Demand Forecasting : KI in der Praxis bei der Lieferkettenplanung

Der Krisenmodus ist im Supply Chain Management zur Normalität geworden: Die Handelskriege zwischen China und den USA, COVID-19, die Ever Given im Suezkanal, der russische Angriffskrieg und nicht zuletzt Cyber-Attacken sorgen für immer neue Störungen der Supply Chains. Eindrücklich zeigt das der Supply Chain Stability Index von KPMG und der internationalen Branchenvereinigung Association for Supply Chain Management (ASCM). Während im Zeitraum zwischen der Weltwirtschaftskrise (2008) und dem Jahr 2014 lediglich vier Ausnahme-Events dokumentiert sind, sind es in den darauffolgenden 10 Jahren mehr als 60.
Oft haben kleine Ursachen lange Nachwirkungen – etwa die gestiegenen Frachtraten durch die Lage im Roten Meer. Für produzierende Unternehmen erschwert diese Instabilität das Bestandsmanagement und erhöht das Risiko von Kapitalbindung, Stock-outs und Sonderkosten. Vor diesem Hintergrund ist KI-basiertes Demand Forecasting ein wichtiger Hebel im erfolgreichen Lieferkettenmanagement.
Excel & Co. – kein verlässlicher Blick in die Glaskugel
Noch immer nutzen 73 Prozent der Unternehmen für ihre Planungsprozesse Excel oder Basisfunktionalitäten von ERP-Software. Diese Tools basieren auf klassischen Methoden, die einfach implementierbar und verständlich sind. Da sie nur geringe Anforderungen an die Daten stellen, lassen sie sich bereits mit wenigen historischen Daten anwenden – ein vermeintlicher Vorteil, weil Daten noch immer unzureichend gesammelt und verwaltet werden. Klassische Methoden nutzen oft Zeitreihen: Gleitende Durchschnitte, exponentielle Glättung oder generalisierte Saisonalitätsanpassungen sind in der Lage, mit wenigen historischen Informationenzu planen – allerdings nur kurzfristig. Daneben kommen auch Regressions- und Kausalanalysen zum Einsatz, die darauf abzielen, die Faktoren zu identifizieren und zu quantifizieren, die die Nachfrage beeinflussen, um fundierte Entscheidungen in der Bedarfs- und Produktionsplanung zu ermöglichen. Und nicht zuletzt kommt auch die menschliche Erfahrung zum Einsatz, beispielsweise in Form von Vertriebsprognosen oder von Experten- und Kundenbefragungen.
KI: Autopilot in turbulenten Zeiten
Jedoch sind die Funktionen solcher Programme begrenzt und sie eignen sich nur bedingt für das Demand Forecasting, das sich stark auf Daten und statistische Methoden stützt, um die künftige Nachfrage vorherzusehen. Hingegen können KI-Algorithmen große Datenmengen schneller und genauer analysieren als menschliche Analysten. Sie identifizieren komplexe Muster und Zusammenhänge, die für Menschen möglicherweise nicht offensichtlich sind. Darüber hinaus verarbeiten moderne Systeme Daten wesentlich schneller in Echtzeit. Anomalien und Trends lassen sich so frühzeitig erkennen, was eine produktive Anpassung der Bestände ermöglicht. Algorithmen lernen kontinuierlich aus neuen Daten und passen sich dynamischen Marktbedingungen an, wodurch die Vorhersagen entsprechend präziser werden. Auf diese Weise erreichen KI-basierte Prognosesysteme heute eine Genauigkeit von bis zu 99 Prozent. Die Technologie wirkt also wie ein Autopilot, der Unternehmen sicher durch die ständigen Turbulenzen der globalen Lieferketten navigiert. Inmitten von Störungen und Marktdynamiken sorgt sie dafür, dass Unternehmen auf Kurs bleiben, sich rasch anpassen und ihre Resilienz langfristig stärken können, ohne den Überblick zu verlieren.
Fehlannahmen stehen Fortschritt im Weg
Nach dem Hype um generative KI, wie ChatGPT, sind Unternehmen bezüglich des Einsatzes noch recht konservativ. Laut Bitkom setzt erst 29 Prozent der Unternehmen die Technologie ein. Hier liegt oft die Fehlannahme zugrunde, dass KI-Einführungen ressourcenaufwendig seien. Unternehmen fürchten, dass KI-Projekte nicht einfach durch einen Dienstleister, sondern zusätzlich von Fach- und IT-Abteilungen sowie von externen Berater:innen gestützt werden müssen und schließlich doch scheitern, weil die Datengrundlage mangelhaft sei. Zugegeben: Daten sind gerade in fragmentierten Lieferketten eine Herausforderung. Doch für den wertschöpfenden Einsatz von KI ist ein kleiner Datensatz kein Hinderungsgrund. Bereits wenige historische Basisdaten reichen in der Regel aus: Produktart, Verkaufsmenge und -zeitpunkt der letzten beiden Jahre. Auch die Datenqualität muss nicht herausragend sein – sie mittels externer Einflussfaktoren, Branchenspezifika und maßgeschneiderter Data Science zu veredeln und mit dem passenden Machine-Learning-Modell zu koppeln, ist Aufgabe des Technologieanbieters. Somit lassen sich bestehende Prognosen schnell um 20 bis 30 Prozent verbessern.
