Innovation : Warum Exoskelette die Zukunft sind

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Wenn es um das Thema Exoskelette geht, kann sich die persönliche Meinung sehr schnell ändern – je nachdem, mit welchem Experten man gerade spricht. Schließlich befindet sich die Technologie noch in einem recht frühen Forschungsstadium. Hinzu kommt, dass verschiedene Einrichtungen an sehr unterschiedlichen Formen arbeiten und man nicht von dem einen Exoskelett sprechen kann.

So häufen sich mit Kinderkrankheiten in der Entwicklung und ersten Fehlschlägen bei Pilotprojekten auf einmal sehr viele Gegenargumente an, die den Eindruck vermitteln, Exoskelette seien wirklich keine gute Idee. Doch eines haben alle Gegenargumente gemeinsam: Sie beschreiben nichts Unüberbrückbares, nichts, das nicht durch Weiterentwicklung besser gemacht werden könnte.

https://youtu.be/GH3vVUUQDT4

Für Yaro Tenzer zum Beispiel, Mitbegründer des Bostoner Robotik-Unternehmens RightHand Robotics, sind Exoskelette nur eine temporäre Lösung. „Das Letzte, was ein Mensch beim Schleppen schwerer Ladung um fünf Uhr Früh braucht, ist mehr Gewicht.“

Kinderkrankheiten sind eine Zeitfrage

Damit mag er schon recht haben – doch kann etwas, das gerade erst am Anfang seiner Entwicklung steht und jedes Jahr Verbesserungen aufweist, überhaupt eine temporäre Lösung sein? Sind Exoskelette nicht vielmehr die Lösung der Zukunft, für die es eben noch etwas Zeit braucht?

Denn was sind die Umstände, die wir mit ziemlicher Sicherheit voraussagen können? Da wäre zum einen die immer älter werdende Bevölkerung. Junge Fachkräfte rücken in die technisch-digitalen Berufe nach, doch es braucht auch Mitarbeiter für körperlich anstrengende Aufgaben. Werden die Pensionsantrittsalter immer weiter nach hinten verschoben – worauf derzeit einiges hindeutet -, werden mehr ältere Menschen als jetzt Berufe mit physischer Belastung ausüben. Und es sind gerade ältere Menschen, die solchen Belastungen aber schlechter standhalten können.

Ein weiterer Umstand, der sich bereits jetzt bemerkbar macht und dessen Abklang nicht am Horizont vermutet werden kann, sind höhere Volumen in den Lagern. Gründe dafür gibt es einige – größere Liefermengen aufgrund höherer Bautätigkeiten, möglich gemacht durch immer schnellere und besser vernetzte Transportwege; eine stärker einkaufende, weil wachsende Mittelschicht, für die produziert werden muss; und ein den stationären Handel zunehmend verdrängender Onlinehandel. Unterm Strich ergibt das simpel gesagt mehr Hebetätigkeiten.

Nun stellt sich die berechtigte Frage: Aber gibt es eben für solche Tätigkeiten nicht Nutzfahrzeuge – welche sogar immer autonomer werden – und Lagerroboter? Jein. Bei allgemeinen Hebetätigkeiten können Maschinen bereits viel übernehmen, doch gerade das Herausheben aus Kartonagen oder das Bücken, um etwas aus einem unteren Regalfach herauszuholen, ist noch etwas zu komplex für den Cobot.

Alte Menschen, Cobots, und Maschinen zum Anziehen

Es wäre also praktisch, wenn ein Roboter die Ware hochheben könnte, um den menschlichen Körper zu entlasten, doch gleichzeitig wäre es gut, wenn der Roboter so schnell und flexibel wäre wie der Mensch. Genau hier setzt das Exoskelett an – es verbindet das Beste aus beiden Welten.

Hier wird ganz allgemein zwischen aktiven und passiven Apparaturen unterschieden. Passive Exoskelette unterstützen rein mechanisch, etwa durch ein Feder- oder Seilzugsystem. Schon so kann die Belastung beim Heben um bis zu 40 Prozent reduziert werden.

