Kommissionierung : "Das System entscheidet selbständig, wann es mit der Kommissionierung startet"
Witron hat ein System entwickelt, das in Frankreich mit dem renommierten Logistik-Preis „Roi de la Supply Chain“ ausgezeichnet wurde: Die vollautomatische Flow Picking Machinery (FPM). „Mit dem FPM haben wir ein hoch performantes System“ für die vollautomatische Kommissionierung in bestandlosen Verteilzentren entwickelt, basierend auf einem realen „Business Case“ eines Lebensmitteleinzelhändlers – durchgängig integriert vom Wareneingang bis zum Warenausgang", so Witron-Vertriebsmitarbeiter Claus Holm.
Das Konzept sei die "perfekte Lösung" für die „Flow-Through“-Frische-Logistik, wenn diese fast ausschließlich über bestandlose Distributionsläger abgewickelt werde und gleichzeitig sehr hohe Anforderungen an Artikelvielfalt, Produktqualität und Time-to-Store stellt, erklärt Holm weiter.
„Ein „Flow-Through-Lager“ schlägt sich mehrmals am Tag komplett um“, so der Prokurist. „Die Produkte der verschiedenen Warengruppen werden über den Tag verteilt angeliefert und im Wareneingang im FPM-System vereinnahmt. Nach erfolgter Depalettierung gelangen diese in einen hochdynamischen Sequenzpuffer. Die intelligente Produktionssteuerung des FPM-Systems berechnet dynamisch die Paletten für die laufende Produktion, unter Berücksichtigung der Optimierung von Produktionsauslastung, Schlichtkriterien und Transportvolumen. Die Palettierung erfolgt filialgerecht durch die COM-Maschinen gemäß den individuellen Anforderungen des jeweiligen Shops. Ein vollautomatischer Warenausgangspuffer stellt abschließend sämtliche Filial-Paletten touren- und versandgerecht – exakt zur richtigen Verladezeit, in der richtigen Verlade-Reihenfolge – im Warenausgang zur Verfügung.“
Pilot-Projekt in Frankreich
Holm und sein Team haben in Frankreich das erste FPM-System realisiert – in der Frischelogistik des Retailers E. Leclerc SOCAMIL. „Im klassischen OPM-System hat der Kunde ein Hochregallager mit einem Bestand von mehreren Tagen. Von hier aus erfolgt der Nachschub der Waren in das Kommissionierlager mit weiteren ein bis zwei Tagen Bestand. Die Palettierung wird von dort aus versorgt und ist damit vom Wareneingangsprozess sowie der Anlieferung durch die Lieferanten zeitlich entkoppelt. Damit kann das OPM im Wesentlichen die Produktion und Paletten im Vorfeld berechnen und optimieren.“
Das FPM müsse hier eine andere Strategie fahren: "Aufgrund der Just-in-Time-Situation in der Frische gibt es im FPM neben der ca. drei- bis sechsstündigen Pufferkapazität im Wareneingang und dem Sequenzpuffer vor den COM-Maschinen keinen Bestand.“ Entscheidend sei, dass die Ware von den Lieferanten im Wareneingang entsprechend des Produktionsplans – der in Wellen nach Produktgruppen organisiert ist – angeliefert und im System vereinnahmt wird. Das FPM kalkuliert dann die Filial-Paletten nicht im Vorhinein, sondern dynamisch im laufenden Betrieb.
„Wir wissen, was bestellt wurde, was schon da ist und was noch kommt. Das System entscheidet dann selbständig, wann es mit der Kommissionierung startet“, erklärt Holm. Im Referenzprojekt im Süden Frankreichs arbeiten zehn COM-Maschinen, die über 2.000 Paletten am Tag bauen. Dabei werden nahezu 100 Prozent des gesamten Frische-Volumens mit mehr als 12.000 Artikeln vollautomatisch kommissioniert. „Ein FPM-Modul kann aus bis zu 12 - 16 COM-Maschinen bestehen, aber selbstverständlich können bei höheren Volumina weitere Module ergänzt werden, denn die Produktfamilien können natürlich parallel in verschiedenen FPM-Modulen produziert werden." Wareneingang und insbesondere Warenausgang sind aber weiterhin für alle FPM-Module eines Systems gleich, so dass die Store-Paletten aus den verschiedenen Produktionsmodulen für eine LKW-Route zusammengeführt werden.
