Gastbeitrag : Sechs Schritte zu einem nachhaltigen Lieferketten-Management
„Wir werden nachhaltig“ – dieses Versprechen geben immer mehr Unternehmen. Doch wer negative Auswirkungen auf die Umwelt oder die Gesellschaft nicht etwa durch Renaturierungsmaßnahmen oder soziale Projekte kompensieren, sondern tatsächlich die eigenen Prozesse, Produkte und Gewerke auf Nachhaltigkeit ausrichten will, steht vor einer großen Aufgabe – und kommt um die Untersuchung der gesamten Lieferkette nicht herum. Diese Tatsache hat der Gesetzgeber mit dem Lieferkettengesetz auch zur verpflichtenden Vorgabe für künftiges Wirtschaften gemacht.
Die nachhaltige Ausrichtung der Lieferkette ist eine umfangreiche und langwierige Aufgabe, die Planung und strategisches Vorgehen voraussetzt. Denn Unternehmen, die Nachhaltigkeit im Management ihrer Lieferkette verankern möchten, müssen im Sinne der globalen Nachhaltigkeitsziele nicht nur ökologische Faktoren in den Fokus nehmen, sondern auch ökonomische und soziale. Für Sustainable Supply Chain Management (SSCM) gibt es bereits verschiedene Guidelines mit unterschiedlichen Grundprinzipien: Einige Konzepte gehen eher qualitativ vor, andere beschränken sich auf quantitative Kriterien.
All diese Modelle stoßen jedoch schnell an Grenzen, wenn es darum geht, im Umfeld immer komplexerer globaler Lieferketten alle relevanten Faktoren zu identifizieren und zu berücksichtigen. Aufrichtiges und glaubwürdiges SSCM ist daher auf einen neuen Ansatz angewiesen, der ganzheitlich und transparent vorgeht und quantifizierbare, belastbare Ergebnisse erbringt.
Bisherige SSCM-Ansätze sind meist zu spezifisch auf einzelne Branchen ausgerichtet, nicht allgemein anwendbar beziehungsweise übertragbar oder sie berücksichtigen entweder nur qualitative oder nur quantitative Faktoren. Die Herausforderung für neue, ganzheitliche SSCM-Guidelines sind heute,
- eine ganzheitliche Betrachtung zu bieten, die auf jede Branche anwendbar ist,
- qualitative und quantitative Faktoren gleichermaßen zu berücksichtigen,
- deskriptive Ergebnisse zu erbringen, die Unternehmen einen Nutzwert bieten und
- den Blick nicht nur auf die Vergangenheit zu werfen, sondern auch Empfehlungen und Strategien für zukünftiges Handeln zu bieten.
Ein Konzept für erfolgreiches Lieferketten-Management
Wie sieht wirksames SSCM aus, das Unternehmen in die Lage versetzt, das Nachhaltigkeitslevel ihrer Lieferkette nicht nur exakt zu analysieren, sondern auch langfristig zu steigern? Um Nachhaltigkeit zu etablieren und für den Entscheidungsfindungsprozess im Unternehmen einen sicheren Rahmen zu bieten, sind Guidelines nötig. Sie ermöglichen ein schrittweises Vorgehen, das sich in sechs Dimensionen erstreckt:
- Systematik
- Organisation
- Stakeholder
- Reifegradmodell
- Human Resources
- Technologie
Das beschriebene Modell konzentriert sich also im Gegensatz zu bisherigen Guidelines nicht nur auf die eigentliche Bewertung von Nachhaltigkeit in der Lieferkette, sondern berücksichtigt alle relevanten Aspekte, also beispielsweise auch menschliche Faktoren und die IT. Entsprechend dem Charakter zeitgemäßer Lieferketten kann es über Unternehmensgrenzen hinweg angewendet werden; es empfiehlt sich bei der Implementierung jedoch, dass ein Unternehmen im Mittelpunkt steht, welches das Projekt vorantreibt.
