Interview : „Was ist denn an digitaler Disruption so schwierig?“

Matthias Friese Managing Partner XPRESS Ventures
© XPRESS Ventures/Christoph Graefenstein

dispo: Herr Friese, während es im Handel oder der Gastronomie nach einem Jahr Pandemie wohl ziemlich zu krachen beginnt, scheint das Klagen in der Logistik insgesamt eher verhalten.

Matthias Friese: Ich mag das Wort ‚Krisengewinner‘ nicht, da es falsch konnotiert ist – aber die Logistik ist in großen Teilen tatsächlich ein Gewinner. Auch wir bei Fiege mussten streckenweise in Kurzarbeit gehen, doch letztlich werden wir eines der besten Jahre unserer Geschichte abschließen. Allerdings nur, weil wir uns auf die Herausforderungen der neuen Marktkultur frühzeitig vorbereitet haben, wozu im Kern auch die digitale Disruption gehört.

Gerade mittelständische Speditionen haben aber durchaus Probleme.

Friese: Die sind aber nicht erst durch Covid entstanden, sondern resultieren daraus, dass die Branche speziell in Europa technologisch unfassbar weit hinten ist. Bei Xpress Ventures erleben wir ganz andere Geschichten. Mit Angel Last Mile haben wir einen Dienstleister, dem seit 2020 die Türen eingerannt werden. Der Zehn-Minuten-Lieferdienst Gorillas schafft bei 160 Millionen Euro Bewertung 30 Millionen Fundraising sechs Monate nach Gründung. Flaschenpost wurde für über eine Milliarde Euro von der Oetker-Gruppe übernommen – ein gewaltiges Signal.

Hier öffnet sich eine Schere: zwischen dem extremen Zuwachs auf der automatisierten und digitalisierten Seite der Logistik und der klassischen Spedition, die glaubt, immer noch gut mit Fax auskommen zu können. Covid hat sehr geschadet, noch mehr aber schadet Digitalisierungsverweigerung.

Ist denn nicht gerade die Logistik permanente Entwicklung gewöhnt?

Friese: Das ist ja das Ironische daran. Diese Branche musste sich ständig disruptiv entwickeln, sich immer wieder neu erfinden. Sie hat Technokratisierung, Industrialisierung, Maschinisierung und Automatisierung erlebt – was ist denn an der digitalen Disruption so schwierig?

Vielleicht ist es auch ein Problem der unterschiedlichen Sprachen. Für Logistik-Startups ist es extrem schwierig, in der Branche Druck aufzubauen, wenn auf der anderen Seite vor allem Unverständnis herrscht. Vielleicht ist diese Entwicklung für viele tatsächlich zu schnell. Genau hier setzen wir an. Unser Ziel ist es, als Mediator eine Brücke zwischen diesen beiden Welten zu schlagen, die alle dort abholt, wo sie stehen.

Und wie kann man diese beiden Welten zusammenbringen?

Friese: Indem man Koalitionen bildet. Wenn die eine Seite auf ‚Never change a running System‘ verzichtet, muss die andere Seite ihre Ideen auch nicht von Grund auf alleine umsetzen. Das ist schon deshalb äußerst schwierig, weil Gründer in diesem Fall sehr, sehr viel Geld raisen müssen. Logistik-Startups benötigen meist extrem viel Kapital. Es ist doch ganz einfach: Die Großen haben die Operational Excellence, den Kundenzugang, die Marktkenntnis. Die Start-ups haben die Technologie. In der Finanzbranche haben solche Koalitionen ja auch funktioniert.

Sie versuchen, solche Koalitionen zu bilden?

Friese: Genau das ist meine Aufgabe bei Xpress Ventures: disruptive Themen an die Organisation zu tragen und sie dort zu etablieren. Und ich selbst muss auch permanent von den Start-ups und den Experten in unserer Organisation lernen, ich bin ja kein Logistiker. Es muss ein Austausch sein.

Skepsis ist aber auch ein recht guter Filter gegen Unsinn.

