Corona-Krise : Der Boom der autonomen Liefersysteme

Waymo autonomes Fahren Lieferfahrzeug
© Waymo

Seit den Ausgangssperren in der Corona-Krise gibt es in der Stadt Fairfax im US-Bundesstaat Virginia neue Verkehrsteilnehmer auf den Gehsteigen: 20 weiße, sechsrädrige Lieferroboter der Firma Starship bringen Mahlzeiten, Lebensmittel oder Medikamente bis vor die Haustür.

In Rekordzeit sei die Genehmigung dafür erteilt worden, berichtet Christopher Bruno, Leiter des Büros für Wirtschaftsentwicklung in Fairfax. „Ich denke, ohne eine Krise hätte es eine gewisse Skepsis gegeben, ob diese Roboter eingesetzt worden wären oder nicht.“

Investoren werden aufmerksam

Die neue Nachfrage nach autonomen Liefersystemen lässt auch Investoren aufhorchen. Einer Reuters-Analyse zufolge steckten Kapitalgeber in den vergangenen Monaten mindestens 6 Milliarden Dollar in mehr als zwei Dutzend Unternehmen, die an der Auslieferung von Waren und Lebensmitteln durch Maschinen beteiligt sind. Im Einsatz sind neben den rollenden Lieferrobotern auch Drohnen oder schwere Lkw.

„Einen ganz praktischen Bedarf an Lebensmittel- und Paketlieferdienstleistungen“ habe die Coronapandemie hervorgerufen, sagt James Peng, Gründer und Chef der Firma Pony.ai, die die Lieferung von Lebensmitteln mit autonomen Fahrzeugen in Kalifornien testet. Das Start-up sicherte sich im Februar 462 Millionen Dollar in einer Finanzierungsrunde mit Toyota als größtem Investor. Damit wird Pony.ai mit mehr als 3 Milliarden Dollar bewertet.

Die Großen zuerst

Bei dem Rennen um Kapitalgeber sind etablierte Firmen im Vorteil: Mit mehr als 4 Milliarden Dollar seit Jänner griffen den Löwenanteil der Mittel große Branchenvertreter wie die Google-Schwester Waymo oder der chinesische Mitfahrdienst Didi Chuxing ab. Beide Firmen setzen sowohl auf automatisierte Fahr- als auch Lieferdienste. Allein Waymo sammelte 3 Milliarden Dollar frisches Kapital ein, nachdem die erste externe Investitionsrunde Mitte Mai um 750 Millionen Dollar aufgestockt wurde.

Standen anfangs autonome Taxis im Fokus, hat Waymo mittlerweile auch autonome Lastwagen und Zustellfahrzeuge entwickelt und mit dem US-Logistikkonzern UPS sowie dem Einzelhandelsriesen Walmart Verträge über automatisierte Zustelldienste abgeschlossen.

„Die Realität sieht derzeit so aus, dass die Lieferung von Waren ein größerer Markt ist als die Beförderung von Menschen“, sagt Waymo-Chef John Krafcik.

Chancen für Start-ups

Aber auch junge Unternehmen wittern in der Krise ihre Chance: Refraction AI, ein Start-up für automatisierte Lieferdienste aus Ann Arbor im US-Bundesstaat Michigan, konnte sich frisches Geld sichern, weil die Nachfrage in der Coronakrise ansprang. Genauso erging es Kiwibot, das im kalifornischen Berkeley auf dem Bürgersteig fahrende Lieferroboter entwickelt, oder der Firma Optimus Ride in Boston, die auf Technologie für autonomes Fahren spezialisiert ist.

Auch Manna Drone Delivery in Irland hat jetzt leichteren Zugang zu frischem Geld. Das Start-up wirbt mit der Lieferung von Essen oder Medizin in drei Minuten innerhalb eines Radius von zwei Kilometern – per Drohne.

Neue Finanzierungsrunden planen heuer etwa Phantom Auto, ein Anbieter von Software zur Fernsteuerung von autonomen Fahrzeugen, oder die auf autonome Lastwagen spezialisierte Firma TuSimple, in die UPS bereits investiert hat.

Erwartungen zu hoch geschraubt?

Einige Investoren warnen schon davor, dass die Erwartungen an automatisierte Zustellsysteme durch die Corona-Krise zu hoch geschraubt sein könnten. Denn noch immer kämpft die Branche mit gewaltigen technischen und regulatorischen Herausforderungen.

„Zwar gibt es im Moment aufgrund des Coronavirus einen zunehmenden Hype um die automatisierte Lieferung, doch wird diese Gesundheitskrise in ein paar Jahren weitgehend gelöst sein, noch bevor automatisierte Auslieferungen für den Massenmarkt bereit sind“, warnt etwa Quin Garcia, Geschäftsführer von Autotech Ventures. Die Investmentfirma steckt ihr Geld eher in autonome Fahrzeuge, die abseits des Straßenverkehrs in Lagerhäusern oder in der Landwirtschaft eingesetzt werden. (apa/reuters/red)