Systematik: Eine klar strukturierte Vorgehensweise
Die Implementierung von SSCM im Unternehmen ist kein Sprint, sondern ein Marathon. Erster Schritt auf dem Weg zur nachhaltigen Lieferkette muss daher die Definition eines Vorgehens sein, das Orientierung für das Management bietet. Der Prozess verläuft in mehreren Phasen:
- Erstellen eines Projektplans: Machbarkeitsstudie, Entwicklung eines Projektplans, Definition der Projektverantwortlichkeiten, Entwicklung eines Kommunikationsplans
- Definition von Strategie und Zielen: Qualitative Bewertung von Unternehmen entlang der Lieferkette, Definition der Nachhaltigkeitsziele, Auswahl externer Stakeholder und Bestimmung der Nachhaltigkeitsstrategie
- Quantitative Bewertung: Entwicklung einer Sustainability Balanced Scorecard (SBSC)
- Technische Umsetzung: Design, Auswahl von Tools und Datenquellen, Entwicklung der Datenbank und der Software für die Messung der Indikatoren, Visualisierung der Daten
- Validierung und Analyse der Ergebnisse
- Definition und Umsetzung von Verbesserungsmaßnahmen
Stakeholder: Akteure im Unternehmen und Externe
Gerade bei einem sehr breit gefassten Begriff wie Nachhaltigkeit können unterschiedliche Akteure ganz verschiedene Vorstellungen und Ansprüche an das SSCM-Projekt haben. Je nach Entwicklung können sich diese im Laufe des Projekts zudem ändern.
Um Unübersichtlichkeit oder Uneinigkeit zu vermeiden, sollten von vornherein alle bedeutenden Stakeholder entlang der Lieferkette identifiziert werden – innerhalb der Organisation (etwa Führungskräfte und Mitarbeiter, Investoren) wie extern (je nach Lieferkette beispielsweise Endkunden, Zulieferer oder auch Finanzinstitute, Medien und NGOs).
Reifegradmodell: Schrittweise zum Erfolg
Das SSCM-Projekt kann nur dann langfristigen Erfolg haben, wenn die Ergebnisse der einzelnen Schritte eindeutig gemessen werden. Die beste Methode hierfür ist ein Reifegradmodell: Es gibt Ziele und Kennzahlen vor sowie Handlungsempfehlungen, um jeweils den nächsten Reifegrad zu avisieren.
Mit einer SBSC können Ziele und Kennzahlen transparent und eindeutig festgelegt werden, während gleichzeitig alle relevanten Entscheidungsebenen, Abteilungen, Geschäftsprozesse und Akteure entlang der gesamten Lieferkette berücksichtigt werden.
Human Resources: All Hands On Deck
Da sowohl Lieferketten als auch Nachhaltigkeit disziplinenübergreifende Themen darstellen, sollte die Personalabteilung in die Entwicklung einer SSCM-Strategie einbezogen werden. Sie kann bei der Identifizierung wichtiger Stakeholder unterstützen. Zu den weiteren Abteilungen, die sich auf jeden Fall wesentlich am Projekt beteiligen sollten, gehören
- Supply Chain-Manager und -Mitarbeiter,
- die Einkaufsabteilung,
- die Finanzabteilung,
- die IT,
- HR-Manager und
- das Projektbüro sowie
- ein dezidiertes SSCM-Team.
Das disziplinenübergreifende SSCM-Team bildet gewissermaßen die organisatorische Klammer: Es sollte aus Lieferketten-erfahrenen Mitarbeitern bestehen, die idealerweise bereits ein Interesse an Nachhaltigkeitsaspekten bewiesen haben. Das Team kann nach Bedarf auch mit Mitarbeitern ergänzt werden, die bislang keine Erfahrung mit Lieferketten gemacht haben. Ein Projektleiter sollte das Team steuern und zusammenhalten.
