährigen Jubiläum im letzten Jahr mit einem Team aus externen Expert:innen mit der Rückschau befasst hat. Nun ist nach zwei Jahren Forschung in internationalen und österreichischen Archiven ein Buch mit dem Titel „Hamburg des Ostens“ erschienen.
Das Buch über Zwangsarbeit auf dem Gelände des heutigen Hafen Wien in Albern und der Lobau während der NS-Zeit wurde vom Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien herausgegeben. Das Expert:innen-Team bestand dabei aus Ina Markova und Stefan Wedrac unter der Leitung von Oliver Rathkolb, Projektleiter der Publikation und Vorstand des Instituts für Zeitgeschichte.
In diesem Buch sei es gelungen, einerseits die Metaebene des Nationalsozialismus hinsichtlich der verantwortlichen Akteur:innen für den Einsatz von Zwangsarbeiter:innen sowohl auf Ebene der Beamt:innen als auch auf politischer Ebene zu rekonstruieren, andererseits den für das NS-Regime typischen internen Konkurrenzkampf um Finanzmittel und insbesondere um Zwangsarbeiter:innen für den Ausbau des militärstrategisch wichtigen Hafens in Wien darzulegen.
„Während der NS-Zeit sollte Wien zum 'Hamburg des Ostens' entwickelt werden. Man baute die Wiener Hafenanlagen mit Hilfe von über tausend Zwangsarbeiter:innen massiv aus. Das Buch zeichnet die Entscheidungsprozesse, die Durchführung sowie die Nachkriegsgeschichte nach und geht auf Einzelschicksale von zur Zwangsarbeit gezwungenen Menschen ein“, erklärt Wien-Holding-Geschäftsführer Kurt Gollowitzer.
Wien sollte stärker industrialisiert werden
Sofort nach dem „Anschluss“ Österreichs an NS-Deutschland im März 1938 begann man in Wien mit den Planungen für einen neuen Hafen. Verschiedenste Stellen – „ostmärkische“, städtische, „altreichsdeutsche“ – hatten unterschiedlichste Vorstellungen über das geplante Bauprojekt. In jedem Fall erhoffte man sich seitens Wiens eine stärkere Industrialisierung – Wien sollte eben das „Hamburg des Ostens“ werden.
„Wenn man heute zurückblickt, dann ist schwer vorstellbar, dass die Errichtung eines Hafens in Wien lange Zeit als gar nicht notwendig erachtet worden war. Die Schiffe, die in Wien ankamen, wurden an dafür geeigneten Stellen entlang der Donau und ihrer Nebenflüsse einfach an Land gezogen. Mit dem Aufkommen der Dampfschiffe war das Anlanden auf den weichen Böden dann nicht mehr möglich“, so Fritz Lehr, kaufmännischer Geschäftsführer des Hafen Wien.
Ausschlaggebend für die Einigung auf den Standort Albern war die Notwendigkeit, die Bevölkerung im Kriegsfall mit Lebensmitteln versorgen zu können. Das zum Großteil über die Donau importierte Getreide aus dem Südosten war kriegswichtig. In Albern baute man in den nächsten Jahren daher fünf große Getreidespeicher – ebenso wie umliegende Straßen und Bahngleise, Kanalisation und Wasserleitungen.
In der Lobau hatten die NS-Machthaber andere Pläne als in Albern: Hier sollte der Oder-Donau-Kanal einmünden. Nachdem im Herbst 1939 die Planungen für den Wiener Abschnitt abgeschlossen waren, begannen die Bauarbeiten an der Mündung des Kanals in die Donau, einem daran angeschlossenen Hafenbecken und einer Wasserstraße, die der Trasse des Kanals nach Nordosten ins Marchfeld folgte. Am ersten Hafenbecken des Oder-Donau-Kanals baute man zwischen 1940 und 1943 einen „Ölhafen“. Das Deutsche Reich war für seinen Angriffskrieg auf die Erdölvorräte des Marchfelds angewiesen. Um diese auszubeuten, forcierte man nicht nur die Förderung, sondern siedelte in der Lobau auch eine große Raffinerie an, und zwar die Ostmärkischen Mineralölwerke. Sie sollten das über eine Pipeline aus der Lobau kommende Öl zu Treibstoff verarbeiten und entwickelten sich zu einer der wichtigsten Raffinerien NS-Deutschlands.