Schnell einsatzfähig und nachvollziehbar
KI-Technologien für Demand Forecasting sind längst wesentlich zugänglicher und benutzerfreundlicher geworden. Die Implementierung solcher Lösungen erfordert weder langwierige Beratungsprojekte noch hohe technische Hürden. Tatsächlich können Unternehmen bereits innerhalb von zwei bis vier Wochen ihre ersten KI-gestützten Prognosen erstellen. Dieser Prozess verläuft effizient und ressourcenschonend: Weder müssen eigene Data Scientists eingestellt noch erhebliche interne Ressourcen aufgewendet werden. Diese Entwicklung macht KI-basiertes Demand Forecasting für eine breitere Palette von Unternehmen praktikabel.
Eine berechtigte Sorge bei der Einführung von KI für Demand Forecasting ist die mögliche fehlende Akzeptanz der Technologie bei den Mitarbeitenden. Mit anderen Worten: Welchen Nutzen bringt die Investition in die Technologie, wenn die Fachkräfte weiterhin primär auf ihre persönliche Erfahrung vertrauen?
Das führt uns zurück zum Bild des Autopiloten, denn dieser wird nicht nur als verlässlich wahrgenommen, sondern fälschlicherweise oft auch mit Kontrollverlust assoziiert. Das ist ein Missverständnis, denn Technologie übernimmt nicht die Kontrolle, sondern unterstützt den Menschen dabei, sicher durch turbulente Zeiten zu navigieren, indem sie proaktiv auf Veränderungen reagiert. Die Entscheidungsmacht bleibt weiterhin beim Menschen. Wenn es darum geht, die KI-Einführung zum wertschöpfenden Erfolg zu machen, spielen zwei Schlüsselfaktoren eine zentrale Rolle: die Nachvollziehbarkeit der Prognosen und die Transparenz über die genutzten Einflussfaktoren. Die von der KI generierten Prognosen müssen für die Mitarbeitenden verständlich und nachvollziehbar sein. Es ist wichtig, dass die Technologie nicht als „Black Box“ wahrgenommen wird, sondern dass die Logik hinter den Vorhersagen erklärt werden kann. Es muss klar ersichtlich sein, welche Faktoren die einzelnen Prognosewerte beeinflussen. Diese Transparenz ermöglicht es den Mitarbeitenden, die KI-gestützten Ergebnisse kritisch zu hinterfragen und mit ihrer eigenen Expertise abzugleichen. Sind diese beiden Aspekte – Nachvollziehbarkeit und Transparenz – gegeben, bietet die KI-Lösung eine Entscheidungsgrundlage, die von den Mitarbeitenden akzeptiert und effektiv genutzt wird.
Praxisbeispiele für Demand Forecasting
In der Praxis zeigt sich, dass KI-gestütztes Demand Forecasting nicht allein im Bestandsmanagement hilft, sondern auch nachhaltige Verbesserungen für die gesamte Wertschöpfungskette zu erzielen kann.
Beispielsweise stand ein Automobilzulieferer, der sowohl OEMs als auch den Aftermarket bedient, vor komplexen Planungsherausforderungen: Unvollständige Zeitreihen durch neue Produkte und das volatile Bestellverhalten der OEMs erschwerten die Prognosegenauigkeit. Der bisherige manuelle Planungsprozess mit Tabellenkalkulationsprogrammen war zeitaufwendig, ungenau und führte zu Über- und Fehlbeständen, was unnötige Kosten und Lieferengpässe verursachte. Mit der Einführung eines KI-Systems wurden maßgeschneiderte Vorhersagen entwickelt, die von der Baureihen- bis zur SKU-Ebene reichen und durch Filter wie Werke oder Materialtypen strukturiert sind. Die monatlichen Prognosen erreichen eine Genauigkeit von bis zu 95 Prozent, was dem Kunden eine präzisere Planung, optimierte Lagerbestände und effizientere Entscheidungen ermöglicht.
Bei einem Unternehmen aus der Reifenlogistik, das jährlich Millionen Reifen ausliefert, waren die Excel-basierten Prognosen für den Warenausgang und die daran angeschlossene Personal- und Ressourcenplanung zu zeitaufwendig und ungenau. Mit der Implementierung einer maßgeschneiderten KI-Lösung konnten tägliche und wöchentliche Forecasts erstellt und Prognosefehler um 18 Prozent reduziert werden. Dabei wurden historische Absatzdaten und Faktoren wie Feiertage, Wetter und saisonale Schwankungen integriert. Automatisch aktualisierte Vorhersagen minimieren den manuellen Aufwand und ermöglichen eine bessere Ressourcenplanung sowie schnelle Reaktionen auf Nachfrageschwankungen. Die Erfolge motivieren den Kunden, KI auch in weiteren Bereichen einzusetzen, was seine Wettbewerbsfähigkeit stärkt und die Betriebseffizienz nachhaltig steigert.
