Interview : Peter Klimek forscht für resilientere Lieferketten
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Herr Klimek, Sie sind der breiten Öffentlichkeit als Corona-Experte bekannt. Wie sehr freuen Sie sich, diesen Stempel mit der neuen Aufgabe nun abzustreifen?
Peter Klimek Es ist schon sehr reizvoll, wieder an anderen Themen zu arbeiten - wobei man auch sagen muss, dass es für mich keine neuen Themen sind. Wir haben in den Jahren zuvor sehr viel dazu gearbeitet, wie sich Störungen auch in wirtschaftlichen und Finanznetzwerken ausbreiten. Interessanterweise ist hier die Mathematik gar nicht so weit entfernt vom Infektionsgeschehen: In einem Fall haben wir ein soziales Netzwerk von Kontakten, wo sich das Virus von Mensch zu Mensch verbreitet. Und in einem anderen Fall haben wir zum Beispiel Firmen, die über Lieferkettenbeziehungen miteinander verflochten sind. Das ist auch während der Pandemie relevanter geworden, weil man festgestellt hat, dass die Versorgungssicherheit in manchen Bereichen doch nicht so hoch ist, wie man gedacht hat - wo dann eben mitunter Lebensmittel wie Germ oder Schweinefleisch zeitweise knapp geworden sind oder es zumindest in den Produktionsketten zu knirschen begonnen hat.
Für das neu gegründete "Supply Chain Intelligence Institute Austria" stehen Ihnen insgesamt zehn Millionen Euro über einen Zeitraum von fünf Jahren zur Verfügung. Können Sie diese zehn Millionen in einen Kontext setzen – was für ein Spielraum ist dadurch gegeben?
Peter Klimek Im Rahmen von Forschungsförderungen ist es schon eine Menge. Da gibt es wenige Initiativen in Österreich, die ähnliche Förderungen bekommen. Das heißt damit kann man prinzipiell schon dicke Bretter anbohren. Die meisten Fördermittel setzen wir ein, um kluge Köpfe anzustellen. Damit reicht das Geld, um eine gewisse kritische Masse an Forschenden zusammenzutragen. Und dann kann da natürlich schon etwas weitergehen.
Wie viele kluge Köpfe werden das sein?
Peter Klimek Wir streben an, dass in etwa 15 Leute an diesen Themen forschen.
Welche Aufgaben hat das Institut konkret? Inwieweit ist es auch mit Unternehmen vernetzt?
Peter Klimek Das „Intelligence“ im Supply Chain Intelligence Institute verstehen wir im Sinne der Aufklärung. Denn in vielen Fällen wissen wir nicht genau, wie unsere Lieferketten funktionieren. Sehr viele Lieferkettenstörungen haben ihre Ursache nicht in den Firmen, mit denen man in direkter Beziehung steht, sondern entstehen mehrere Stufen zurück in den Wertschöpfungsnetzwerken. Und da geht es natürlich nicht nur darum, wie einzelne Unternehmen ihre Lieferketten sicherer machen, sondern auch um politische, industriepolitische und handelspolitische Implikationen. Beim Thema strategische Abhängigkeiten von bestimmten kritischen Rohstoffen etwa versuchen wir genau zu verstehen, wie diese Lieferketten ausschauen. Wir fangen damit an, bestimmte Datenquellen zusammenzutragen, untereinander abzugleichen, aber auch neu zusammenzutragen. Das ist die Grundvoraussetzung dafür, dass wir uns Fragen annehmen können, wie etwa: Wie kann man diese Netzwerke resilienter machen und so gestalten, dass sie in Zukunft besser funktionieren, dass sie nachhaltiger und effizienter werden? Hier wollen wir stark datengetrieben arbeiten.
"Wir bauen auch im Bereich Business Intelligence Kapazitäten auf, um die österreichische und europäische Unternehmensökologie besser zu verstehen"Peter Klimek
Sind konkrete Projekte mit Unternehmen geplant?
Peter Klimek Wir haben ein gemeinsames Projekt mit der FH Oberösterreich und anderen Projektpartnern für die Lebensmittel-Nahrungskette. Da ist dann ein Team voll damit beschäftigt, das nur für einen Sektor abzubilden. Und das geht natürlich nur, indem man auch die einzelnen Unternehmen in diesen Lieferketten von dem Sinn dieses Projekts überzeugt. Deshalb ist etwa auch das WIFO neben der FH Oberösterreich einer unserer Partner, um gesamtwirtschaftliche und volkswirtschaftliche Aspekte mit einzubinden. Wir sind aber schon so realistisch zu wissen, dass wir in den nächsten fünf Jahren keine Datenverwendungsübereinkommen mit den 10.000 wichtigsten Firmen in Österreich erreichen. Aber dass man jetzt Mechanismen vorbereiten muss, damit Maßnahmen in Krisensituationen schneller funktionieren und es dafür technische Infrastruktur braucht, ist auch klar. Zusammengefasst ist es natürlich für einzelne Fragestellungen unerlässlich, mit Firmen zusammenzuarbeiten, das wollen wir auch tun, aber das müssen wir über Methoden ergänzen, die skalieren.
