15 Millionen Einzelteile : So aufwendig ist die Intralogistik für Kreuzfahrtschiffe

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© Ingrid Fiebak-Kremer

Bis aus den Tonnen Stahl, Holz und anderen Materialien ein imposantes Kreuzfahrtschiff entsteht und vom Stapel läuft, vergeht so einiges an Zeit. Von der Konzeption und Planung über den Bau des Rumpfes bis hin zur Endausstattung und Indienststellung durchlaufen die Ozeanriesen einen aufwendigen und hochkomplexen Prozess, der viele präzise Schritte erfordert.

Die Intralogistik spielt beim Bau der Schiffe eine ganz entscheidende Rolle. Denn bis am Ende ein vollständiges Kreuzfahrtschiff entsteht, müssen oft mehr als 15 Millionen Einzelteile verarbeitet werden. Dazu sind zahlreiche innerbetriebliche Transporte notwendig, um die benötigten Materialien von ihrem Lagerort zur Schiffsbaustelle zu bringen – und zwar in der richtigen Menge, in der richtigen Reihenfolge und genau dann, wenn sie benötigt werden. Fragen nach dem aktuellen Standort der Materialien, dem genauen Zeitpunkt ihres Einsatzes und der termingerechten Bereitstellung müssen jederzeit beantwortet werden können. Die Steuerung von Transport- und Umschlagprozessen ist alles andere als trivial und erfordert daher zwingend einen optimalen Materialfluss. Um dies zu gewährleisten, kommen algorithmisch gesteuerte Transportleitsysteme zum Einsatz, die auf künstlicher Intelligenz und der fortgeschrittenen Mathematik des Operations Research basieren.

Ein Beispiel für den Einsatz eines solchen intelligenten Transportleitsystems ist die Meyer Werft, eine der größten und modernsten Schiffswerften der Welt. Seit Mitte der 1980er Jahre fertigt das Schiffbauunternehmen im niedersächsischen Papenburg große Kreuzfahrtschiffe, wie beispielsweise die AIDA Cosma. Ein einzelnes Projekt beansprucht etwa drei Jahre, und es vergehen mehr als zwölf Monate, bis ein solches Schiff, mit einer Länge von über 300 Metern und Platz für über 3.000 Passagiere, komplett gebaut und getestet ist. Dabei fallen täglich rund 1.500 interne Materialtransporte an. Um diese transparenter und effizienter zu gestalten, ist seit 2004 das intelligente Transportleitsystem Syncrotess des Aachener Optimierungsspezialisten Inform für den innerbetrieblichen Transport im Einsatz. Im Rahmen eines Modernisierungsprojektes der Meyer Werft wurde dieses im Jahr 2021 auf die neueste Produktversion gebracht und optimiert seitdem nicht nur die Transportaufträge, sondern auch die Planung und Steuerung der gesamten Intralogistik des Schiffbauunternehmens.

Von Großkomponenten bis hin zu einzelnen Kleinteilen — mit Wechselbrücken und Sattelaufliegern werden alle Baumaterialien vom modernen Logistikzentrum der Meyer Werft bis ans Schiff oder mithilfe von Kränen direkt auf die Schiffsbaustelle geliefert. Von dort wird das Material entweder in den Produktionsbereich oder mit Hilfe von Kränen über sogenannte Öffnungen direkt auf das Schiff verladen. An Bord müssen die Materialien aufgrund der begrenzten Raumkapazität manuell weitertransportiert werden. „Auf der Baustelle darf nur vorhanden sein, was wirklich gebraucht wird“, erklärt Christian Meyer, Fachbereichsleiter Intralogistik auf der Meyer Werft. „Zum einen, weil die Flure und Räume auf den Schiffen eng sind und zum anderen, weil das Material bei langen Liegezeiten beschädigt werden könnte und es die Brandlast auf dem Schiff erhöht.“ Deshalb liefert die Intralogistik die benötigten Teile in kleinen, aber passgenauen Arbeitspaketen kurzzyklisch an. So wird die Produktion just-in-time mit den richtigen Materialien versorgt.

Alles im Blick mit intelligentem Transportleitsystem

Mit einem Transportleitsystem auf der Basis von entscheidungsintelligenten Algorithmen steuert und überwacht die Disposition bei der Meyer Werft alle Aufträge in der Intralogistik, verfolgt den Auftragsstatus und die Krandisposition. Mangelnde Transparenz über die Transportressourcen und Materialien ist ein häufiger Grund für den Einsatz eines Transportleitsystems. Doch Transparenz ist nicht alles. Intelligente Optimierungsalgorithmen können ad hoc aus der spezifischen Situation ableiten, welche Transportressource welchen Auftrag als Nächstes ausführen sollte, damit das gesamte Auftragsnetz insgesamt optimal bedient wird. Bei Handlungsbedarf stellt die Software dem zuständigen Disponenten schnell die richtigen Informationen auf übersichtlichen Dashboards zur Verfügung. Bei ungeplanten Ereignissen berechnet das System die Auftragssituation für alle Fahrzeuge gleichzeitig neu und liefert den Disponenten Entscheidungsvorschläge. Diese können die Disponenten annehmen oder nach eigenem Ermessen übersteuern.

Im operativen Transport erhalten Fahrerinnen und Fahrer der LKW, Stapler sowie die Mitarbeitenden auf dem Schiff alle für sie relevanten Informationen zu den Transporten und Waren per App. Ist ein Transport abgeschlossen, müssen die Mitarbeitenden nur noch ein Foto der Ware am endgültigen Bereitstellungsort machen und können dieses einfach in die App hochladen und mit dem entsprechenden Auftrag verknüpfen. Das sorgt nicht nur für maximale Transparenz und Rückverfolgbarkeit, sondern hilft der Fertigung auch, das Material in den verwinkelten Gängen des Schiffes schnell zu finden. Darüber hinaus bildet das intelligente System alle unterschiedlichen Transportmittel vom Gabelstapler bis zum Kran in einer durchgängigen Kette ab und ist in der Lage, alle diese Ressourcen optimal zu steuern.

Somit werden alle Teile, die für den Bau großer Kreuzfahrtschiffe benötigt werden, vorausschauend geplant und just-in-time an die richtige Stelle in der Fertigung geliefert. Das macht diese nicht nur zu luxuriösen Freizeitoasen, sondern auch zu beeindruckenden Ergebnissen einer optimal gesteuerten Intralogistik.