Versand : „Sobald die Schmerzen größer werden, denkt jeder über die Verpackung nach“

Welche Herausforderungen stellt das Thema Verpackung an den Logistikbereich eines Versandhändlers? Könnte es sein, dass viele Händler gar nicht glauben würden, was da auf sie zukommt?

Michael Bodemer: Das ist tatsächlich so. Wobei es auch von der Anzahl der Produkte abhängt, wie groß der Aufwand im Verpackungsbereich sich tatsächlich gestaltet. Im E-Commerce muss sich der Händler, ob groß oder klein, genau Gedanken über sein Verpackungssortiment machen – denn die Kunden werden kritischer und Verpackung kann zu einem großen Kostenblock werden.

Nach welchen Kriterien soll denn das Verpackungssortiment aufgebaut werden?

Bodemer: Da muss man sich erst einmal überlegen, wie das Sortiment aussieht, also welche Dimensionen die Produkte haben; wo unterscheiden sich diese in Länge, Breite und Höhe und gibt es Ausreißer. Ein Baumarkt zum Beispiel führt sehr lange, aber auch viele kleine Produkte. Schließlich geht es noch darum, wie sensibel die Produkte sind und welchen Schutzbedarf sie haben. Aus diesen Informationen leiten sich dann die notwendige Größencluster für das Verpackungssortiment ab.

Bei einem Versandhändler bestellen die Kunden allerdings oft sehr unterschiedliche Produkte gleichzeitig.

Bodemer: Das stimmt und dadurch unterscheiden sich auch die Aufträge stark voneinander. Deshalb ist zusätzlich auch eine Vergangenheitsbetrachtung wichtig – um zu sehen, welche Volumina bereits bestellt wurden. Für diese Analyse ist ein Stammdatenmanagement unabdingbar. Erst danach lässt sich ein optimiertes Standardsortiment endgültig festlegen.

Aber dieser Leitfaden wird wohl von vielen nicht befolgt?

Bodemer: Tatsächlich gibt es da verschiedene Probleme. Große Versandbereiche sind stark auf Prozesszeiten ausgerichtet. Hier wird versucht, das Versandsortiment extrem zu standardisieren. Im schlimmsten Fall bedeutet das, dass eine Verpackung für alles verwendet wird, aber auch vier bis sechs Stück können bereits eine zu geringe Vielfalt sein. Natürlich macht es Sinn, die Verpackungsvielfalt zu einem gewissen Grad einzudämmen, aber es dürfen nicht zu wenige Alternativen sein.

Was passiert, wenn die Vielfalt zu gering ist?

Bodemer: Einfach gesagt: Die Verpackungen sind oft zu groß. Das verbraucht einerseits zu viel Material, ist also übers Jahr gerechnet auf jeden Fall eine Kostenfrage; andererseits ist es auch schlecht für die Umwelt. Wir gehen davon aus, dass Lkw oft nur zu 40 bis 60 Prozent beladen sind. Wenn dann die Kartons, die sie geladen haben, selbst nur zu 30 bis 40 Prozent befüllt sind, fahren die Lkw praktisch nur mit Luft herum. Wenn der E-Commerce weiter steigt, ist das nicht mehr tragbar.

Wie kann das verhindert werden?

Bodemer: Wenn die Produkte nach Größe und Sensibilität geclustert werden, muss auch das Verpackungssortiment entsprechend aufgebaut werden. Das betrifft nicht nur die Größen der Behältnisse, sondern auch Schutzmaterial, wie Polster. Hier braucht der Betrieb einen festgelegten Prozess, wie verpackt wird. Das heißt, es gibt eine Packanweisung und die Mitarbeiter werden entsprechend geschult. Sie müssen wirklich wissen, was sie zu tun haben und nicht so verpacken, wie sie es selbst für richtig halten. Wenn es keinen festgelegten Prozess gibt, verpackt jeder Mitarbeiter auf seine eigene Art und Weise. Dadurch verbraucht das Unternehmen mehr Verpackungsmaterial und verliert Zeit innerhalb der Packprozesse.

Wie könnten Anreize geschafft werden?

Bodemer: Amazon hat bereits angekündigt, dass die über die Plattform verkaufende Händler ihre Verpackungen zertifizieren lassen müssen. Werden die Zertifizierungskriterien erfüllt, bekommt der Händler einen Bonus. Händler, deren Verpackung nicht optimal ist, also zu viel Luft hat, müssen mehr zahlen. Das ist ein guter Anreiz, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Außerdem sollten KEP-Dienste in ihre Kosten miteinberechnen, wie viel Volumen verschickt wird, anstelle der Anzahl der Pakete. Manche tun das schon, aber nicht viele. Das wird noch nicht so gezielt gemacht, dass ein großer Impact zu spüren wäre.

Das deutsch-französische Start-up Living Packets bewirbt derzeit eine Mehrwegverpackung, die 1.000 Mal wiederverwendet werden kann. So sollen verpackungsbedingte CO2-Emisisonen um 90 Prozent reduziert werden können. Ist es Aufgabe der Verpackungsindustrie, sich umweltschonende Möglichkeiten zu überlegen?

Bodemer: Ja, aber es ist auch die Aufgabe der Versender. Nachhaltigkeit ist ein notwendiges Thema, das nur gemeinsam gelöst werden kann.

Ist Mehrweg die nachhaltige Lösung?

Bodemer: Pauschal lässt sich das nicht bestätigen. Mehrweg macht Sinn bei großen Mengen, die auf nicht zu langen Wegen zu den gleichen Kunden transportiert werden. Denn der Rücktransport der Mehrweggebinde darf nicht zu nachteiligen Effekten führen. Bei Mehrwegsystemen, die übergreifend eingesetzt werden, braucht es ein sehr gutes System für die Gebindekreisläufe, Kostenverrechnungen, Gebindereinigung und ähnliches. Schon bei Europaletten zeigt sich, dass viele Unternehmen Probleme mit dem Handling und der Leergutverrechnung haben.

Wie ist denn die Nachfrage von Versandhändlern nach umweltschonenden Alternativen?

Bodemer: Viele Betriebe beschäftigen sich mit Nachhaltigkeits- und Effizienzthemen und das auch erfolgreich. Tatsächlich gibt es aber noch viel zu tun, zum Beispiel ließen sich aus unserer Erfahrung die Volumennutzung der Verpackung um bis zu 50 Prozent verbessern und somit wertvolle Rohstoffe bei Lieferungen an Privathaushalte einsparen. Glücklicherweise gibt es bei Projekten zur Verbesserung der Nachhaltigkeit eigentlich nur wenige Nachteile – in Wahrheit lassen sich so in den Unternehmen meist Kosten sparen.

Das wissen aber vielleicht nicht viele.

Bodemer: Unternehmen müssen hier einfach bereit sein, ein bis zwei Schritte zurückzugehen und festgefahrene Pfade zu verlassen. Sobald die Schmerzen größer werden als die Unsicherheit, bei einer Umstellung Zeit zu verlieren, denkt jeder Betrieb über Verbesserungen nach.

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