Interview : „Intuition und Erfahrung bleiben entscheidend“

Managing Director European Logistics Günter Hirschbeck
© Dachser

dispo: Herr Hirschbeck, Dachser hat vor 15 Jahren seine erste Österreich-Niederlassung eröffnet. Warum eigentlich?

Günter Hirschbeck: In der 1990er-Jahren fiel die strategische Entscheidung, aus einer nationalen deutschen Spedition ein europäisches Netzwerk zu formen. Dachser unterhielt damals in Österreich schon eine jahrelange Partnerschaft mit Schachinger, und es ergab sich die Chance, deren Stückgut-Sparte zu übernehmen. Ab 2004 war Österreich dann eines von mehreren Ländern, die sukzessive aufgeschaltet wurden. Dachser betreibt heute im Schnitt alle 200 Kilometer eine Niederlassung.

Welche Funktion hat Österreich?

Hirschbeck: Einerseits ist Österreich per se ein interessanter Markt. Aber das Land hat natürlich auch eine Funktion als Brückenkopf: Erfolgreiche Stückgut-Logistik benötigt ein sehr engmaschiges Netz, und Österreich bietet sich als Transitstelle für Transporte in Richtung Osteuropa und Balkan einfach an.

Wie sehen Sie denn diese 15 Jahre?

Hirschbeck: Wir haben stetiges Wachstum erlebt. Vor allem konnten wir eine gewisse Paarigkeit erreichen: Den großen Volumina etwa aus Westeuropa entsprechen immer mehr auch die zurückgeladenen Volumina. Wir haben für die Stückgut-Logistik neue Produkte eingeführt mit geregelten Laufzeiten und täglichen Abfahrten nach ganz Europa. Wir benutzen dabei Begegnungsverkehre mit Jumbowechselbrücken mit Doppelstockfähigkeit, das ist optimal für die Kombination von verschiedenen Stückgütern, auch in der Ladungssicherung.

Gerade in Ihrem Bereich ist die Planung sehr herausfordernd. Welche Bedeutung haben denn Digitalisierung und Forschung für Sie?

Hirschbeck: Im Massengut-Geschäft herrscht natürlich besonders hohe Volatilität, daher ist Vorhersagbarkeit für uns besonders wertvoll. Dachser hat den Vorteil, dass wir von Beginn an auf Digitalisierung gesetzt haben, mit eigener Konzern-IT. Die Software für Transport- und Warehouse-Management produzieren wir prinzipiell selbst, ebenso etwa für die Integration von Übersee-Supply-Chains.

Aber selbstverständlich werden noch viel interessantere Dinge möglich sein. Wir arbeiten mit Fraunhofer in Deutschland seit zwei Jahren an einem Projekt zum Thema Big Data und Predictive Analytics. Dabei spielen wir Original-Daten aus der Vergangenheit ein, modellieren daraus die Volumina und die Warenströme und vergleichen die Ergebnisse dann mit dem, was tatsächlich geschehen ist. Was wir bisher sehen, ist äußerst vielversprechend: Die Ergebnisse liegen bereits erstaunlich nahe an der Realität. Wir werden also immer besser in die Lage versetzt, unsere Mitarbeiter mit Vorhersage-Daten zu unterstützen.

Ist das dann das Ende des berühmten „Bauchgefühls“ der Disponenten?

Hirschbeck: Nein, bestimmt nicht. Ich denke, dass unsere Mitarbeiter in Zukunft durchaus neue Fähigkeiten brauchen, um mit diesen Informationen umzugehen, sie richtig deuten zu können. Doch die letzten 20 oder 30 Prozent werden auch in Zukunft von Mitarbeitern bewältigt werden. Gerade in der Stückgut-Logistik, in der ja viele Komponenten aufeinandertreffen, werden Intuition und Erfahrung der Logistiker weiterhin entscheidend sein.

Das gilt übrigens auch in die Gegenrichtung. Auf der Forschungs- oder IT-Seite benötigt man immer mehr Logistiker, die beurteilen können, ob das, was die IT hervorbringt, in der Praxis auch nützlich ist.

