Digitalisierung : "Mit einem digitalen Retrofit können Unternehmen eine Anlage noch Jahrzehnte betreiben"

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Wie funktioniert ein digitaler Retrofit für Altsysteme? Wie lange dauert dieser?
Chris Plüss
Zunächst einmal müssen die Voraussetzungen stimmen. Die Anlage sollte natürlich über eine gute Substanz verfügen und auch die Versorgung mit Ersatzteilen sollte gegeben sein. Zudem muss die Digitalisierung einen klar erkennbaren Mehrnutzen gegenüber einer Neuanschaffung bieten, beispielsweise Kostenersparnis bei gesteigerter Verfügbarkeit und erhöhter Qualitätsrate.
Der digitale Retrofit läuft dann im Wesentlichen in folgenden Schritten ab: Wir eruieren die Daten, die für das Machine-Learning-Modell erforderlich sind, prüfen, welche davon die Anlage gegebenenfalls bereits liefern kann und mit welcher zusätzlichen Sensorik sich die übrigen Daten erfassen lassen. Das können beispielsweise akustische oder visuelle Sensoren sein. Dann setzen wir an einer repräsentativen Anlage einen Proof of Concept um, was in etwa ein bis drei Monate dauert. Dazu erweitern wir die bestehende IT-Infrastruktur oder bauen eine separate IT-Infrastruktur auf. Die Erkenntnisse, die wir aus dem Proof of Concept gewinnen, integrieren wir in die Lösung, optimieren sie und stellen ihren Betrieb in der Industrieumgebung inklusive Wartung und Aktualisierung sicher.
Die Dauer des Projekts hängt sehr stark von bereits verfügbaren Daten und der Komplexität der Lösungsfindung ab. Die theoretische Umsetzungsdauer ist aber meist nach dem Proof of Concept erkennbar und quantifizierbar.

Können damit Unternehmen wirklich zeitnah und auch adäquat auf einen Anstieg im E-Commerce reagieren?
Plüss
Ja. Wegen des boomenden Online-Handels arbeiten viele Produktions- und Logistikanlagen an der Kapazitätsgrenze. Mit den bestehenden Gebäuden und Anlagenkomplexen allein ist das Wachstum nicht zu bewältigen. Durch digitalen Retrofit können Unternehmen die Effizienz ihrer Anlagen schnell und ohne Downtime steigern. Besonders schnell ist das möglich, wenn es sich um einen Anwendungsfall handelt, den wir so oder so ähnlich in der Vergangenheit schon einmal umgesetzt haben. Dann können wir auf bereits vorhandenes Know-how zurückgreifen.

Um wieviel günstiger ist ein digitaler Retrofit im Gegensatz zu einer Neuanschaffung?
Plüss
Die konkreten Einsparungen hängen natürlich stark von den individuellen Gegebenheiten ab. Generell können Unternehmen aber gegenüber Neuanlagen Kosteneinsparungen um den Faktor 10 bis 100 erzielen. Ein digitaler Retrofit verhindert, dass sie neue Anlagen installieren müssen, für die häufig auch noch An- oder Neubauten erforderlich sind. Das ist nicht nur weitaus kostenintensiver, sondern bedeutet auch lange Planungs- und Bauzeiten.

Gibt es Referenzkunden aus Österreich, die bereits einen digitalen Retrofit umgesetzt haben?
Plüss
Referenzkunden aus Österreich haben wir noch nicht, aber spannende Kontakte. Sie wurden durch den Anwendungsfall bei den Paketsortieranlagen der Schweizer Post und andere spannende Schweizer Referenzkunden auf uns aufmerksam.

Wie lange kann man mit dem Retrofit in etwa zeitgemäß arbeiten?
Plüss
Mit einem digitalen Retrofit können Unternehmen eine Anlage noch mehrere Jahrzehnte betreiben. Die genaue Zeitspanne hängt stark von innerbetrieblichen Kalkulationen ab und sollte frühzeitig thematisiert werden. Möchte ein Unternehmen eine Anlage beispielsweise 30 weitere Jahre lang produktiv einsetzen, muss auch die mechanische Ersatzteilversorgung so lange gewährleistet sein. Retrofit-Komponenten wie Sensoren oder PLC-Steuerungstechnik können viel problemloser aktualisiert werden.

Chris Plüss, Strategic Market Development bei LeanBI
Chris Plüss ist Strategic Market Development beim Schweizer Data-Science-Spezialisten LeanBI. - © LeanBI