Automatisierung : Gebhardt Manager Nicolai über Lagerautomatisierung: "Optimierte Prozesse ohne Totalautomatisierung"

Volker Nicolai ist Geschäftsführer Vertrieb und Service bei Gebhardt.

Volker Nicolai, Geschäftsführer Vertrieb und Service bei Gebhardt

- © Gebhardt

dispo: Herr Nicolai, welche sind die aktuellen Trends in der Lagerautomatisierung?

Volker Nicolai:
Der Trend geht immer mehr hin zu flexibleren Lösungen wie etwa AMR-Systemen und weg von einer stationären Fördertechnik quer durch die Fabrik. Dadurch verstärkt sich natürlich der Trend der IT-Lastigkeit dieser Systeme. Es geht also weg von der Mechatronik, die natürlich immer noch erforderlich ist, hin zu intelligenten IT-Systemen. Vernetzung ist also ebenfalls ein großer Trend. So sind etwa Lagerverwaltungssysteme immer stärker mit einem ERP-System verbunden, um Informationsverluste zu vermeiden.

Deshalb ganz eindeutig: Der Trend geht in Richtung mobiler Systeme und übergelagerter IT-Systeme und weg von den Fördersystemen wie Förderrollen oder Förderbänden. Fördersysteme werden natürlich nach wie vor gebraucht. In heutigen Produktionssystemen gibt es vielleicht ein Lagersystem, das nach wie vor konventionell betrieben werden kann – also mit Regalbediengeräten oder Shuttle-Systemen. Die Verbindung der einzelnen Fertigungsinseln wird dann häufig mit fahrerlosen Transportsystemen realisiert. Was früher durch stationäre Fördertechnik verbunden war, kann heute oft flexibler gestaltet werden. Der Zweck ist, eine Fabrik zu bauen, die sehr flexibel ist und verschiedene Fertigungsinseln miteinander verkettet. Das kann man durch mobile Systeme sehr sinnvoll gestalten.

Haben Sie den „großen“ Blick auf die Lagerautomatisierung?


Nicolai:
Aktuelle Zahlen habe ich für Europa oder die Welt nicht. Daran, dass die Intralogistik die größte Gruppe im Verband der deutschen Maschinenbauer ist, sieht man, dass der Intralogistik-Markt ein großer Wirtschaftsfaktor ist, sowohl in Mitteleuropa als auch Nordamerika und Asien.

Was ich selbst nicht wusste, ist, dass der indische Markt ebenfalls stark wächst. Die Megacitys wachsen und durch die ebenfalls wachsende Mittelschicht steigt auch der Bedarf. Die Distributionszentren, die früher am Rand der Stadt waren, befinden sich jetzt mitten in der Stadt und können nicht expandieren, also muss die Leistung über Automatisierung gesteigert werden. Das zeigt sich in vielen asiatischen Städten.

„Der Trend geht immer mehr hin zu flexibleren Lösungen wie etwa AMR-Systemen und weg von einer stationären Fördertechnik quer durch die Fabrik.“
Gebhardt-Manager Volker Nicolai

Welche Stolperfallen gibt es für Unternehmen, die ihre Lager automatisieren wollen?

Nicolai:
Am Anfang steht immer eine saubere Analyse. Welche Daten habe ich? Welche Prozesse habe ich? Welche Förderflüsse muss ich abbilden? Welche Artikelstrukturen habe ich? Welche Auftragsstrukturen? Habe ich viele Kleinaufträge oder vorwiegend große? Hier hapert es dann manchmal schon an teilweise fehlenden Daten oder nicht vorhandenen Strategien. Es muss klar sein: Wo will ich in fünf bis zehn Jahren stehen?

Oder man muss zumindest abschätzen können, ob überhaupt ein hochautomatisiertes und hocheffizientes Lager gebraucht wird oder es Prozesse gibt, die mit einem geringeren Automatisierungsgrad abgebildet werden können. Wir haben sehr gute Erfahrungen damit gemacht, dass man verschiedene Bereiche teilautomatisiert. Natürlich ist ein vollautomatisiertes Lager wunderbar und man kann viel damit machen. Aber nicht für jeden Prozess ist die volle Automationskeule die richtige Lösung.

Es gibt sehr viele Anbieter am Markt. Gibt es „das“ System, also quasi die eierlegende Wollmilchsau?


Nicolai:
Nein. Wie das richtige System aussieht, basiert auf den Informationen, die aus der Analyse gesammelt werden. Es gibt natürlich unterschiedliche Anforderungen, und für die muss man das richtige System auswählen. Fast jedes System, das es auf dem Markt gibt, hat in gewisser Weise seine Daseinsberechtigung.

Das macht die Entscheidung natürlich nicht einfacher. Wir sehen gerade von Planern nur ganz funktionale Ausschreibungen, weil die unterschiedlichen Systeme so komplex und teilweise so unterschiedlich sind, dass man sich gar nicht auf ein Lagersystem festlegen möchte. Vielmehr möchte man die Ideen der Lieferanten abgebildet haben.

„Fast jedes System, das es auf dem Markt gibt, hat in gewisser Weise seine Daseinsberechtigung.“
Gebhardt-Manager Volker Nicolai

Wie wird sich der Markt der Lagerautomatisierung weiterentwickeln?

Nicolai
: Es gibt anbieterseitig eine Konsolidierungswelle. Man hat in der jüngeren Vergangenheit gesehen, dass einige Anbieter nicht mehr selbstständig auf dem Markt sind, sondern von größeren Unternehmen übernommen wurden. Das hat unter anderem mit Forschungs- und Entwicklungsaufwänden, die man betreiben muss, zu tun. Es ist natürlich vor allem für kleinere Unternehmen schwer, sich da zu behaupten. Es gibt aber nach wie vor sehr gute Nischenunternehmen mit innovativen Lösungen.

Wie sieht es mit chinesischen Anbietern am europäischen Markt aus?


Nicolai
: Das hat man auf der LogiMAT im letzten Jahr deutlich gesehen: Es wird mehr neue Player aus Ländern wie China geben. Vor Corona waren sie auf der Messe noch Exoten, letztes Jahr hat man diesen Trend deutlich gespürt. Das hängt natürlich damit zusammen, dass in China und Asien generell der Intralogistik-Markt stark wächst und bereits gewachsen ist. Wir sind kaum im fernen Osten tätig, aber wir sehen es etwa im mittleren Osten, dass die chinesischen Wettbewerber sehr aktiv sind. Da werden sich die europäischen Anbieter überlegen müssen, wie sie damit umgehen.

Gleichzeitig sehen wir, dass sich immer mehr Unternehmen, die Fabriken in China haben, überlegen, Teile der Produktion bzw. Wachstumsbereiche wieder zurück nach Europa zu ziehen.