Onlinehandel : Was den Amazon Prime Day zum Albtraum für die Logistik macht

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Kommenden Montag, am 15. Juli, startet wieder der jährliche Amazon Prime Day. Am Dienstag um Mitternacht endet er wieder. Doch wenn die Marathon-Online-Shopper wieder zu Luft kommen, ist der Spuk für etliche im Hintergrund noch nicht vorbei. Für die Logistiker nämlich.

Beim diesjährigen Prime Day werden 48 Stunden lang laufend Schnäppchen angeboten. Ein Super-Einfall von Amazon, den es der Welt zu seinem eigenen 20. Geburtstag erstmals vor vier Jahren präsentierte. Gedacht als Konkurrenz zum Black Friday, richtet sich der Schnäppchen-Tag nur an Prime-Kunden und Prime-Studenten-Mitglieder. Sicherlich wird der Online-Riese auf diese Weise noch einige bisher Resistente umgestimmt haben, sich doch Prime zuzulegen – oder bei Prime nach dem 30-tägigen kostenlosen Test zu bleiben.

Der längste Tag

Dass der Prime Day länger dauert als ein eigentlicher Tag, unterstreicht den offensichtlichen Erfolg des Unterfangens, der mit jedem Jahr zunimmt. 2016 übertrifft der zweite Prime Day den ersten schon um Längen – Bestellungen über die Amazon-App auf Smartphones verdoppeln sich im Jahresvergleich. Der Prime Day 2016 macht 74 Prozent des gesamten E-Commerce in den USA an jenem Tag aus, und weltweit werden in diesen paar Stunden zwei Millionen Spielzeuge, 90.000 Fernsehgeräte und über eine Million Paar Schuhe bestellt.

2017 geht Amazon noch einen Schritt weiter – bereits 24 Stunden vor Beginn der Aktion können Kunden Angebote einsehen und reservieren. Der Prime Day selbst wird um ein paar Stunden verlängert und erstmals haben Besitzer einer Alexa einen zweistündigen Vorteil gegenüber anderen E-Shoppern. Andere Services, wie Pantry, Music Unlimited und Video werden miteinbezogen. Am beliebtesten zeigt sich allerdings der intelligente Lautsprecher Echo Dot, eine Eigenkreation des Online-Riesen. Das Ergebnis: Amazon verkauft um 60 Prozent mehr als noch 2016 und macht an nur einem Tag eine Milliarde Dollar Umsatz weltweit.

Ein Rekord jagt den nächsten

Letztes Jahr wurde dieses Ergebnis wiederum getoppt. Und das, obwohl der Prime Day 2018 mit einer ganzen Reihe technischer Schwierigkeiten startete. Kunden bekamen Fehlermeldungen oder gerieten in eine Endlosschleife, wenn sie Produkte anklickten. Die Ursache war aber der Erfolg selbst – die Website konnte die hohen Zugriffszahlen bereits 15 Minuten vor dem offiziellen Kick-off nicht mehr verarbeiten. Um einen totalen Zusammenbruch zu verhindern, schuf Amazon kurzerhand eine Ausweichseite, auf der eine Entschuldigung und Hundefotos zu sehen waren. Bis zum Abend waren dann zusätzliche Server installiert und der Prime Day ging problemlos weiter. Zwar hatten sich bis dahin viele frustrierte Kunden auf Twitter ausgelassen, doch die Verkäufe erzielten einen neuen Rekord. In über 17 Millionen Transaktionen wurden über 100 Millionen Produkte gekauft – über eine halbe Million PC-Produkte und über eine Million Kosmetika.

Das sind viele Pakete, die natürlich in Prime-Zeiten zugestellt werden müssen. Das eine Herausforderung zu nennen, wäre schon fast zynisch. Und es gibt keinen Grund, warum es dieses Jahr nicht noch mehr werden sollten. Von 2017 auf 2018 nahmen die Prime-Kunden in den USA um vier Prozent zu und um 29 Prozent mehr Konsumenten gaben an, auf Amazon einzukaufen. Mittlerweile hat rund jeder zweite Amerikaner einen Prime-Account. Die Hälfte der Prime Day-Kunden machen mittlerweile die sogenannten Heavy Buyers aus, also jene, die mindestens vier Produkte pro Monat auf Amazon bestellen. Dieser Kundenanteil ist besonders deswegen wichtig, da er dazu neigt, beim Prime Day besonders viele Produkte einzusammeln. Wenn sich unter den Prime Day-Kunden also immer mehr Heavy Buyers befinden, steigen auch die Paketmengen.

Es bleibt an den KEP-Diensten hängen

In Deutschland ist DHL der wichtigste Partner von Amazon in der Zustellung der Bestellungen. DHL hat im Land ein Marktvolumen von etwa 45 Prozent. Fast ein Fünftel des Paketvolumens bei dem KEP-Dienst kommt von Amazon.

Der Prime Day wird hier lange im Voraus schon geplant, die Kapazitäten aufgestockt. Würde es hier für ein paar Tage zu Verzögerungen kommen, wäre das zwar verständlich – doch für Amazon nicht entschuldbar. DHL ist sich darüber bewusst, auch in einer solchen Ausnahmesituation gut performen zu müssen. „Ziel ist es, unsere Qualität in der Zustellung auch bei erhöhten Sendungsmengen gleichbleibend hoch zu halten und negative Auswirkungen auf die Lieferzeiten zu vermeiden“, sagt ein Sprecher des Paketdienstes. Das klingt fromm – ist aber für viele Arbeiter eine zusätzliche Belastung. Während die Kunden sich weiterhin daran gewöhnen, etliche Bestellungen innerhalb von zwei Tagen Maximum zu erhalten.

Eine offene Beziehung

Amazon sieht sich aber stets nach billigen Alternativen um. 2017 nahm das ausgeschickte Paketvolumen des Konzerns um 30 Prozent zu. Die Aufträge an DHL wuchsen um 17 Prozent, die an Hermes aber um 45 Prozent. Es gebe eine „gegenseitige Abhängigkeit“, sagt zwar Frank Appel, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Post; doch ob das Amazon so gerne hat und hört? Noch billiger wird sich Amazon es wohl machen wollen, wenn sie schließlich nur mehr auf ihre eigene Zustellung vertrauen – in den USA hat der Online-Riese bereits eine eigene Lkw- und eine Flugzeugflotte. Als Amazon vergangenen September mit 20.000 neuen Mercedes-Sprintern aufstockte, war es laut Daimler der größte Sprinter-Kunde weltweit. Und in Deutschland werden über Amazons 2015 gegründete eigene Transportgesellschaft schon Kunden in München, Berlin, Frankfurt, Köln, Bochum und Hamburg beliefert. Auch werden immer mehr Locker, in denen Sendungen hinterlegt werden, aufgestellt. Amazon selbst sagt laut Medienberichten, es ginge vor allem um dringende Pakete, die externe Logistiker nicht mehr bewältigen können. Doch wenn der Prime Day immer länger wird und immer mehr Kunden anzieht – dann wird auch die Lage immer dringlicher.

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