Friese: Selbstverständlich. Es gibt viel Unsinn, auch und vor allem in der Startup-Szene. Aber Skepsis und Bereitschaft zur Disruption schließen einander nicht aus, vor allem, da die Gründerszene ja wesentlich professioneller geworden ist. Einen gewissen Spielraum für das Verrückte muss man meiner Meinung nach allerdings schon lassen. Für Unsinn hat man auch gehalten, als ein schmaler Herr mit Glatze auf die Idee kam, Bücher online zu verkaufen.

Erwarten Sie eigentlich auch in der Logistik Insolvenzen?

Friese: Ja. Die Logistik ist derzeit ein Konsolidierungsmarkt. Das war hier in Deutschland lange Zeit nicht so, wohl auch, weil wir mehrere große Player haben. Aber ich frage mich, ob nicht doch eines Tages Maersk kommt und den ganzen Markt hier aufräumt. Oder vielleicht auch ein Start-up, das plötzlich mit zehn Milliarden Euro bewertet ist. Die Fiege-Familie weiß sehr genau, warum sie Xpress Ventures als Standbein für morgen ins Leben gerufen hat.

Sie haben das Fundraising angesprochen. Ist das für Logistik-Startups wirklich so schwierig?

Friese: Es wird ein bisschen besser, aber es bleibt ein großes Problem. In den USA, in Israel oder auch UK werden enorme Beträge allokiert und investiert, auch seitens der Regierungen. Tatsächlich ist doch auf dieser Welt so viel Geld vorhanden wie nie zuvor, vor allem auch bei diesen klassischen Familienunternehmen. Insgesamt nutzen wir das freie Kapital nicht gewinnbringend – weder für die Gesellschaft noch für die Unternehmer.

Wir geben Geld für so viel Unsinn aus, statt es in unsere Zukunft zu investieren, in Infrastruktur, Digitalisierung, digitale Bildung. Als Innovationstreiber und Exportweltmeister haben wir kein flächendeckendes Hochgeschwindigkeitsnetz – das darf doch nicht sein. Das ist arrogant und egoistisch gegenüber der nächsten Generation. Sie merken schon, bei diesem Thema kann ich mich wirklich echauffieren.

Ein emotionales Thema sind auch die Arbeitsbedingungen in der Logistik. Hier gibt es doch tatsächlich Verbesserungen in den Abläufen, der Arbeitsplatz-Ergonomie, auch durch Exoskelette.

Friese: Gerade die erinnern mich ein bisschen an Super-8-Video. Ich halte sie für einen Evolutionsschritt, den wir schnell überspringen werden. Am Ende wird es zum Beispiel beim Picking die vollständige Substitution durch Maschinen geben. Leider.

Und wir müssen dringend überlegen: Was machen wir dann mit den Kollegen und Kolleginnen, die zumindest an dieser Stelle nicht mehr gebraucht werden, weil ein Roboterarm ihre Arbeit erledigt? Mit den Taxifahrern, wenn die Autos autonom fahren? Mit den Menschen an der Supermarktkasse, wenn die Abbuchung automatisiert beim Ausgang erfolgt? In 30 Jahren werden wir fast nur noch gut ausgebildete Ingenieure, Kaufleute und Software-Entwickler brauchen. Transformation der Logistik und Transformation der Gesellschaft werden Hand in Hand gehen.

Diese Diskussion wird aber nicht entscheidend zielorientiert geführt. Ich habe daher große Sorge, dass wir den radikalen Parteien immer mehr Menschen in die Arme spülen, weil wir in der MItte der Gesellschaft auf diese Fragen nicht die richtigen Antworten finden. Sie als Österreicher wissen wohl recht gut, wovon ich spreche.

Zur Person

Digitalexperte Matthias Friese, selbst Gründer mehrerer Startups, ist seit dem Vorjahr Managing Partner des Berliner Company Builders Xpress Ventures. Das Unternehmen ist auf den Aufbau innovativer und disruptiver Start-ups spezialisiert – nicht nur, aber vor allem in der Logistik. Gegründet wurde Xpress Ventures 2019 vom Kontraktlogistik-Spezialisten Fiege.