Lieferkette : So vernetzt ist die globale Lebensmittel-Lieferkette

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Wie fragil globale Liefernetzwerke tatsächlich sind, wurde spätestens durch den Krieg in der Ukraine deutlich, als die Welt plötzlich mit Versorgungsengpässen in unterschiedlichen Sektoren konfrontiert war. Störungen in der Lieferkette können sich durch diese Verflechtungen von lokalen auf weit entfernte Regionen ausbreiten.

"Bisherige Studien konzentrieren sich jedoch oft auf direkte Abhängigkeiten und vernachlässigen indirekte Abhängigkeiten, die sich daraus ergeben, dass wesentliche Inhaltsstoffe nicht verfügbar sind. Das erschwert die umfassende Bewertung des globalen Lebensmittelsystems", betont Forschungsleiter Stefan Thurner vom Complexity Science Hub (CSH).

Das CSH hat im März das Austrian Supply Chain Intelligence Institute (ASCII) mitbegründet, um Lieferabhängigkeiten sichtbar zu machen. Lesen Sie hier das Interview mit dem Leiter des ASCII, Peter Klimek

Um diese Lücke zu schließen, entwickelte das Forschungsteam ein dynamisches Modell des globalen Lebensmittelsystems, das Daten aus 192 Ländern und Gebieten enthält sowie 125 Lebensmittel und landwirtschaftliche Produkte erfasst. "Dieses Modell ermöglicht es uns, Schocks für bestimmte Produkte und Länder zu simulieren und die nachfolgenden Auswirkungen auf die gesamte Lieferkette genau zu beobachten", erklärt Moritz Laber vom Complexity Science Hub.

Durch die Berechnung des relativen Rückgangs der Produktverfügbarkeit im Vergleich zu einem Basisszenario (ohne Schock) konnten die Forscher nützliche Erkenntnisse über das Ausmaß dieser Schocks gewinnen. Dabei stellten sie bemerkenswerterweise fest, dass die indirekten Auswirkungen häufig die direkten Auswirkungen übertreffen. So führte beispielsweise ein Schock in der ukrainischen Maisproduktion zu einem Rückgang von 13 Prozent bei der Verfügbarkeit von Schweinefleisch in Südeuropa, während ein Schock in der ukrainischen Schweinefleischproduktion selbst nur einen unwesentlichen Effekt von weniger als ein Prozent hatte.

Diese interaktive Weltkarte zeigt die jeweiligen Auswirkungen in den einzelnen Ländern je nach Lebensmittel.

In einem Worst-Case-Szenario simulierten die Wissenschafter einen vollständigen Ausfall der landwirtschaftlichen Produktion in der Ukraine infolge des Krieges. Dies offenbarte vielfältige Auswirkungen auf Produkte und Regionen weltweit. "Die Verluste bei Getreide, insbesondere Mais, betrugen bis zu 85 Prozent. Speiseöle, insbesondere Sonnenblumenöl, verzeichneten Verluste von bis zu 89 Prozent. Darüber hinaus erlitten bestimmte Fleischsorten, wie z. B. Geflügel, Verluste von bis zu 25 Prozent in unterschiedlichen Ländern", so Laber. Die Anzahl der Produkte, bei denen eine Region von der Ukraine abhängig ist, variiert stark: Südeuropa, wo 19 von 125 Produkten mit Verlusten von mehr als zehn Prozent betroffen wären, ist am stärksten betroffen, gefolgt von Westasien und Nordafrika, wo dies bei 15 bzw. elf Produkten der Fall ist.

Diese Ergebnisse unterstreichen, dass lokal begrenzte Produktionsstörungen weitreichende Auswirkungen haben, die sich über geografische Grenzen hinaus auf Handelsbeziehungen und die gesamte Produktionskette erstrecken. Daher müssen bei der Abschätzung von Verlusten und der Ausarbeitung wirksamer Maßnahmen unbedingt sowohl direkte als auch indirekte Auswirkungen berücksichtigt werden.

Risiko für die Lebensmittel-Lieferkette nicht nur durch Kriege

Während der Russland-Ukraine-Konflikt in sein zweites Jahr geht, liegen die Lebensmittelpreise nach Angaben des Europäischen Rates immer noch über dem Niveau von 2021. Darüber hinaus können verschiedene Ereignisse, darunter extreme Wetterereignisse, Wirtschaftskrisen und geopolitische Spannungen, ähnliche Störungen in Liefernetzwerken auslösen. Dies unterstreicht, wie wichtig es ist, die Interdependenzen innerhalb der globalen Lebensmittelversorgungsketten zu erforschen und ein umfassendes Verständnis der direkten und indirekten Auswirkungen lokaler Schocks zu erlangen. Dadurch können politische Entscheidungsträger:innen und Interessengruppen für ansonsten übersehene Risiken innerhalb des globalen Lebensmittelsystems sensibilisiert werden.

Diese Ergebnisse sind ein erster Schritt zum Verständnis der komplexen Dynamik der globalen Lebensmittelversorgungsketten und ihrer Anfälligkeit für lokale Schocks. Weitere Forschungsarbeiten sind erforderlich, um sie auf einer detaillierteren Ebene abzubilden, wo einzelne Produkte und subnationale Dimensionen mit einer höheren zeitlichen Auflösung berücksichtigt werden. Außerdem geht das Modell derzeit davon aus, dass Länder ihre Handelspartner:innen nach einem Schock nicht wechseln. Eine Umstrukturierung der Handelsbeziehungen kann jedoch die bestehenden Ungleichheiten verschärfen, da sich wohlhabendere Länder die verbleibenden Ressourcen zu höheren Preisen bei alternativen Anbieter:innen sichern können.