Schwerpunktmäßig beschäftigt sich das ASCII mit den Sektoren Automotive, Halbleiter und Life Sciences. Sind das die Sektoren, deren Lieferketten am wenigsten resilient sind?
Peter Klimek Das sind die Sektoren, wo momentan am ehesten der Schuh drückt: Bei den Life Sciences gibt es durch den Medikamentenmangel Probleme. Bei der Automobilzulieferindustrie ist der Wechsel hin zum elektrischen Antriebsstrang ein Thema. Wie kann und soll das tatsächlich funktionieren? Wenn in zehn Jahren Neuzulassungen vor allem elektrisch sein sollen, was heißt das für österreichische Unternehmen? Was wird sich in den Produktionsketten ändern, wenn fast ausschließlich noch elektrische Autos verkauft werden sollen? Wo gibt es Gewinner, wo Verlierer, wo gibt es Möglichkeiten für neue Märkte, bei denen wir in Österreich Kompetenzen hätten, solche Nischen zu besetzen – und wie erkennen wir das schnell genug? Das Thema Halbleiter ist wiederum auch getrieben durch den European Chips Act, der mit 43 Milliarden Euro die Chipproduktion in Europa stärken soll. Da stellen sich ganz ähnliche Fragen.
Natürlich ist uns aber auch klar, dass sich die drängenden Themen im Jahres-, Monats-, wenn nicht sogar Wochentakt ändern. Wichtig ist also die übergeordnete Mission, die hinter dem ASCII steht: Infrastruktur aufzubauen, damit wir bei zukünftigen Anlassfällen eine höhere Geschwindigkeit haben, um bei der Entscheidungsfindung evidenzbasierte Inputs zu geben. Dazu müssen wir diese Daten- und Modellplattformen aufbauen. Wir haben keine Ahnung, was im nächsten oder im übernächsten Jahr alles knapp werden könnte oder tatsächlich knapp wird. Was wir versuchen können ist, diese Probleme nicht erst mitzukriegen, wenn tatsächlich nichts mehr geliefert wird, sondern schon ein bisschen früher erkennt und vor allem auch besser versteht, wo diese Probleme herkommen und welche Gegenmaßnahmen sinnvoll sind.
Sie haben bei der Vorstellung von ASCII gesagt, dass neben der Erreichung der österreichischen und europäischen Ziele einer sicheren Wertschöpfung auch die Klimaneutralität vorangetrieben werden soll. Wie steht das miteinander im Zusammenhang?
Peter Klimek Da geht es auch um den technologischen Wandel. Denn wenn wir jetzt - in welchem Sektor auch immer – wollen, dass die wirtschaftliche Aktivität nachhaltiger wird, kann man das auf die Ebene von einzelnen Wertschöpfungsketten herunterbrechen, entlang derer Emissionen entstehen. Man kann das als Optimierungsaufgabe verstehen: Wie müssen sich diese Netzwerke entwickeln, dass ich mit einem geringeren Ressourceneinsatz genauso viel oder sogar noch mehr produzieren kann. Hier gibt es schon Studien und Arbeiten, die sich damit beschäftigen.
Konkret haben wir uns ein Beispiel im landwirtschaftlichen Bereich angesehen – hier ist natürlich ein Treiber, welche Art von Futtermitteln man einsetzt, ob es lokal produziert ist oder importiert wird. Es ist keine neue Einsicht, dass es jetzt mitunter nichts bringt, wenn man die Wertschöpfungsketten im eigenen Land nachhaltiger macht, aber dafür umso mehr einführt und so in der globalen Gesamtbilanz wieder mehr Emissionen hat. Das wäre ein Anknüpfungspunkt. Der andere Anknüpfungspunkt ist natürlich, dass bei einer Umstellung auf nachhaltige Energieträger mehr Windkraft- oder Photovoltaikanlagen produziert werden müssen. Da stellt sich auch wieder die Frage nach den strategischen Abhängigkeiten. Wo kommen die Rohstoffe und Mineralien her, mit denen zum Beispiel auch Batterien oder eben diese Anlagen produziert werden sollen? Welche Möglichkeiten hat man, Wertschöpfungsketten und Produktionsnetzwerke aufzubauen, ohne dann in entsprechend große Abhängigkeiten auf irgendeiner anderen Ebene zu kommen? Eine andere Frage ist: Wo gibt es Möglichkeiten für Unternehmen in einer bestimmten Region, von diesen Entwicklungen zu profitieren?
