Industrie 4.0 : Bosch Rexroth setzt die Fabrik der Zukunft um

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Im Werk Lohr-Wombach stellt Bosch Rexroth kundenangepasste Servomotoren und Antriebsregelgeräte mit integrierter Steuerungsfunktion her. Das Spektrum der Prozessschritte reicht von der automatisierten Leiterplattenbestückung über reine Montagetätigkeiten bis hin zu umfangreichen automatisierten Qualitätstests. Rund 200.000 Varianten werden in kleinen Losgrößen produziert, dabei sind sowohl hochmoderne Montagelinien als auch deutlich ältere Fertigungseinrichtungen aus dem Bestand miteinander über ein MES vernetzt.

Durch die Einführung eines Produktionssystems und die schrittweise Vernetzung aller Produktionsmittel optimiert das Unternehmen seine Prozesse. Die Vernetzung basiert dabei hauptsächlich auf Hard- und Softwaremodulen sowie Systemen aus dem eigenen Haus, die sich hier erst bewähren müssen, bevor sie auf den Markt kommen.

IoT Gateway erfasst Betriebszustände

Eine besondere Herausforderung für die Nutzung von Echtzeitdaten im Produktionsumfeld sind Bestandsmaschinen, die auch nach jahrzehntelangem Einsatz ihre Aufgaben effizient erfüllen, aber nicht oder nur mit hohem Aufwand direkt vernetzbar sind. „Jeder Eingriff in ältere Steuerungen erzeugt einen enormen Aufwand und blockiert die Maschine für die Produktion“, sagt Joachim Hennig, Technischer Werkleiter. Zum Einsatz kommt hierbei ein IoT Gateway, das Maschinen ohne Eingriffe in die Steuerung nachträglich vernetzt.

Die Lösung besteht aus einer Kompaktsteuerung mit offener Software und einem mikromechanischen Sensorpaket von Bosch. Das IoT Gateway erfasst sensorisch Betriebszustände, wertet sie aus und sendet die Daten weiter. Zur Inbetriebnahme des IoT-Gateways sind keine SPS-Kenntnisse notwendig. Andere Software-Lösungen ermöglichen es, direkt auf Daten innerhalb der älteren Steuerungen zuzugreifen, ohne dass dafür die Steuerungen umprogrammiert werden müssen. Dies ermöglicht nachfolgend eine erweiterte Datenauswertung. So berechnet eine einfache, von den Projektbeteiligten selbst programmierte Software auf einem Rexroth IPC in Echtzeit die Bauteilreichweite bei der Leiterplattenbestückung und damit den zu erwartenden Maschinenstillstand.

Produktionssystem als Basis

„Bei uns steuert das Produkt die Fertigung, anders könnten wir die nahezu unbegrenzte Varianz nicht so einfach und elegant beherrschen“, so Hennig. „Dazu haben wir die gesamte Fertigung mit allen neuen und alten Maschinen vernetzt und mit unseren IT-Systemen verbunden, in Summe sind das über 2.000 vernetzte Devices.“ Die Basis dafür wurde bereits 2007 mit der Einführung des Bosch Production Systems gelegt.

Hohe Rückverfolgbarkeit

Der Fertigungsprozess beginnt bereits mit der Bestellung. Zu jedem Kundenauftrag wird als erster Schritt ein virtuelles Abbild oder digitales Duplikat der bestellten Komponenten erzeugt. Dieses enthält alle technischen Spezifikationen und wird mit einer individuellen Seriennummer versehen, die das Produkt während seiner gesamten Lebenszeit behält. Im Verlauf der Fertigung wird das reale Erzeugnis anhand des virtuellen Abbildes nachgebaut und die entsprechenden Prozessparameter sowie Prüfprogramme automatisch geladen. Dadurch gibt es keine Rüstzeiten. Sämtliche Bearbeitungsschritte und Prüfungsergebnisse sowie Seriennummern verbauter Unterkomponenten werden von den Stationen in übergeordnete Systeme zurückgespeichert. Am Ende entspricht das digitale Duplikat in der Software exakt der physischen Variante, was eine hohe Rückverfolgbarkeit bietet und zugleich eine gute Basis zur Fertigungsoptimierung darstellt.

Live Überwachung

Um die Seriennummer-Fertigung konsequent umzusetzen wurden 2.000 Geräte mit dem Manufacturing Execution System und auch untereinander vernetzt. Das Spektrum reicht von Bestückungsautomaten bis hin zu Druckern für die Typenschilder. Der reibungslose Ablauf hängt stark davon ab, dass alle vernetzten Geräte voll funktionstüchtig und online sind. Sämtliche Geräte werden live überwacht. Bei Störungen an einem Gerät erhält die Instandhaltung sofort eine Meldung.

Fehleranalyse direkt am Wertstrom

Die Leiterplattenbestückung Werk ist extrem variantenreich und es erfolgt eine 100-Prozent Prüfung aller bestückten Produkte. Durch die hohe Varianz war es bislang schwierig, Abweichungen schnell zu erkennen und systematisch auszuwerten. Darum forderte die Werkleitung vor allem die Einführung schneller kurzer Regelkreise. Eine Software wertet jetzt die Ergebnisse der verschiedenen Testeinrichtungen online aus und zeigt mit einer Ampellogik, ob es eine Häufung von Fehler-Meldungen für den jeweiligen Teststand oder die geprüfte Materialnummer an allen Testständen gibt. Der erste Level der Fehleranalyse und -eingrenzung kann direkt am Wertstrom erfolgen. Die Bediener können damit rasch reagieren und Gegenmaßnahmen einleiten, ohne erst auf weitere Fachleute warten zu müssen.

Mensch bleibt im Mittelpunkt

Durch die Einführung von Industrie 4.0 in kleinen überschaubaren Schritten konnten die Mitarbeiter die Entwicklung zur Fabrik der Zukunft mitgestalten und erlebten die Fortschritte unmittelbar in der täglichen Arbeit. Sie erhalten eine optimierte Unterstützung durch die Erstellung von 3D-Online Bauvorschriften für die Montagelinien, die sie parallel zu den einzelnen Werkstücken abrufen können. Gleichzeitig sind zahlreiche, bislang auf Papier erfolgte Dokumentationspflichten entfallen. Das reduziert auch den Anteil nicht wertschöpfender Tätigkeiten.

„Bei jeder Neuerung müssen wir immer wieder den Nutzen hinterfragen und bei der Umsetzung in kleinen Schritten vorgehen“, betont Mark Leverköhne, Leiter Technische Funktionen in Wombach. „Wichtig ist, dass für die Mitarbeiter der Nutzen von Neuerungen schnell greifbar ist.“

Ausgangspunkt ist für ihn dabei, dass der Fokus nicht auf Mitarbeiter-Kontrolle liegt, sondern auf der Mitarbeiter-Unterstützung. Nur so erreiche die Vernetzung die notwendige Akzeptanz. Zugleich nutzt das Werk die Prinzipien der kontinuierlichen Verbesserung und ergänzt sie mit neuen Ansätzen wie kurzzyklischen „Hackathons“, um neue I4.0-Lösungen in wenigen Tagen in den Produktivbetrieb zu bekommen und so neben der Wertstromverbesserung auch die Ausbreitung der erforderlichen Mitarbeiter-Qualifikation zu erreichen.