Coronavirus : Warum in der Logistik nach Corona nichts mehr so sein wird wie zuvor
Derzeit kommt es zu erheblichen Wartezeiten und Verzögerungen im Bereich des Straßengüterverkehrs, die vor allem auf die strengen Grenzkontrollen durch österreichische Beamte an den Landesgrenzen zurückzuführen sind. Darüber hinaus lehnen es viele Frachtführer ab, Waren nach Italien zu transportieren, da sie fürchten, sich selbst mit dem Coronavirus anzustecken. „Wie in China, haben wir auch Probleme im Vor- und Nachlauf, weil die LKWs teilweise die Regionen nicht mehr anfahren können oder die LKW-Fahrer nicht verfügbar sind.“, analysiert Andreas Breinbauer, Rektor der FH des BFI Wien und Leiter der Studiengänge Logistik und Transportmanagement. Bislang aber schaffen es die Industrie- und Transportwirtschaft die Lieferketten für kritische Versorgungsgüter aufrecht zu erhalten.
In Deutschland, wo die Wartezeiten für LKWs an den Grenzen zu Polen besonders lang sind, hilft die Deutsche Bahn mit dem Gütertransport der in den Supermärkten benötigten Lebensmittel aus. Auch in Österreich ist der Warentransport der wichtigsten Versorgungsgüter per Zug laut den ÖBB gewährleistet. Trotz der derzeitigen Krisensituation versichert die ÖBB die Aufrechterhaltung der Güterverkehr-Verbindungen innerhalb Österreichs und nach Europa. Auch wenn infolge der Coronavirus-Krise der Gütertransport-Bedarf mancher Branchen gesunken ist, werden gerade Lebensmittel aktuell laut ÖBB zum Teil sogar in einem stärkeren Ausmaß transportiert. An der Grenze zur Slowakei, Tschechien und zu Italien kommt es zu Lok- und Lokführerwechseln und zu Desinfektions- und Reinigungsmaßnahmen um die weitere Ausbreitung des Virus per Schiene zu verhindern.
Speditionen stellen Forderungen an die Politik
Einige Speditionsfirmen beunruhigen die strengen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie, da diese den notwendigen Warentransport verzögern würden. „Bei allem Verständnis für Vorsichtsmaßnahmen muss im Interesse der Versorgungssicherheit der österreichischen- und europäischen Bevölkerung der Transport von Waren gesichert werden", so Alexander Friesz, Präsident des Zentralverbandes Spedition und Logistik.
Ein erstes Maßnahmenpaket der österreichischen Bundesregierung, das die Aussetzung von Sonntagsfahrverboten sowie geltender Lenk- und Ruhezeiten verordnete, wurde bereits verabschiedet, was auch vom Zentralverband für Spedition und Logistik begrüßt wurde.
Kostenanstieg im Flugfrachtverkehr
„Im Bereich des Frachtverkehrs werden derzeit nur Nottransporte durchgeführt. Hier ist auch der Luftfrachtverkehr massiv betroffen, da die Frachtmöglichkeiten über Passagierflugzeuge quasi nicht mehr existent sind.“, sagt Gerald Schönwetter, Professor für Supply Chain Management am Logistikum der FH Oberösterreich in Steyr. Eine Folge dieser Entwicklung sind steigende Frachtkosten und die fehlende Möglichkeit, dringend benötigte Güter über weite Strecken und in kurzer Zeit zu transportieren. Die künftige Entwicklung der Frachtpreise stellt nach Andreas Breinbauer ein unberechenbares Element dar: „Der größte Teil der Luftfracht wird im Unterflurfrachtraum der Passagier-Flugzeuge („Belly“) transportiert, in dem diese Kapazität verloren geht und wenn die Nachfrage steigt, explodieren die Frachtpreise, wie vor noch ein paar Wochen, als die Frachtpreise zwischen China und Europa ein Vielfaches des Normalpreises ausgemacht haben.“
Schließung von Reedereien und Häfen
Immer mehr Häfen können unterdessen nicht mehr angesteuert werden. Viele italienische Häfen wurden nach dem flächendeckenden Ausbruch des Coronavirus geschlossen, wie etwa der Hafen von Genua. Im Bereich der Frachtschiffe meldet der Hamburger Dienstleister Container XChange, dass Frachtcontainer derzeit in Europa knapp würden, während sich in chinesischen Reedereien die Container stapeln. Die Auswirkungen der Corona-Krise im Bereich der Schifffahrt waren laut Schönwetter bislang noch kaum spürbar. Das könnte sich aber bereits in den nächsten Tagen und Wochen ändern: Wegen der langen Dauer, die die Schiffe von China nach Europa unterwegs sind, beginnen erst jetzt wichtige Güter zu fehlen, die normalerweise mit dem Schiff aus China ankommen. Laut Breinbauer wird es in nächster Zeit zu Lieferengpässen in den Bereichen der Elektronikindustrie, der optischen Industrie, sowie in der Pharmabranche kommen.
Was kann man bei Einbrüchen der eigenen Lieferkette tun?
Derzeit leiden viele Unternehmen darunter, dass die Lieferketten an logistischen Knotenpunkten wie Häfen oder Flughäfen unterbrochen werden. Laut Florian Lucker, Lehrender an der Cass Business School sind derzeit Unternehmen im Vorteil, die sich bereits vor dem Ausbruchs der Krise um belastbare Lieferketten gekümmert haben und die zusätzliche alternative Verkehrswege vertraglich vereinbart haben. Ein Vorbild könnten sich Unternehmen in Zukunft an pharmazeutischen Lieferketten nehmen, die in der Regel bei Lieferausfällen genug Alternativen aufweisen können. Hinzu kommt, dass die Auswirkungen der Krise kaum jemand vorhersagen oder in sein Risikomanagement miteinbeziehen konnte, da ein derartiges Ereignis schlicht noch nie da gewesen war. Dazu Schönwetter: „Bereits seit dem Reaktorunglück in Japan 2011 haben sich viele Unternehmen bereits zunehmend mit dem Thema „Supply Chain Risk“ beschäftigt, aber ein Ereignis wie die derzeitige Krise war nicht einmal vorsellbar und somit nicht im Rahmen einer herkömmlichen Risikobewertung miteinzubeziehen.“ Auch deswegen sind die derzeitigen Auswirkungen des Corona-Virus auf die gesamte Weltwirtschaft so dramatisch.
Lernen aus der Krise?
Der Mangel an Medizinprodukten hat Europa schmerzlich vor Augen geführt, dass die alleinige Strategie globaler Güterketten in Krisenzeiten problematisch sein kann. Aber wird Corona zu einem tiefgreifenden Umdenken im Bereich des globalen Handels führen, oder wird man nach einem Ende der Krise im Bereich der Wirtschaft einfach wieder zum Tagesgeschäft übergehen? Logistik-Denker Schönwetter glaubt an einen Perspektivenwechsel der Logistik im Bereich von Lieferketten: „Wenn diese Krise zu Ende geht, werden wir in der Wirtschaft ein bisschen anders denken als wir das zuvor getan haben.“ Auch Breinbauer teilt die Meinung, dass man nach einem Abflauen der Krise in bestimmten Bereichen einen Wandel erleben wird: „Ich denke, dass man bestimmte Logistikthemen nach der Krise hinterfragen wird. Die Frage der Sicherheitsbestände, die Frage der Diversifikation der Sourcing Möglichkeiten auf Unternehmensebene. Und politisch, das zeigt sich ja jetzt schon, wird es darum gehen, wie die Abhängigkeit in den Lieferketten bei Medizin- und Pharmaprodukten aus dem Ausland reduziert werden kann.“