Robotik : „Der Mensch wird keineswegs zurückgedrängt“

MIR Mobile Industrial Robots Thomas Visti
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dispo: Herr Visti, es gibt noch immer keine verbindliche Sicherheitsnorm, die für alle mobilen Roboter gilt. Was bedeutet das für Sie?

Thomas Visti: Es hat zur Folge, dass sich Hersteller, Integratoren und Anwender mobiler Roboter mit einer Vielzahl anderer Regulierungen behelfen müssen. Vor allem die europäische Norm EN 1525 kommt vor diesem Hintergrund zum Einsatz. Allerdings bezieht sich diese auf traditionelle FTS und Flurförderzeuge. Die sind meist größer und schwerer als unsere mobilen Roboter, weshalb sie striktere Sicherheitsvorkehrungen erfordern. Somit ist die Norm nur bedingt geeignet, um den Robotereinsatz zu regulieren.

Jetzt gibt es immerhin einen Entwurf.

Visti: Ja, der Normentwurf ISO/FDIS 3691-4 berücksichtigt erstmals auch die speziellen Eigenschaften mobiler Robotik – also beispielsweise ihre autonome Navigation. So kann er die Sicherheitsanforderungen an mobile Roboter wesentlich präziser definieren, als es die aktuelle Regulierungslage erlaubt. Tritt diese Norm in Kraft, dürfte dies die Risikobeurteilung autonomer Robotik-Applikationen beschleunigen und ihre Integration wesentlich erleichtern. Doch selbst dann ist zu erwarten, dass die technologischen Entwicklungen bald wieder weiter sein werden als der definierte Normenkontext.

Welche Eigenschaften muss ein autonomer Transportroboter denn aufweisen, um in Ihren Augen als sicher zu gelten?

Visti: Auf der einen Seite sind es die technologischen Eigenschaften des Roboters selbst, die seinen sicheren Einsatz im täglichen Werks- oder Lagerbetrieb ermöglichen. Dazu gehört in erster Linie seine Sensorik: Alle MiR-Roboter sind beispielsweise mit zwei Laser-Scannern ausgestattet, die ihnen eine 360-Grad-Sicht erlauben. Hinzu kommen zwei 3D-Kameras, mit denen sie auch Objekte in einer Höhe von bis zu 1,7 Meter wahrnehmen können. Die Schwerlastmodelle verfügen zusätzlich über 24 Näherungssensoren in jeder Ecke. Diese verhindern beispielsweise, dass sie Angestellten über den Fuß fahren oder mit am Boden liegenden Paletten kollidieren. Zudem sind unsere Roboter mit Geschwindigkeitsmessern und Gyroskop ausgestattet, die etwa bemerken, wenn die Räder auf rutschigem Boden ins Schlittern geraten.

Auch die Software spielt eine wichtige Rolle. Unsere Roboter lassen sich so programmieren, dass sie bestimmte Zonen meiden oder in stark frequentierten Bereichen langsamer fahren. Mit akustischen und visuellen Signalen machen sie außerdem auf sich aufmerksam, sodass Mitarbeiter sie gar nicht übersehen können.

Und welche Features sind durch Normen vorgegeben?

Visti: Es gibt obligatorische Sicherheitsfunktionen, die im Falle eines Defekts greifen. Die ISO-Norm 13849-1 schreibt die vier Funktionen Nothalt, Schutzfeldumschaltung sowie Personenerkennung und Geschwindigkeitsüberwachung für alle mobilen Roboter vor. Für Roboter mit höherer Traglast definiert sie noch weitere Funktionen. Es ist diese Kombination aus leistungsstarker Sensorik, Software und integrierten Sicherheitsfunktionen, die einen sicheren Einsatz mobiler Transportroboter gewährleistet.

Bedeutet das Zurückdrängen des menschlichen Faktors in diesem Bereich a priori eine Verbesserung der Sicherheit?

Visti: Der Mensch wird durch kollaborierende Roboter keineswegs zurückgedrängt! Im Gegenteil: Kollaborierende Roboter, zu denen wir auch unsere MiR-Roboter zählen, gehen dem Menschen unterstützend zur Hand – das ist Sinn und Zweck ihres Daseins. Sie entlasten ihn von beschwerlichen, ergonomisch oft ungünstigen Aufgaben und tragen so dazu bei, die Gesundheit der Mitarbeiter langfristig zu erhalten.