Digitalisierung ist aber auch in den Warenhauses ein spannendes Thema. Hier kann man prozesstechnisch noch einiges bewegen, möglicherweise auch verbunden mit autonomen Palettenförderern. Hier haben wir einiges im Test, bis hin zu Exoskeletten.

Fühlen Sie sich von digitalen Plattformen bedrängt?

Hirschbeck: Ginge es nur darum, Waren von A nach B zu transportieren, wäre das tatsächlich ein Mitbewerb. In unserem Bereich, in Netzwerken mit zahlreichen Schnittstellen, taugen diese Systeme nicht.

Apropos Mitarbeiter: Wie geht es Ihnen mit dem Fachkräftemangel?

Hirschbeck: Wir spüren, dass die Ressourcen am Arbeitsmarkt knapper werden, vor allem im Bereich des gewerblichen Personals. Und wir müssen offen sagen: Das Berufsbild etwa des Lkw-Fahrers ist für junge Menschen heute nicht das attraktivste.

Wie wollen Sie das ändern?

Hirschbeck: In Deutschland ist Dachser schon vor Jahren in die Fahrerausbildung eingestiegen, und nun setzen wir das Modell auch in Österreich um. In den größeren Niederlassungen gibt es einen Fuhrparkmanager und meist auch einen Fahrertrainer. Seit dem Vorjahr bilden wir selbst Berufskraftfahrer-Lehrlinge aus, da sind wir wirklich Pioniere.

Und wo finden Sie die?

Hirschbeck: Zu Beginn haben wir vor allem in die eigenen Reihen gehorcht. Und wir treten mittlerweile auch regelmäßig bei Jobmessen auf, wobei uns das positive Feedback selbst überrascht. Dass unser Ruf als Ausbildner nicht der schlechteste ist, hilft natürlich.

Dachser hat generell das Employer Branding zu einer Kernkompetenz gemacht. Wobei wir auch lernen mussten, dass man gewerbliche Mitarbeiter mit anderen Argumenten, mit anderen Bildern ansprechen muss als kaufmännische oder IT-Mitarbeiter. Wir suchen im Recruiting vermehrt nach Mitarbeitern, die nicht nur fachlich gut sind, sondern die auch soziale Kompetenz haben. Dass die klassischen Schul-Kenntnisse tendenziell zurückgehen, ist ja ein offenes Geheimnis. Aber ich stehe auf dem Standpunkt: Wenn ein junger Mensch sozial kompetent ist, dann können wir ihm den Rest schon beibringen.

Kann Digitalisierung das Berufsbild attraktivieren?

Hirschbeck: Ja, definitiv. Digitalisierung wird immer stärker auch in die Fahrerkabine einziehen, und das kommt natürlich der Affinität der jüngeren Generationen zu diesem Thema entgegen. Das Berufsbild wird also moderner, spannender. Übrigens auch in Richtung der Frauen. Unsere Kollegen in Deutschland haben derzeit über hundert Auszubildende in diesem Lehrberuf, und davon sind rund 20 Prozent junge Frauen. Das ist sehr viel, solche Zahlen geben uns wirklich Mut.

Autonomes Fahren wird den Fahrermangel wohl eher nicht lösen?

Hirschbeck: Ich höre die Experten auch, die verkünden, dass es diesen Beruf ohnehin bald nicht mehr geben werde. Ich sage Ihnen: Auf dem Lkw wird immer ein Fahrer sitzen. Da ist weit und breit keine andere Lösung in Sicht.

Blutet einem Logistiker angesichts Entwicklungen wie Brexit oder neuen Handelsbeschränkungen eigentlich das Herz?

Hirschbeck: Natürlich. Logistik ist per definitionem weltumspannend, sie verkettet alle anderen Prozesse und basiert auf Kooperation. Und die Logistik verfügt über Wissen und über Daten, die Einblicke liefern, die vielleicht zu besseren Entscheidungen führen könnten. Dass unsere Branche in der Politik tatsächlich noch nicht das Gehör findet, das sie finden sollte, schadet letztlich wohl allen.