Aktive Exoskelette liefern zusätzliche Kraft durch Elektromotoren. Genau hier muss allerdings Tenzers Gegenargument bedacht werden: Motoren und Akkus machen alles schwerer.

Doch genau das ist ein Punkt, an dem gearbeitet werden kann – Batterien werden schließlich mit jedem Jahr leistungsfähiger und leichter.

Ein Beispiel in die richtige Richtung ist hier die „Stuttgart Exo Jacket“ des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnik und Automatisierung. Die motorisierte Jacke soll Menschen bei typischen Tätigkeiten in der Logistik oder Montage unterstützen und speziell Arme und Lendenwirbelsäule entlasten. Damit auch schnelle Bewegungen möglich sind, werden leichte Motoren mit hohen Drehzahlen eingesetzt. Da die Energiefrage oft zu mehr Gewicht führt – größere Akkus wiegen mehr, kleinere halten kürzer -, arbeitet die Jacke intuitiv. Das heißt, sie erkennt über Sensoren, wann ihre Unterstützung gebraucht wird. Das reduziert den Energieverbrauch.

Jacke mit Drehzahl

Viel Lärm um wenig Nutzen? Mitnichten. Belastungsspitzen in der Belegschaft sind weder Mythos, noch Ausnahmesituation, sondern können in einem Logistikbetrieb zwischen Prevail und Fail entscheiden. Die mit Abstand meisten Arbeitsunfähigkeitstage in Deutschland sind auf Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems zurückzuführen – 2018 waren es 21,8 Prozent, Tendenz in den letzten Jahren leicht steigend. Am meisten betroffen ist hier der Rücken, im Schnitt fällt ein Mitarbeiter dann 18 aus.

Laut einer Berechnung des Fraunhofer IPA ergebe das bei etwa 125 Millionen Ausfalltagen im Jahr einen Wertschöpfungsausfall von 22,7 Milliarden Euro.

Mit diesen Zahlen im Hinterkopf verwundert es plötzlich gar nicht mehr, wie viele Institutionen an der Weiterentwicklung arbeiten – wobei weite Forschungsbereiche sich eher auf medizinische denn produktionslogistische Zwecke spezialisieren – und auch nicht, wie viele Unternehmen bereits, trotz hoher Anschaffungskosten, ihr Glück mit Exoskeletten versuchen. In die Liste ordnen sich Audi, der niederländische Logistikdienstleister Geodis, BMW, Airbus und auch DB Schenker ein.

https://youtu.be/k8izeUGzdio

Erst diese Tage hat der Logistik-Geschäftsbereich der Deutschen Bahn einen großen Piloteinsatz von Exoskeletten beendet – und lässt positive Ergebnisse verlautbaren. „Sie sollen es unseren Mitarbeitern ermöglichen, körperlich anstrengende Hebearbeiten gesundheitsschonender und mit geringerer Ermüdung durchzuführen“, sagt Gerald Müller, Vizepräsident für Prozess- und Effizienzmanagement bei DB Schenker, nachdem die Skelette an mehreren Standorten ausprobiert wurden.

So würden weniger Mitarbeiter krankheitsbedingt ausfallen und besonders bei älteren Mitarbeitern zeige sich ein Vorteil. Die „Anzüge“ registrieren über Sensoren die Körperbewegungen und unterstützen, wo nötig, bei gleichzeitiger Entlastung der Gelenke und Knochen.

Ob die Exoskelette in den Regelbetrieb aufgenommen werden, soll sich erst nach einer eingehenden Analyse zeigen. Doch bei der derzeitigen Begeisterung ist ein völliger Verzicht DB Schenkers auf die helfenden Anzüge schwer vorstellbar. Vielleicht ist es im Endeffekt eine Geldfrage. Doch hier wird es sich wie beim Gewicht verhalten – mit der Weiterentwicklung wird alles leichter.