Technologie: Daten sammeln, auswerten und veranschaulichen
Die SSCM-Strategie soll von klaren Kennzahlen geleitet und faktenbasiert entwickelt und durchgeführt werden. Um die großen Datenmengen zu berücksichtigen, ist leistungsfähige und passende IT deshalb eine Voraussetzung. Das gilt besonders für die quantitative Datenauswertung: Die Daten müssen identifiziert und gesammelt, ausgewertet und visualisiert werden.
Neben der IT zur Generierung der Informationen muss auch die Datenbank für das Speichern aller Daten entwickelt und installiert werden. Akteure sollten hierbei die üblichen Regeln für Datenschutz, IT- und Cybersicherheit berücksichtigen.
Organisation: Die richtigen Erkenntnisse gewinnen
Das Vorgehen ist definiert, das Team zusammengestellt, die Daten sind gesammelt. Jetzt ist die Zeit gekommen, die gemessenen Nachhaltigkeitswerte der Lieferkette und die definierten Anforderungen gegenüberzustellen. Dafür müssen alle Akteure und Prozesse entlang der Lieferkette untersucht werden. Anschließend werden Bereiche ermittelt, die ihre Nachhaltigkeit verbessern müssen.
Mögliche Folgen können zum Beispiel sein:
- Neudefinition der Ziele und der Kultur entlang der Lieferkette
- Neugestaltung interner und externer Geschäftsprozesse
- Nachhaltigkeitstrainings, personelle Umstrukturierung
- Umsetzung der Verbesserungen, Kontrolle der erzielten Ergebnisse
Als Ergebnis können priorisierte, mittel- und langfristige Projekte die Nachhaltigkeit der Lieferkette effektiv verbessern. Mit einer Machbarkeitsanalyse sollte jedes Projekt vor der Durchführung auf Kosten und Nutzen, soziale, ökologische und organisatorische Aspekte hin untersucht werden.
Ein mögliches Ergebnis ist darüber hinaus, dass einzelne Geschäftspartner die Nachhaltigkeit der Lieferkette maßgeblich beeinträchtigen. Sie können mit Zusammenarbeit, Best Practices und Trainings motiviert werden, ihren eigenen Nachhaltigkeitswert zu verbessern. Unter Umständen führen jedoch auch diese Maßnahmen nicht zum gewünschten Erfolg oder werden vom Geschäftspartner abgelehnt. Unternehmen, die es mit der Nachhaltigkeit ihrer Lieferkette ernst meinen, sollten dann einen neuen Partner suchen, der die definierten Anforderungen an die Nachhaltigkeit erfüllt.
Fazit: Nachhaltige Lieferketten sind erfolgreiche Lieferketten
Ökonomisch, sozial, ökologisch – Sustainable Supply Chain Management umfasst alle drei Dimensionen von Nachhaltigkeit. Aufgrund des disziplin- und organisationsübergreifenden Charakters moderner Lieferketten führt SSCM zudem Nachhaltigkeit umfassend und sichtbar über das gesamte Unternehmen hinweg ein. Für die Nachhaltigkeit des gesamten Geschäfts stellt ein SSCM-Projekt deshalb einen wesentlich größeren Hebel dar als Nachhaltigkeitsprojekte, die sich lediglich auf einzelne Geschäftsbereiche wie die Produktion oder Einkauf konzentrieren.
Das vorgestellte SSCM-Konzept wird in der Praxis bereits erfolgreich angewendet und optimiert die Nachhaltigkeit der Lieferketten global operierender Unternehmen quantifizierbar: Die Betriebskosten, der Ressourcenverbrauch und der CO2-Fußabdruck sinken, während die Einnahmen, die Zufriedenheit der Kunden und der Mitarbeiter steigen. Das Modell erfüllt somit alle Anforderungen, die heute an Nachhaltigkeit gestellt werden: Die Umwelt schonen und negative soziale Auswirkungen des Geschäfts zu reduzieren, ohne wirtschaftliche Nachteile in Kauf zu nehmen.
Bernhard Höveler ist Gründer und Managing Partner, Stefan Faßbinder ist Manager bei Höveler Holzmann.