Bestimmt werden Arbeitsumgebungen sicherer, wenn mobile Roboter Hubwagen und Gabelstapler zunehmend ersetzen, zumal gerade letztere häufig in Unfälle verwickelt sind. Es geht aber nicht darum, den menschlichen Faktor in zeitgenössischen Produktions- und Lagerhallen zu minimieren.

Kooperieren Sie im Sicherheits-Bereich mit Ihrem Mitbewerb? Auch im Sinne gemeinsamer Standards?

Visti: Alle Hersteller sind sich darin einig, dass mobile Roboter sicher neben dem Menschen navigieren können müssen. Aber darüber, wie diese Sicherheit konkret aussieht, besteht kein Konsens. Umso wichtiger sind ja objektive Standards: Wir bei MiR beteiligen uns an der Weiterentwicklung der aktuellen Normenlage und arbeiten dabei mit einschlägigen Instituten wie ISO oder UL zusammen.

Bedarf es spezifischer Schulung der Mitarbeiter?

Visti: Nicht im Sinne intensiver Trainingsmaßnahmen. Wichtig ist vor allem, alle Mitarbeiter bei der Einführung neuer Robotertechnologien abzuholen und deutlich zu machen, inwiefern die ‚neuen Kollegen‘ sie in ihrem Arbeitsalltag unterstützen können. Und wir arbeiten kontinuierlich an einer möglichst einfachen Bedienbarkeit unserer Roboter. Darin erkennen wir auch einen allgemeinen Trend am Markt.

Wie können Integratoren die Sicherheit in diesem Bereich erhöhen?

Visti: Ein sicherer Robotereinsatz ist grundsätzlich immer eine Frage des Zusammenspiels aller Beteiligten: Der Anbieter liefert ein einwandfreies Produkt, das gängigen Sicherheitsstandards entspricht. Der Integrator trägt Sorge für eine korrekte Integration der Gesamtapplikation in das zukünftige Einsatzumfeld. Dabei hat er nun die Kombination von Roboter, Aufsatzmodul, Ladestation und eventuell auch weiteren Add-ons im Blick und stellt ihre CE-Konformität sicher.

Dies geschieht im Rahmen einer umfassenden Risikobeurteilung, bei der er auch potenzielle Gefahrenquellen im Einsatzumfeld antizipiert. Er programmiert den Roboter so, dass er in möglichen riskanten Situationen den Sicherheitsstandards entsprechend reagiert. Zudem sollte der Integrator alle Informationen zu Anwendung, Wartung, Instandhaltung und möglichen Restrisiken so dokumentieren, dass sie für den Anwender klar ersichtlich und verständlich sind. Dieser wiederum hat es also mit einer äußerst sicheren, geprüften Robotik-Applikation zu tun.

Wenn man davon ausgeht, dass autonome Roboter künftig mit KI verknüpft werden: Werden dann die Asimov-Gesetze gelten?

Visti: Das ist grundsätzlich eine spannende Frage. Isaac Asimov postulierte ja mit seinen drei Robotergesetzen zusammengefasst, dass Roboter Menschen keinen Schaden zufügen dürfen, Befehle zu befolgen und ihre eigene Existenz zu schützen haben. Diese Postulate wurden vielfach popkulturell referenziert – doch sie fußen auf einer Vorstellung von KI, die mit der aktuell real eingesetzten wenig gemein hat. Dazu sei gesagt, dass verschiedene Formen der Computerintelligenz in der modernen Robotik schon heute zum Tragen kommen.

Auch wir nutzen mit dem Bildverarbeitungssystem MiR AI Camera Machine-Learning-Algorithmen, die den Robotern eine differenzierte Objekterkennung erlauben. Dabei geht es jedoch darum, dass der Roboter ein Problem, das wir ihm vorgeben, mithilfe der KI auf bestmögliche Weise löst. Er ist dadurch nicht automatisch befähigt, zu reflektieren und beispielsweise selbst neue Problemstellungen zu identifizieren. Die Vorteile künstlicher Intelligenz nutzen wir in anderen Bereichen, wie Routenfindung oder Navigation.