Es ist schwierig, Situationen vorhersehen, etwa dass ein bestimmtes Schiff irgendwo stecken bleibt. Wir können die nächste große Krise nur mit Glück richtig erraten. Was wir aber als gegeben annehmen können ist, dass es irgendwann zu solchen Ereignissen kommt. Und was man versprechen kann ist, dass man das früher bemerkt und auch versteht, zu welchen Problemen es konkret kommt.
Warum hat man im Vorhinein nicht mehr darauf geachtet?
Peter Klimek Man sieht schon, dass sich unter der Oberfläche, auch schon im Vorfeld, systemische Risiken aufbauen. Wenn wir als Beispiel die Antibiotika nehmen: Hier war schon lange vor der Pandemie bekannt, dass sich die Produktionsprozesse weiter und weiter konzentrieren. Da gibt es ein Medikament, wo man geringe Margen hat und Anstrengungen unternimmt, um den Einsatz von Antibiotika zu reduzieren. Da haben Experten und Expertinnen schon früh bemerkt, dass sich Risiken aufbauen. Es ist schwierig, vorher zu sagen, anhand von welchem Anlassfall diese Risiken dann auch tatsächlich eintreten. Wenn wir das nun aufarbeiten können wir sehen, in welchen anderen Produkten wir ähnliche systemische Risiken haben, die sozusagen unter der Oberfläche schlummern, wo es aber bei einem bestimmten Szenario leicht passieren kann, dass das Risiko wirklich eintritt.
Wie wahrscheinlich unter diesen Gesichtspunkten ist eine Re-Regionalisierung der Produktion nach Europa oder nach Österreich?
Peter Klimek Das Thema Antibiotika ist ein schönes Beispiel, da haben wir das ja gemacht: Wir haben die Produktion von Claritromycin nach Europa, nach Österreich zurückgeholt. Das ist eine der wenigen Produktionsketten, die in Europa ist. Und auch da hat es Engpässe gegeben.
Wieso?
Peter Klimek Hier hat man sich einfach bei der Nachfrage verschätzt. Da hilft auch ein Riesenschwank in der Produktion nichts, wenn diese Marktmechanismen dann gegen einen sprechen. Die geografische Nähe ist also nicht das Allheilmittel. Man muss auf mehreren Ebenen mitdenken. Bevor wir beginnen, überall zu viel Antibiotika zu produzieren und damit die Lager vollzuräumen, wäre es sinnvoller darüber nachzudenken, wie man die Nachfrage genauer planen kann und entsprechend stabile Zulieferbeziehungen aufzubauen. Klar ist, dass es immer mehrere Maßnahmen braucht. Aber die Erklärung, dass das Problem nur in der Produktionskonzentration in China und Indien zu finden ist, greift auch zu kurz.
Wie optimistisch sind Sie, dass wir Lieferketten wieder resilient gestalten?
Peter Klimek Wie gesagt, die Planung, also die Instrumente, mit denen man das umsetzen kann, die kennt man. Man muss ein genaueres, besseres Sensorium dafür entwickeln, wo solche Risiken schlummern und dem begegnen. Und dass so etwas möglich ist, beweisen genug Beispiele aus der Praxis. Es geht ins klassische Supply Chain Management, da braucht man jetzt das Rad nicht neu erfinden. Es ist vielleicht auch ein positiver Effekt der Krisen, dass dieses Thema mehr Bewusstsein erlangt und man sich als Unternehmen mehr anstrengen muss, wenn einem diese Sicherheit etwas wert sein will.
Um noch einmal auf das Persönliche zurückzukommen: Hat sich Peter Klimek als Kind schon mit solch schwierigen Themen befasst?
Peter Klimek Das Interesse an der Physik war sehr früh da. In den 90ern, als ich gerade in die Schule gekommen bin, ist erstmals das Thema Quantenphysik groß aufgekommen. Und das weckte bei mir das erste Interesse. Das andere Thema, das ich auch sehr früh spannend gefunden habe, war die Chaostheorie. Und dass sehr viele Systeme, mit denen wir es tatsächlich zu tun haben, einfach nicht das Maß an Vorhersagbarkeit haben, das man sich gerne ausdenken würde. Solche Fragen habe ich schon immer spannend gefunden: Zu verstehen, warum es so schwer ist, ein Lego-Fahrzeug zusammenzubauen und ungleich einfach es zu zerstören, das waren so die Anfänge.
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