Intelligenter Produktionsplan für Filial-Paletten
„Die Idee zum FPM entstand aus einer Kundenanforderung. Wir hatten bei verschiedenen E.Leclerc Regional-Gesellschaften bereits mehrere OPM-Trockensortiments-Systeme am Laufen und dann fragte der Kunde, ob wir auch seine Frische automatisieren könnten. Selbstverständlich können wir das, war unsere Antwort, aber der Kunde warnte uns; bei ihm könne es schwieriger werden, aufgrund der hohen Dynamik, der Anzahl an Artikeln und den vielen Mischpaletten im Wareneingang. Dann ging die Arbeit erst richtig los“, erklärt Holm.
Witron machte sich an die Analyse der Artikel, Paletten und des Materialflusses. Der LKW kommt im Logistikzentrum an, die Palette wird abgeladen, erfasst und ab diesem Punkt übernimmt das FPM-System die Steuerung. Es fordert die notwendigen Paletten laut Produktionsplan an. Die Technik gibt die Paletten aus dem Wareneingangspuffer auf, sie werden im Idealfall automatisch depalettiert und dann werden die vereinzelten Collies mit Tablaren verheiratet. Ein Scanner identifiziert jeden Artikel, damit das System auch bei Mischpaletten weiß, welcher Artikel auf dem Tray ist. Anschließend geht es in die Paletten-Produktion – der hochdynamischen Kommissionierung. Die Gassen sind dynamisch den Filialen zugeordnet. Aus diesen sammelt das FPM dann für die Produktion die Collies zusammen.
„Der Knackpunkt ist der Wareneingang, denn in der Vergangenheit reichte es, wenn die Ware im Lager war, heute in der „just-in-time-Frische“ ist die Ankunftszeit ein entscheidendes Kriterium für den Gesamtprozess. Der LKW-Fahrer muss zu seinem Zeitfenster da sein“, unterstreicht Holm. Den Produktionsplan für eine Woche kommuniziert der Retailer an seine Zulieferer. Das erinnert stark an die Prozesse in der Automobilindustrie. „Ja, das stimmt, aber wir haben es noch etwas schwieriger. Im Automobilbau haben sich viele Zulieferer um die Fabrik angesiedelt, um die Zeitfenster zu erfüllen. Das ist bei unseren Zulieferern nicht der Fall. Hier kommt die Ware zum Teil sogar frisch vom Feld“, sagt Holm.
Fluide Logistikprozesse
Wenn der LKW im Stau steht, dann entscheidet das FPM-System den weiteren Ablauf anhand von fluiden Logistikprozessen. Es analysiert den Bestand, die ausstehende Menge an Ware und informiert dann den Betreiber. „Wir liefern dann Vorschläge – wie etwa eine Restpalette zu bauen oder vorerst eine andere Produktfamilie zu produzieren“, weiß Holm. Ein weiterer entscheidender Faktor für die Effizienz des Systems sind die Strukturen der Wareneingangspaletten. „In unserem Fall waren 45 Prozent Vollpaletten oder reine Lagenpaletten, die wir sehr gut automatisch depalettieren können. Dazu kommen Uniform-Case-Paletten. Das sind Paletten mit jeweils einem Typ Standardkartonagen oder Behälter, in denen unterschiedliche Artikel sind. Auch die können wir automatisch depalettieren. Damit kommen wir ohne große Anpassungen bereits auf eine automatische Depalettierquote von rund 65 Prozent. Doch das Ziel sind mehr als 80 Prozent“, gibt Holm vor. Wie kommt man da hin? Die WITRON-Logistiker haben mit dem Kunden eine Strategie definiert, um in Zusammenarbeit mit den Lieferanten den Anteil der Uniform-Case-Paletten zu erhöhen und gleichzeitig bei Schnellläufern zukünftig vom Lieferanten in vollständigen Lageeinheiten nachzubestellen. „Das ist für den Retailer und den Lieferanten ein Win-Win, da sich damit auch die Logistik beim Zulieferer massiv vereinfacht. Aber der Kunde muss oft zunächst das Gespräch mit den Partnern in der Lieferkette suchen und die Umstellungen lassen sich Großteils erst während des Hochlaufs umsetzen. Dadurch ist in der Regel der Automatisierungsgrad der Depalletierung bei Produktionsstart geringer und nimmt dann aber mit Optimierung des Wareneingangsprozesses stetig zu. Diesen Überleitungs-Prozess unterstütz das FPM perfekt. Unser System passt sich nämlich an den Grad der automatischen Depalettierung flexibel an, da die Depalletier-Stationen sowohl automatisch aber ebenso als manuelle Arbeitsplätze betrieben werden können“, ergänzt Holm.