Daneben baute die Wirtschaftliche Forschungsgesellschaft (Wifo) ein Öllager, das rund 200.000 Tonnen Treibstoff speichern können sollte. Dieses Lager war als Sammelpunkt der Raffinerieproduktion von Wien und Umgebung gedacht. Um den Treibstoff in andere Teile Deutschlands transportieren zu können, errichtete die Wifo eine über 300 Kilometer lange Pipeline nach Raudnitz an der Elbe im nördlichen Böhmen, von wo der Treibstoff dann weiter verteilt werden konnte. Die Lobau wurde daher zum Umschlagplatz einer der wertvollsten Ressourcen des Deutschen Reichs im Zweiten Weltkrieg. Anders beim Kanal: Die kriegsbedingte Mangelwirtschaft verzögerte die Arbeiten, die Luftangriffe der Alliierten brachten die Arbeiten zum Erliegen. Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs waren lediglich die Einmündung, das Hafenbecken und drei Teilstücke fertiggestellt.
Mehr als 1.200 Zwangsarbeiter:innen eingesetzt
Beim Bau des Alberner Hafens waren nur eine Minderheit inländische Arbeitskräfte oder Freiwillige aus dem mit NS-Deutschland verbündeten Ausland. Mehr als 700 zivile Zwangsarbeiter:innen und eine unbekannte Anzahl an Kriegsgefangenen kamen für den Hafenbetrieb zum Einsatz. Für diese hunderten Arbeiter:innen richtete man in der Lobau einen Lagerkomplex ein, das sogenannte `Gemeinschaftslager´. Sowohl die Freiwilligen als auch die Zwangsarbeiter*innen waren im dem Lagerkomplex untergebracht.
Die Todesrate war vor allem unter den jüdischen Deportierten hoch. Zeitzeug:innen- Erinnerungen legen nahe, dass nur ein Bruchteil der tatsächlichen Todesfälle offiziell protokolliert wurde. Doch auch wenn die Quellenlage mehr als schütter ist, so ist unzweifelhaft belegt, dass fünf jüdische Inhaftierte an „Herzschwäche“ und weitere zehn unter ungeklärten Umständen starben. 18 ungarische Jüdinnen und Juden, die in der Lobau eingesetzt worden waren, wurden kurz vor der Befreiung Österreichs Opfer eines NS-Endphaseverbrechens in der niederösterreichischen Ortschaft Hofamt Priel. Die nicht-ungarischen, zivilen Zwangsarbeiter:innen betreffend protokolliert sind zwei Arbeitsunfälle und neun Todesfälle, die auf Luftangriffe zurückzuführen sind. Sechs weitere Todesfälle (Badeunfälle, Brände, Krankheiten, etc.) sind bekannt.
Die Geschichte des Hafen Wiens als Wirtschaftsstandort im Zeitverlauf
Im Jahr 1875 entstand der erste Stromhafen am rechten Donauufer zwischen der Nordwestbahnbrücke und der Freudenau. Es war also kein lokal abgrenzbarer Hafen nach heutigem Verständnis, sondern ein zwölf Kilometer langes, schmales schlauchartiges Ländenareal, an dem die Dampfschiffe angelegt haben. Aber auf Dauer konnte der Hafenbetrieb dort nicht abgewickelt werden, auch, weil im Winter die Schiffe nicht vor dem Eis der Donau geschützt waren.
Ende des 19. Jahrhunderts wurde daher die Idee aufgegriffen und umgesetzt, den Hafen Wien als Wirtschaftsgelände zu errichten, das sich um ein oder mehrere Hafenbecken konzentriert. 1899 stand der Baubeginn für den Hafen Freudenau auf dem Plan. 1939 jener für die Häfen in Albern und in der Lobau.
Die eigentliche Betriebsgeschichte des Hafen Wien, so wie er sich heute präsentiert, hat vor 60 Jahren begonnen: Im Jahr 1962 wurde die Wiener Hafenbetriebsgesellschaft gegründet. Dieses Jahr gilt damit quasi als „Geburtsstunde“ des Hafen Wien in seiner heutigen Form. Die drei Häfen Albern, Freudenau und Lobau wurden immer wieder ausgebaut. Auch heute noch wird die Hafen Wien GmbH infrastrukturell und flächenmäßig weiterentwickelt. Aktuelle Beispiele sind das jüngst in Betrieb genommene Hochwasserschutztor in Albern sowie die geplante Flächengewinnung in der Freudenau (Hafenbeckenaufschüttung).