Gastkommentar : Die Lehren aus dem Lieferkettenstress

Dachser Matthias Gonzi
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Geschwindigkeit und Flexibilität blieben gerade in der Pandemie entscheidende Faktoren für die Wettbewerbsfähigkeit

Muss eine chinesische Fabrik für medizinische Produkte wie Kontrastmittel schließen, kann es passieren, dass in Europa Operationen verschoben werden. Warum? Ohne Kontrastmittel können Ärzte keine Diagnosen stellen. Normalerweise wird der Seeweg genutzt, da er günstiger und umweltfreundlicher ist. Der Luftweg wird für zeitkritische Fracht genutzt. Sei es, um ein neues Produkt auf den Markt zu bringen, um dringend benötigte Schlüsselkomponenten zu liefern oder um einen nicht vorrätigen Artikel schnell wieder aufzufüllen. In der Pandemie verlagerten sich jedoch viele Seefrachten in die Luft. Die Seefracht mag zwar günstiger sein, dauert aber vier Wochen – zu lange für etwa Modehändler. Per Luft kann in einem bis vier Tagen geliefert werden. Es gibt weniger Zwischenstopps und weniger Abhängigkeit von externen Faktoren wie Wetter oder Streiks. Auch wenn ihre Waren dadurch teurer wurden, waren viele Unternehmen gefordert, auf den Luftweg auszuweichen. Besonders bei hochwertigen, verderblichen oder zeitkritischen Gütern, wie z. B. medizinische oder chemische Produkte und Elektronik. Seit die globalen Einnahmen der Luftfracht 2020 um 27,2 % gestiegen sind, wächst die Nachfrage nach Luftfracht weiter. Prognosen gehen davon aus, dass sich der Luftfrachtverkehr bis 2035 mehr als verdoppeln wird.

Der „Lieferkettenstress” war zwar fordernd, aber lohnend für Spediteure


Der See- und Luftfrachtbereich konnte in der Zeit höhere Margen erzielen. Seefrachtcarrier nutzten das, um gewaltig in europäische Hafen-Infrastruktur zu investieren. Die zunehmende Konzentration bei Reedereien hin zu wenigen Allianzen ließ wenig Spielraum für Alternativen. Jetzt, wo Covid-19 nicht mehr dominiert und der Bedarf an medizinischen Gütern gesunken ist, haben sich Angebot und Nachfrage wieder eingependelt. Die Staus in den Häfen haben sich aufgelöst, die Seefracht ist wieder planbar. Da China alle Covid-Beschränkungen aufhob und nun auch Linienflüge von und nach China wieder stattfinden, wird erwartet, dass die Kapazitäten in der Luftfracht noch weiter steigen werden. So wird zusätzlicher Frachtraum verfügbar, womit auch das Vor-Corona-Niveau von 2019 wieder erreicht werden kann.

Nachhaltigkeit spielt eine immer wichtigere Rolle. Die Umstellung hat aber seine Tücken


Die Seefracht ist mit Abstand der umweltfreundlichste Transportmodus, da sie weniger CO₂-Emissionen pro Tonne und Kilometer verursacht als andere Verkehrsträger. Um die IMO 2023-Regelungen zu erfüllen, ist sie jedoch gefordert, ihre Emissionen weiter zu reduzieren. Diese Regelungen zielen darauf ab, den Schadstoffausstoß des Schiffsverkehrs bis 2030 um 40 % und bis 2050 um 70 % gegenüber den Werten von 2008 zu senken. Eine Möglichkeit ist, alternative Treibstoffe wie LNG (Liquefied Natural Gas) oder SAFs (Sustainable Aviation Fuels) einzusetzen. Diese haben jedoch eine enorme Nachfrage und können noch nicht ausreichend gedeckt werden. Unternehmen müssen ihren ökologischen Fußabdruck berechnen, nachweisen und später neutralisieren. Dies erfolgt oft durch den Kauf von SAF-Kontingenten. Der Schadstoffausstoß kann derzeit hauptsächlich durch eine Reduktion der Geschwindigkeit verringert werden, was sich jedoch negativ auf Laufzeiten und Produktivität auswirkt.

Die Vorwärts/Rückwärtsintegration wird ein Trend in der Seefracht

Reedereien bieten seit einigen Jahren nicht nur den Hauptlauf an, sondern auch Vor- und Nachläufe. So können Schiffscontainer von einem lokalen Bahnterminal bis zum Empfänger mit einem Reeder gebucht werden. Dies hat insbesondere in den USA die Zustellmöglichkeiten verbessert, wo es seit Jahren einen Mangel an LKW-Fahrern gibt. Spediteure nutzen diese Vorlaufprodukte gerne. Mittlerweile wird es sogar immer mehr zur Pflicht, sie zu buchen, um die Containerabnahme in den Terminals zu erleichtern.

Digitalisierung bliebt ein Schlüsselfaktor für Effizienz und Transparenz

Obwohl es elektronische Frachtbriefe und Air Waybills gibt, wird im Transportwesen immer noch viel mit Papier gearbeitet. Dies verzögert den Informationsfluss und erschwert die Sendungsverfolgung. Die Digitalisierung kann diese Prozesse vereinfachen und beschleunigen sowie mehr Transparenz bieten. Besonders Online-Händler und Verbraucher profitieren von einer lückenlosen Transparenz über den gesamten Transportweg. Trotz vieler Bemühungen hat sich das „papierlose Büro” in der Speditionswelt noch nicht durchgesetzt. Der Druck zur Digitalisierung steigt jedoch, da Luftfrachtsendungen immer kleiner werden und Konsumenten eine lückenlose Transparenz erwarten. Im Paketbereich ist die Digitalisierung schon viel weiter – oder wie oft müssen Sie noch auf Papier unterschreiben, wenn ein Paket ankommt?